Helmut Böttiger über Botho Strauß

"Er redet oft wie die Populisten, die er eigentlich ablehnt"

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Dunkelgrünes Buchcover vor einem Aquarell-Hintergrund.
Neues von Botho Strauß: Der Schriftsteller entdeckt in Deutschland "eine beinah grenzenlose linke Mitte". © Rowohlt / Deutschlandradio
Moderation: Joachim Scholl · 15.09.2020
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"Expedition zu den Wächtern und Sprengmeistern" heißt der neue Essayband von Botho Strauß. Der Literaturkritiker Helmut Böttiger meint, man müsse es ernst nehmen, wenn sich Strauß als "Rechten" bezeichne – auch wenn er dabei eine "Pose der Geistesaristokratie" einnehme.
Der Schriftsteller Botho Strauß ist mittlerweile 75 Jahre alt. Er wurde vor allem als Dramatiker berühmt und war in den 1980er-Jahren einer der meistgespielten Autoren mit klugen gesellschaftskritischen Stücken.
Einen höchst umstrittenen Ruf genießt der Büchner-Preisträger aber als Essayist. Seitdem im Jahr 1993 im "Spiegel" sein Text "Anschwellender Bocksgesang" erschien, gilt er manchen als Vertreter einer neuen intellektuellen "Rechten".
Es ist ein Text mit weit ausufernden kulturtheoretischen Überlegungen und immer wieder bezeichnenden Sätzen - ein Beispiel:
"Wir werden herausgefordert, uns Heerscharen von Vertriebenen und heimatlos Gewordenen gegenüber mitleidvoll und hilfsbereit zu verhalten, wir sind per Gesetz zur Güte verpflichtet."
Oder: "Dass ein Volk sein Sittengesetz gegen andere behaupten will und dafür bereit ist, Blutopfer zu bringen, das verstehen wir nicht mehr und halten es in unserer liberal-libertären Selbstbezogenheit für falsch und verwerflich."

Garantierte Aufmerksamkeit

Die Aufmerksamkeit ist also garantiert, wenn sich Botho Strauß zu Wort meldet. "Expedition zu den Wächtern und Sprengmeistern" – so heißt ein Essayband, der nun bei Rowohlt erschienen ist.
Ein Porträt des Dichters Botho Strauß
Botho Strauß: Sein literarisches Können ist unbestritten. Als Essayist eckt er immer wieder an.© imago / imagebroker
"Botho Strauß war ein herausragender Autor", sagt der Literaturhistoriker und Kritiker Helmut Böttiger. Neben den Theaterstücken aus den 1980er-Jahren sei seine Prosasammlung "Paare, Passanten" aus dem Jahr 1981 so etwas wie das Signum der Epoche gewesen: "Da schienen die 68er sich gegenseitig ironisch den Spiegel vorzuhalten."

Dogmatische Verengung links wie rechts

Botho Strauß habe als Linker angefangen, als Dramaturg bei der Berliner Schaubühne. "Da gibt es schon Essays von ihm, wo er die gesellschaftskritische Rolle des Theaters sehr vehement einfordert." Dann habe er "diese frühe linke Geschichte" einfach umgepolt und eine dogmatische Verengung – nun eben im rechten Spektrum – beibehalten, so Böttiger.

Hören Sie zu Botho Strauß auch den FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube in Studio 9.

Jürgen Kaube verweist darauf, dass Botho Strauß in seinem neuen Essay-Band gar nicht zu allen spricht – sondern nur zu seinesgleichen, den Schriftstellern, Künstlern und Intellektuellen. "Das ist eine Rede, die sich nicht an alle richtet", sagt Kaube. Strauß, der sich als "obdachloser Außenseiter" begreife, leide daran, dass sich die Kunst als "primäre Instanz" zurückgezogen habe – vor 40, 50 Jahren hingegen seien noch Denker wie Heidegger oder Adorno mit großen ästhetischen Theorien unterwegs gewesen. "Kunst spielte eine absolut zentrale Rolle als Schlüssel zum Ganzen. Und diese Zeit ist in gewisser Weise vorbei, und Botho Strauß führt Klage darüber." Wobei Strauß nach Einschätzung von Kaube selbst keinen großen theoretischen Wurf bietet. Dessen Essays seien eher Gedankensplitter, "die nicht als Argument daher kommen", sagt Kaube. Strauß mache "immer die Tür auf zu einem Gedanken – und sperrt sie dann aber auch gleich wieder zu."

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In dem jetzt erschienenen Band gebe es nur einen einzigen neuen Text, den Böttiger wie folgt charakterisiert:
"Die Öffentlichkeit, wie sie sich heute darstellt, lehnt er vehement ab: Das sind alles nur Debattiermasken, Diskursstrolche, Ungläubige. Und man merkt, dass er eigentlich genauso redet wie die Populisten, die Rechtsradikalen, die er eigentlich ablehnt. Er sagt, Deutschland, die Bundesrepublik ist 'eine beinahe grenzenlose linke Mitte', dazu gehört dann natülrich auch Angela Merkel. Da unterscheidet er sich gar nicht so sehr von der kruden politisch rechten Ebene."

Ein "Siebengestirn" als Geistesaristokratie

Als rechter Denker suche Strauß die Tradition einer "neuen geistigen Rechten", einer Geistesaristokratie, die er in dem "Siebengestirn" Ernst Jünger, Gottfried Benn, Carl Schmitt, Rudolph Borchardt, Martin Heidegger, Stefan George und Hugo von Hofmannsthal erkenne. Diese Denker seien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts "aufgegangen" und strahlten "überlegen" bis heute.
Böttiger nennt diese Aufzählung "reine Ideologie". Es sei symptomatisch, dass zum Beispiel Kafka fehle, "wirklich die Jahrhundertfigur". Carl Schmitt wiederum habe in Verehrung für Adolf Hitler einen Kongress über die geistige Minderwertigkeit der Juden organisiert. Sofern Strauß also in seiner "Pose der Geistesaristokratie" diese geistige Rechte für sich reklamiere, gebe es durchaus Verbindungen mit dem Nationalsozialismus – "und das ist eine ziemlich offene Flanke", so Böttiger.
(huc)

Botho Strauß: "Expedition zu den Wächtern und Sprengmeistern"
Rowohlt Verlag, Hamburg 2020
400 Seiten, 26 Euro

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