Dokumentarfilm über Helmut Newton

Zwischen Tradition und Anarchie

09:51 Minuten
Selbstporträt, Monte Carlo, 1993.
Der Fotograf Helmut Newton: ein Selbstporträt in Monte Carlo, 1993. © Helmut Newton, Helmut Newton Estate / Courtesy Helmut Newton Foundation
Gero von Boehm im Gespräch mit Eckhard Roelcke · 06.07.2020
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Dieses Jahr wäre Helmut Newton 100 Jahre alt geworden. Eine Dokumentation, die nun in die Kinos kommt, beschreibt die bewegende Lebensgeschichte des Fotografen. Im Film von Gero von Boehm kommen ausschließlich Frauen zu Wort.
Der Regisseur Gero von Boehm wirft in seinem Film "The Bad and the Beautiful" einen Blick auf das nicht unumstrittene Werk Helmut Newtons, in dessen Zentrum stets der weibliche Körper stand – öfter nackt als bekleidet. In der Dokumentation kommen ausschließlich Frauen zu Wort - darunter Newtons Ehefrau June, viele Models des Fotografen und seine Kritikerin Susan Sontag.

Eine einzigartige Persönlichkeit

Newton habe eine einmalige Persönlichkeit gehabt, sagt von Boehm: "Auf dem Boden einer großen Tradition in der Weimarer Zeit, als Bürgersohn in Berlin, aber auch als Jude, der mit achtzehn Jahren aus Berlin fliehen musste, einmal rund um die Welt, und dann wird er Provokateur und Anarchist. Diese Mischung aus Tradition und Anarchie fand ich immer sehr spannend, weil man auf diesem Humus sehr schön turnen kann."
Helmut Newton, Monte Carlo, 1987.
Helmut Newton in Monte Carlo, 1987.© Alice Springs, Helmut Newton Estate / Courtesy Helmut Newton Foundation
Die meisten seiner Bilder müsse man im Kontext ihrer Entstehung betrachten. Als Newton in den 1970er-Jahren seine größte Zeit hatte, habe es die sexuelle Revolution gegeben. "Der nackte Körper war kein Tabu mehr. Und das kam zusammen mit einer absolut notwendigen Revolution in der Modefotografie." Bis dahin sei alles immer nur schön gewesen und auch ein bisschen langweilig.
Newton habe mit der Gegenüberstellung von bekleideten und nackten Models gezeigt, dass Frauen eigentlich keine Haute Couture bräuchten, sondern auch nackt sehr stark seien, so von Boehm.
Wenn er sich die überlebensgroßen "Big Nudes" von Newton anschaue, habe er gemischte Gefühle, sagt der Regisseur:
"Und genau die wollte Newton auch bei den Männern auslösen, die sollten sich klein fühlen. Er hat mit männlichen Ängsten gespielt, er hat mit vielen Dingen gespielt, es sollte immer alles ein bisschen offen bleiben. Es gibt fast kein Bild von ihm, bei dem irgendetwas zu Ende erzählt ist."

Kritik an Newtons Fotografien

Die von der Schriftstellerin Susan Sontag im Film geäußerte Kritik, dass Newtons Fotografie frauenfeindlich sei und seine Fantasien "ungeheuerlich", könne man ebenfalls aus dem Kontext der damaligen Zeit heraus nachvollziehen, meint von Boehm.
Selbstporträt in Yvas Studio, 1930er Jahre.
Selbstporträt in Yvas Studio, 1930er Jahre.© Helmut Newton, Helmut Newton Estate / Courtesy Helmut Newton Foundation
Auch heutzutage sei die political correctness "leider, aber manchmal auch verständlich, an der Tagesordnung. Das wird jetzt manchmal übertrieben, ich glaube aber, das Blatt wird sich wieder etwas wenden. Und man wird auch Newtons Bilder dann wieder mit anderen Augen sehen."
Die Freiheit der Kunst sei etwas ganz Wichtiges. "Wenn jemand sagt, dass man diese Bilder nicht mehr zeigen sollte, dann müsste man alle antiken Sammlungen in Berlin wegschließen, alle Caravaggios abhängen, alle Botticellis, denn Nacktheit hat es immer gegeben in der Kunstgeschichte."
"Es muss alles sichtbar sein", meint von Boehm: "Man kann ja weggucken."
(rja)

"Helmut Newton - The Bad and the Beautiful"
Regie: Gero von Boehm
Kinostart: 9. Juli 2020

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