Heinz Bude zum Kurs des documenta-Instituts

Gesellschaft als Kunstwerk verstehen

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Der Soziologe Heinz Bude redend und mit den Händen gestikulierend.
Künstlerische Forschung an der Gegenwart, davon spricht der Soziologe Heinz Bude als neuer Gründungsdirektor des documenta-Instituts in Kassel. © imago images / photothek / Thomas Imo
Heinz Bude im Gespräch mit Julius Stucke · 12.08.2020
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Wo bleibt die Kunst? So fragten manche, als der Soziologe Heinz Bude zum Gründungsdirektor des documenta-Instituts in Kassel berufen wurde. Bude selbst zeigt sich unbesorgt: Kunst wirke auf vielfältige Weise in die Gesellschaft hinein.
Die documenta gilt als bedeutendste Ausstellungsreihe für zeitgenössische Kunst. Alle fünf Jahre reflektiert sie den Stand der Kunst der Gegenwart. Ein eigenes, neues Institut soll nun die Geschichte der documenta erforschen und ihre Arbeit begleiten.

Ein politischer Kopf für die Kunst

Wo es gebaut wird und wann, darüber wird in Kassel derzeit noch kontrovers diskutiert. Aber sein Gründungsdirektor hat nun sein Amt angetreten. Es ist der Kasseler Hochschulprofessor Heinz Bude, der sich bislang als politischer Soziologe einen Namen gemacht hat.
Auf den ersten Blick hat das manche aus dem Feld der Kunst erstaunt und die Frage aufgeworfen, ob ein Gesellschaftswissenschaftler die besten Voraussetzungen dafür mitbringt, ein Haus zu leiten, welches das Profil der documenta in Zukunft entscheidend prägen soll. Doch nach Budes Dafürhalten passen Soziologie und zeitgenössische Kunst hervorragend zusammen.
"Der zweite Blick sagt, dass Gegenwartskunst heute immer ausgreift auf Gesellschaft, zum Teil sogar soweit geht, dass Gesellschaft selber zu einer Art von Kunstwerk gemacht wird", so der neue Direktor. Gerade die letzte Ausgabe der documenta, die 2017 in Kassel und Athen stattfand, habe deutlich vor Augen geführt, dass es ihr um eine Kunst gehe, "die sich auch in den Ort hinein definiert und damit auch in die jeweilige Gesellschaft hinein".

Wissenschaftliche und künstlerische Forschung

Noch bevor Heinz Bude als Gründungsdirektor berufen wurde, waren etwa aus den Reihen der Kunsthochschule Kassel Befürchtungen laut geworden, dass bei den Überlegungen für das documenta-Institut die Kunst zu kurz komme. Bude versteht dies als Anstoß für "eine interessante Debatte, die wir in dem Institut führen müssen". Es werde darum gehen zu klären, "wie das Verhältnis von wissenschaftlicher und künstlerischer Forschung zu sehen ist".
Im Anspruch der documenta, die künstlerischen Stömungen der unmittelbaren Gegenwart einzufangen, sieht Bude eine entscheidende Herausforderung: "Eine der großen Rätselfragen, die dieses Institut bewegen wird, ist die Frage der Zeitgenossenschaft." Zeitgenössiche Kunst messe sich nicht "an irgendwelchen Standards der kulturellen Moderne", sondern sie versuche, "die Gegenwart gegenwärtig zu machen".

Die Stadt hat ihren eigenen Kopf

Das gelte auch für die Arbeit des Institutes selbst, so Bude. Er sehe die Aufgabe des Hauses nicht nur darin, Forschungsergebnisse in Buchform zu publizieren, sondern auch "mit Interventionen künstlerischer Forschung" in die Stadtgesellschaft hineinzuwirken.
Auch dem aktuellen Streit um einen geeigneten Standort für das Institut sieht Bude gelassen entgegen. Dass es in der Stadtöffentlichkeit "eine große Bewegung über diese Frage" gebe, sodass selbst unter Coronabedingungen fast 7000 Unterschriften gegen den bereits geplanten Standort am Karlsplatz gesammelt worden seien, nimmt Bude mit Respekt zur Kenntnis.
Die Stadt habe auch "eine Subjektivität", so Bude. Es gehöre zur Erfahrung der documenta, "dass man eine Ausstellung von Gegenwartskunst nicht so konzipieren kann, dass die Stadt, in der man das stattfinden lässt, gar nicht reagieren darf, sondern nur zum Objekt der Kunst wird".
(fka)
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