Heitmeyer, Freiheit, Sitzer: „Rechte Bedrohungsallianzen"

Gemeinsam gegen die Demokratie

06:59 Minuten
Bchcover "Rechte Bedrohungsallianzen" von Peter Sitzer
Die Idee von der Ungleichwertigkeit der Menschen gehört zum innersten Kern rechten Denkens, betont Wilhelm Heitmeyer. © Deutschlandradio/Suhrkamp
Von Jens Balzer · 10.10.2020
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Autoritäres Denken findet sich in den verschiedensten Milieus. Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer zeigt in „Rechte Bedrohungsallianzen“, wie die Bündnisse zwischen bürgerlichen und radikalen Rechten die offene Gesellschaft bedrohen.
Die Lage ist ernst, und sie wird immer ernster; die offene Gesellschaft und die liberale Demokratie sind auf dramatische Weise bedroht. Das "rechte politische Spektrum", dessen Angehörige sich einen autoritären Staat wünschen und eine geordnete, homogene Gesellschaft, ist in den letzten Jahren größer und mächtiger geworden, dynamischer und differenzierter.
Es reicht von opportunistischen Intellektuellen und konservativen Politikern über die AfD und Bewegungen wie Pegida bis zu rechtsextremistischen Netzwerken und klandestin operierenden Terrorzellen wie dem "NSU". Zwischen diesen unterschiedlichen Akteuren sind viele neue "Bedrohungsallianzen" entstanden, die zur Radikalisierung rechter Auffassungen ebenso beitragen wie zu ihrer "Normalisierung", also zur generellen Verschiebung der gesellschaftlichen Diskurse nach rechts.

Antidemokratische Ideen bis hinein in den Verfassungsschutz

Das ist die Diagnose, die der Soziologe Wilhelm Heitmeyer – zusammen mit Manuela Freiheit und Peter Sitzer – in seinem neuen Buch "Rechte Bedrohungsallianzen" aufstellt. Er schließt damit an seinen Band "Autoritäre Versuchungen" aus dem Jahr 2018 an sowie an die Langzeitstudie "Deutsche Zustände", die er von 2002 bis 2011 durchgeführt hat.
Mit einer Fülle empirischen Materials legt Heitmeyer dar, wie die Zustimmung zu rechten politischen Thesen gewachsen ist: Etwa die Überzeugung, dass der "Untergang Deutschlands" durch "Überfremdung" bevorstehe; dass Muslime die "kulturelle Identität" zerstörten; oder gar: dass geheime Mächte einen "großen Austausch" der Bevölkerung herbeiführen wollten.
Die lauteste Verstärkerin solcher Überzeugungen ist die AfD; sie finden sich aber auch bei neurechten "Vordenkern" oder bei anerkannten Intellektuellen wie Peter Sloterdijk; und – wie sich in den letzten Wochen drastisch gezeigt hat – beim Personal staatlicher Institutionen wie der Polizei und dem Verfassungsschutz.

Die Verfestigung der rechten Hegemonie führt Heitmeyer vor allem darauf zurück, dass sich die unterschiedlichen Milieus und Akteure ineinander verschränken und gegenseitig verstärken. Das verbreitete Gefühl, dass in einer globalisierten, kapitalistischen Welt die nationale Politik keine Gestaltungsmöglichkeiten mehr hat, wird von den Politikern der AfD in eine Opfer-Erzählung umgewandelt: Die "einfachen Leute" sind Opfer einer Politik, die sich für ihre Belange nicht mehr interessiert.
Daraus wird das Recht zum Widerstand gegen "die Eliten" und einen von ihnen beherrschten Staat abgeleitet und dieses in den sozialen Netzwerken und Echokammern in immer schrillerer und hasserfüllterer Form eingefordert – was rechtsextremistische und neonazistische Gruppen wiederum dazu ermächtigt, ihre Hegemonie-Ansprüche auch in der Welt diesseits des Internets durchzusetzen, mit gewalttätigen Angriffen auf "als anders markierte" Menschen; aber auch, indem Andersdenkende systematisch bedroht und eingeschüchtert werden, bis hin zu dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke.

Ein fesselndes, mit Furor verfasstes Buch

"Rechte Bedrohungsallianzen" ist, bei aller wissenschaftlichen Akribie, ein fesselndes, mit Furor verfasstes, oft erschütterndes Buch. Wie Heitmeyer und seine Ko-Autoren und Autorinnen das Ineinandergreifen der rechten Milieus und die daraus resultierende Eskalationsdynamik nachzeichnen: Das ist erhellend und eindrucksvoll.
Doch nicht an allen Stellen ist die Datengrundlage ganz klar, manchmal stutzt man: Wenn etwa die Zunahme antisemitischer Überzeugungen als Beleg für eine wachsende rechte Hegemonie angeführt wird – welchen Anteil an diesem Zuwachs hat der Antisemitismus, den man in muslimisch geprägten Milieus findet oder in Gestalt jener "Israelkritik", die sich gerade auch in links-bürgerlichen Zusammenhängen zunehmender Beliebtheit erfreut?
Zudem bleibt der alles überwölbende zeitdiagnostische Bezugsrahmen sonderbar blass. Dass der "globale Finanzkapitalismus" mit seiner Prekarisierung der Lebensverhältnisse schuld an der Zunahme autoritärer Einstellungen ist – wie Heitmeyer glaubt –, müsste sich ja darin niederschlagen, dass rechte Parteien vor allem von Abgehängten gewählt werden. Das ist nicht der Fall, wie etwa Philip Manow in seiner Studie über "Die politische Ökonomie des Populismus" nachgewiesen hat.

Abwertung von Menschen gehört zum Kern rechten Denkens

Tatsächlich sind die Anhänger der AfD ökonomisch nicht besonders benachteiligt. Was sie eint, ist die Ansicht, dass sie – aus welchen Gründen auch immer – nicht erhalten, was ihnen zusteht. Ihre Motivation ist nicht Prekarisierung, sondern Chauvinismus: Sie sehen sich schlicht als Menschen, die mehr wert als andere sind.
Die Idee von der Ungleichwertigkeit der Menschen gehört zum innersten Kern rechten Denkens, das betont auch Heitmeyer in seinem Buch. Dennoch übernimmt er in seiner Verbindung von Kapitalismuskritik und Ideologie-Analyse in sonderbarer Weise die Opfer-Erzählung, die er an anderer Stelle so überzeugend als Legitimationsstrategie für Machtergreifungsfantasien entlarvt.
Das ändert nichts daran, dass "Rechte Bedrohungsallianzen" ein wichtiges, überaus lesenswertes Buch ist – vor allem wegen der Entschlossenheit und der Präzision, mit der Heitmeyer, Freiheit und Sitzer das von der Öffentlichkeit zumeist unbemerkte Zusammenspiel zwischen den scheinbar gemäßigten Vertretern des neurechten Denkens und dem gewaltbereiten Rechtsextremismus rekonstruiert.

Wilhelm Heitmeyer, Manuela Freiheit, Peter Sitzer: "Rechte Bedrohungsallianzen - Signaturen der Bedrohung II"
Suhrkamp, 2020
325 Seiten, 18,00 Euro

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