Helene Bukowski: "Milchzähne"

Gefangen in einem endlosen Sommer

06:03 Minuten
Montage: Buchcover von "Milchzähne" und ein ausgetrockneter Boden.
In "Milchzähne" geht es um den Klimawandel, genauso wie um den Wunsch, sich von allem Fremden abzuschotten. © Blumenbar / imago / Rene Traut
Von Anne Kohlick · 05.06.2019
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In "Milchzähne" wird eine düstere Zukunft beschrieben: Ohne Regen sind die Landstriche vertrocknet, es ist heiß und mangelt an allem. Die Protagonisten leben isoliert, da taucht plötzlich ein fremdes Kind auf und löst Unruhe bei den Bewohnern aus.
So ein Rot hat Skalde noch nie gesehen. Wie angezündet leuchten die Haare des kleinen Mädchens, das ihr auf der Lichtung im Kiefernwald begegnet. In der abgeschiedenen Gegend hat sonst niemand so eine Haarfarbe.
Fremde kann es, darf es hier eigentlich nicht geben, denn die letzte Brücke über den Fluss wurde schon vor Jahren gesprengt. Nur in der Isolation wähnen sich die Bewohner des immer trockeneren und unwirtlicheren Landstrichs noch sicher.
Aber auf einmal ist da dieses Mädchen. Soll Skalde dem fremden Kind helfen? Oder es wegschicken? Dahin, wo es hergekommen ist, damit alles so bleiben kann, wie es hier schon immer war?

Eine düsteres Zukunftsszenario

Vor diesem Dilemma steht die Ich-Erzählerin in Helene Bukowskis dystopischem Roman "Milchzähne". Die gebürtige Berlinerin, Jahrgang 1993, studiert in Hildesheim "Literarisches Schreiben" und überzeugt mit einem Debüt, das die großen Bedrohungen unserer Gegenwart in eine düstere Zukunft verlagert.
Es geht um den Klimawandel, genauso wie um den Wunsch, sich von allem Fremden abzuschotten, alles Bedrohliche auszusperren. Aber was, wenn das Böse schon im längst Bekannten wohnt?
Skalde ist mit ihrer Mutter Edith in einem verwahrlosten Haus aufgewachsen, das Grundstück durfte sie als Kind nicht verlassen. Hier versorgen sich die beiden selbst, indem sie Kartoffeln anbauen und Kaninchen züchten. Im Tauschhandel bekommen sie von den Nachbarn andere Lebensmittel, aber es mangelt an allem in diesem scheinbar endlosen Sommer ohne Regen - nicht nur an Liebe und Verständnis zwischen Mutter und Tochter.

Starke sprachliche Bilder

Das Leben ihrer starken Frauenfiguren beschreibt Helene Bukowski in einer glasklaren Sprache, die sich hinter den Inhalt zurückzieht. Kurze Sätze ohne Schnickschnack verdichten sich zu intensiven Bildern, die einem lange nicht aus dem Kopf gehen: Wie Edith aus den Fellen geschlachteter Kaninchen dicke Mäntel näht, obwohl man sie in der Hitze nicht brauchen kann; wie Skalde überreife Mirabellen pflückt von einem Baum, der in den letzten Jahren nie Früchte trug, umschwirrt von Wespen - bis sie einen Schuss hört.
"Milchzähne" wirkt wie ein Sog: Je weiter man liest, desto weniger will man das Buch aus der Hand legen. Die Spannung steigt, während der Druck auf die Ich-Erzählerin wächst. Die anderen Bewohner der Gegend verlangen von Skalde, das rothaarige Mädchen auszuliefern.
Die Milchzähne des Kindes spielen dabei eine entscheidende Rolle: Nur wenn sie dem fremden Mädchen ausfallen, hat es eine Chance, von der misstrauischen Gemeinschaft akzeptiert zu werden.
Helene Bukowski erzählt in kurzen, fragmenthaften Kapiteln. Immer wieder streut sie Sätze ein, die sich ihre Ich-Erzählerin auf Zetteln notiert, kleine Beobachtungen, pointiert wie Aphorismen:
"Das Wasser im Pool spiegelt den Himmel, die Oberfläche wirkt stabil, und trotzdem habe ich den Halt verloren."
Dazwischen bleibt Freiraum, in dem sich die Leser die bedrohliche Welt selbst weiter ausmalen können.
Das Setting von "Milchzähne" erinnert in seiner Abgeschiedenheit an "Die Wand" von Marlen Haushofer, in seiner Rohheit an "The Road" von Cormac McCarthy. Was Helene Bukowskis Dystopie aber einzigartig macht, sind ihre sensibel gezeichneten und gleichzeitig toughen Heldinnen, die füreinander Verantwortung übernehmen. Wenn es einen Weg aus der Katastrophe gibt, dann diesen.

Helene Bukowski: "Milchzähne"
Blumenbar, Berlin 2019
256 Seiten, 20 Euro

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