Helmut-Newton-Schau in Berlin

Eine Ausstellung, die die Kontroverse scheut

05:59 Minuten
Dreu Models zeigen in dramatischer Pose Science-Fiction-inspirierte Mode von Thierry Mugler.
Thierry Mugler-Mode aus der Reihe "Machine Age" - zu sehen in der Ausstellung "Helmut Newton. Legacy". © Helmut Newton Estate / Courtesy Helmut Newton Foundation
Von Lotta Wieden · 30.10.2021
Audio herunterladen
Das Museum für Fotografie in Berlin zeigt in einer Schau das Lebenswerk Helmut Newtons und konzentriert sich dabei auf die Modefotografie. Eine überfällige, zeitgemäße Beschäftigung mit den kontroversen Teilen seiner Arbeit findet nicht statt.
Das Talent zum Storytelling scheint angeboren: Es findet sich schon in Newtons frühesten Arbeiten. Gleich zu Beginn der Ausstellung begegnet uns das Porträt einer Frau mit großem weißen Hut. Sie hat die Augen geschlossen - und nur wir sehen die verschwommene Männergestalt im Hintergrund, die der Schönen heimlich zu folgen scheint. Newton liebte Krimis, das Spiel mit der Gefahr.
Und er liebte den Film - der Einfluss, den Hitchcock, Fellini oder auch Truffaut auf seine Inszenierungen hatten, ist in der Berliner Schau unübersehbar, so Kurator Matthias Harder: "Was er da alles aufnimmt: James Bond-Stories und Kriminal-Stories. Wenn man sich die ganz späten Bilder anschaut, kann man sich fast nicht vorstellen, dass man einen 80-jährigen Fotografen vor sich hat. Er war immer zeitgemäß. Bis zum Schluss."

Fast 300 Arbeiten aus allen Schaffensphasen

Die Ausstellung folgt Newtons Werdegang chronologisch, in sechs ineinander übergehenden Räumen: von den Early Years in Melbourne, über die ersten Aufträge als Vogue-Fotograf im Paris der 60er-Jahre, als die Röcke kürzer werden. Wenn man um die Ecke geht, sieht man Frauen in kniefreien, synthetischen Stoffen und spaciger Kulisse, wie aus einem frühen Science-Fiction, fotografiert im Jahr 1964.
"Da rutschen die Röcke und die Kleider noch ein bisschen höher. Das ist für mich die absolut revolutionäre Serie, die er für das Modemagazin Queen realisiert hat: Courrèges-Mode, eine Art 'Weltraummode', da sehen wir diese Overknee-Idee", sagt Harder.

Fast 300 Arbeiten aus allen Schaffensphasen zeigt die Schau. Meist schwarz gerahmt und klassisch gehängt. Von Raum zu Raum wandert man mit dem Werk durch ein Leben, sieht Newton in den 1970er-Jahren bei immer aufwendigeren Produktionen, für die er Hubschrauber, Jachten oder teure Hotelsuiten anmietet - Settings, die er schon bald auch für seine freien Arbeiten nutzt und Bilder schafft, die heute Ikonen sind: wie das berühmte Diptychon "Sie kommen". Es zeigt vier Models, die in Haute Couture direkt auf die Kamera zu laufen. In einem zweiten Bild in exakt gleicher Pose sind sie - bis auf die High Heels - vollkommen nackt.

Einem Perfektionisten bei der Arbeit zusehen

Kontaktbögen, tagebuchartige Notizen und Polaroids ergänzen Bekanntes, zeigen Newton ironische Seite aber auch wie akribisch der Maestro sich auf seine Shootings vorbereitet - ein Perfektionist, den man hier bei der Arbeit über die Schulter schauen kann bis zum Ende, so Harder.
"Da sieht man auch dieses Dunkle. Newton hat ja immer das Licht geliebt, das echte Licht, nicht nur das Scheinwerferlicht. Viele seiner Bilder sind cinematographisch und haben dieses kühle Licht, er hat aber darüber hinaus die Sonne geliebt und war gern am Mittelmeer. Aber die letzten Bilder sind sehr, sehr dunkel."
Eine dieser Aufnahmen, aus dem Auto heraus fotografiert, zeigt eine einsame Landstraße, die in ein dunkles Tal unter dramatischem Himmel führt - "Leaving Las Vegas". Als Newton 2004 bei einem Autounfall in Los Angeles ums Leben kommt, gehört er zu den bedeutendsten Künstlern seiner Zeit - auch zu den umstrittensten, weiß Harder:
"Wenn man mit Anna Wintour zusammenarbeitet, der Chefin der US-Vogue, dann wird man dafür gebucht, dass man in der Lage ist, einen sogenannten Stopper zu erzeugen, also ein Bild, bei dem man aufhört weiterzublättern, das kontrovers ist."
Doch von den seinerzeit kontrovers diskutierten Arbeiten ist in der Ausstellung wenig zu sehen: Nicht das gerupfte Huhn, dem Newton eigens herbeigeholte Miniatur-High Heels über die weit gespreizten Schenkel stülpt und auch nicht die schwarze Grace Jones, die er 1978 nackt und in Ketten für den Stern fotografierte. Dabei wurde über Bilder wie dieses noch 1994 vor Gericht gestritten. Alice Schwarzer bezeichnete die Aufnahme als sexistisch, rassistisch und faschistoid.

Kein neuer Blick auf Newtons Werk

Hätte eine Jubiläumsausstellung nicht der Frage nachgehen sollen, was Newtons Arbeiten uns heute in der #MeToo-Ära sagen? Etwas in dieser Richtung sei geplant, sagt Kurator Matthias Harder. "Hier hat's aber nicht so reingepasst, weil wir seinen ganzen Lebensweg nachgezeichnet, mit Schwerpunkt auf der Modefotografie nachgezeichnet haben, denn ich sehe in ihm einen Modefotografen."
Sind Newtons Frauen nun - wie er selbst es sah - Ausdruck weiblicher Stärke? Oder wirken Models, die mit ausdruckslosem Gesicht die Reitgerte schwingen, mit feinen, aber expliziten Gesten sexueller Verfügbarkeit, nicht doch immer nur wie Objekte - Projektionsflächen für Newtons sexuelle Fantasien?
Ganz am Ende der Ausstellung blitzt auf, was die Schau auch hätte sein können: Da sieht man Susan Sontag 1979 in einer Talk-Show des französischen Fernsehens Newton gegenübersitzen. Als monströs und misogyn verstünde sie seine Fotos, sagt Susan Sontag. Darauf Newton: "Aber Miss Sontag, ich liebe Frauen! Ich schwöre!" - "Viele frauenfeindliche Männer sagen das", erwidert Sontag lächelnd, das beeindruckt mich gar nicht. Auch Sklavenbesitzer haben häufig betont, dass sie ihre Sklaven lieben."
Ein neuer Blick auf Newtons Werk lässt noch immer auf sich warten. Man geht durch die Schau und fragt sich, ob Helmut Newton so viel Artigkeit verdient hat.

Helmut Newton. Legacy
bis 22. Mai 2022
Museum für Fotografie

Mehr zum Thema