Hengameh Yaghoobifarah: "Ministerium der Träume"

Mit gewetzten Polemikmessern auf Deutschlandreise

05:55 Minuten
Das Buchcover "Ministerium der Träume" von Hengameh Yaghoobifarah ist vor einem grafischen Hintergrund zu sehen.
Erstling mit schrillen Tonlagen: Manchmal drückt Hengameh Yaghoobifarah dann doch zu doll auf die Tube. © Deutschlandradio / Aufbau Verlag
Von Maike Albath · 15.02.2021
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Eine Kolumne von Hengameh Yaghoobifarah über Polizisten hat im vergangenen Jahr für Aufsehen gesorgt, nun legt sie mit "Ministerium der Träume" einen Roman vor. Kraftvoll und temporeich geht es darin auf eine grelle Deutschlandreise.
Nasrin hat es in sich. Die queere Türsteherin aus Berlin ist ein Bündel aus Wut. Zugleich aber eine trauernde Schwester, eine hadernde Tochter und eine ratlose Tante.
Die Autorin Hengameh Yaghoobifarah katapultiert uns direkt hinein in das wüste Innere ihrer Heldin. Wir erleben Albträume, Kneipenalltag, Auseinandersetzungen mit der übergriffigen Mutter, Nöte mit der renitenten Nichte, Erinnerungen an die Kindheit in Teheran und dann Lübeck, alles dargeboten aus der Ichperspektive.
Die Handlung setzt mit einer Katastrophe ein, dabei war Nasrins Leben schon vorher nicht sonderlich überschaubar und von Ängsten durchlöchert. Die Polizei steht vor der Tür: Nasrins jüngere Schwester Nushin, die Person, mit der sie immer am engsten verbunden war, ist bei einem Autounfall tödlich verunglückt.
War es Selbstmord? Nasrin ist davon überzeugt, aber ihre 14-jährige Nichte Parvin, deren Vormund sie nun wird, vermutet eine größere Sache hinter dem Tod ihrer Mutter. Einen Abschiedsbrief scheint es nicht zu geben, dafür aber ein Testament.
Nun geht es los mit einem Strudel aus Rückblenden, Erinnerungen, Gegenwartsfetzen, die sich Kapitel für Kapitel weiter steigern. Ist das eine Psychonummer, eine Abenteuergeschichte, ein Entwicklungsroman der besonderen Art?

Anschläge in Hoyerswerda, Rostock und Mölln

Von allem ein bisschen. Die 1991 in Kiel geborene Yaghoobifarah, durch eine missglückte satirische Kolumne in der "taz" über Polizisten im vergangenen Jahr zum Streitfall geworden, legt mit "Ministerium der Träume" ihren ersten Roman vor.
Ihre gewetzten Polemikmesser sind in der Fiktion vielleicht besser aufgehoben als in journalistischen Texten: Ihr gelingt eine grelle Deutschlandreise, die Geschichte von Teenagern iranischer Herkunft, die vor dem Hintergrund der Anschläge in Hoyerswerda, Rostock und Mölln in einer feindseligen Umgebung aufwachsen und ihre eigenen Methoden entwickeln, um sich zur Wehr zu setzen.
Am Ende steigert sich das Ganze zu einer atemlosen Aufklärungsaktion, denn so gut, wie sie dachte, wusste Nasrin über ihre Schwester dann doch nicht Bescheid. Dafür lernt sie sich selbst neu kennen.

Comic-haft verzerrt und holzschnittartig

Das "Ministerium der Träume" ist ein kraftvolles Buch, temporeich und überdreht, irgendwo zwischen Zoran Drvenkar, Fatma Aydemir, Ocean Vuong und Olivia Wenzel. Die Lektüre ist packend, und es gibt viele auch literarisch gelungene Momente: die Schilderungen der emphatischen Schwesternschaft und der Einsamkeit der Kinder, die wie Hänsel und Gretel von der kummerbetäubten Mutter alleingelassen werden. Oder die Beschreibungen von Ausgrenzungsmanien, wie sie die "Pferdemädchen" und "Annikas" praktizieren, aber auch die Eltern auf Parvins Schule.
An manchen Stellen drückt Yaghoobifarah ein bisschen zu sehr auf die Tube, übertreibt es mit den schrillen Tonlagen, schreibt auf Effekt und gleitet in einen allzu versierten Kolumnenstil. Einige der Figuren sind comichaft verzerrt oder zu holzschnittartig gestaltet. Aber wer wissen will, wie sich Deutschland anfühlt, sollte "Das Ministerium der Träume" unbedingt lesen.

Hengameh Yaghoobifarah: "Ministerium der Träume". Roman
Blumenbar, Berlin 2021
382 Seiten, 22 Euro

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