documenta archiv bekommt neue Leiterin

Ausbau zu einem "unabhängigen Forschungsinstitut"

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Eine Regalwand voller nach Nummern sortierter Aufbewahrungsfächer im documenta-Archiv in Kassel.
Blick ins documenta archiv in Kassel. © Anita Back
Nadine Oberste-Hetbleck im Gespräch mit Andrea Gerk · 29.04.2020
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In welchem Kontext Kunst geschaffen wurde, kann oft nur anhand von Dokumenten rekonstruiert werden. Verwahrt werden sie im documenta archiv in Kassel. Seine neue Leiterin, Nadine Oberste-Hetbleck, will nun den Blick hinter die Kulissen intensivieren.
Seit seiner Gründung im Jahr 1961 wurden 1,4 Millionen schriftliche, bildliche und elektronische Dokumente über die weltweit wichtigste Ausstellung zeitgenössischer Kunst im documenta archiv in Kassel gesammelt. Am 1. August beginnt nun mit Nadine Oberste-Hetbleck eine neue Direktorin. Die Kölner Kunsthistorikerin tritt die Nachfolge von Birgit Jooss an, die das Archiv im Februar aus familiären Gründen verlassen hatte.
"Den wertvollen Kern des documenta archivs bildet", so Oberste-Hetbleck, "das Archivgut an sich, das durch die verschiedenen kuratorischen Teams der documenta-Ausstellungen über die Jahre entstanden ist." Perspektivisch möchte sie daher, dass das documenta archiv zu einem unabhängigen Forschungsinstitut ausgebaut werde "mit dem klaren Ziel, internationale Exzellenz zu gewinnen", sagt Oberste-Hetbleck. Bisher hatte sie die Juniorprofessur für Kunstgeschichte und Kunstmarkt am Kunsthistorischen Institut der Universität Köln inne. Daher wolle sie nun in ihrer neuen Funktion ihren Fokus auf fächerübergreifende Forschung und internationale Vernetzung mit ins Archiv einbringen.

Kritische Reflektion der NS-Verstrickungen

Angesprochen auf die zuletzt aufgedeckte NS-Verstrickung der documenta verweist Oberste-Hetbleck auf das "Selbstverständnis des documenta archivs als forschende Institution. Hierzu gehört natürlich eine stete kritische Reflexion, auch der documenta-Historie und ihrer Akteure, die im Zentrum der Sammlung stehen. Da bedarf es der Zusammenarbeit mit Partnerinnen und Partnern aus anderen Forschungsbereichen und des vertieften Blicks in die Archivbestände", sagt Oberste-Hetbleck.
Eine blonde Frau in weißem Rolli und schwarzem Blazer lächelt den Betrachter an.
Die neue Leiterin des documenta archivs, Nadine Oberste-Hetbleck (Jahrgang 1978).© Photographer: Helmar Mildner
In Hinblick auf die zukünftige Partizipation des documenta archivs an Ausstellungen sei Oberste-Hetbleck der Meinung, dass Archivalien stärker auch in Kunstausstellungen integriert werden sollten. "Weil sie den Blick hinter die Kulissen ermöglichen", etwa die Entstehungsbedingungen von Kunstwerken. Dies ist bisher beispielsweise mit Bauhaus-Dokumenten realisiert worden. Die nächste Werkschau findet 2022 statt.
Das außerdem geplante documenta Institut solle die auf die documenta bezogene Forschung öffentlich sichtbar machen. Und "auf diese Weise einen Ort schaffen, an dem es während aber vor allem auch zwischen den Weltkunstausstellungen der documenta einen lebendigen Austausch gibt." Ihre Aufgabe als Direktorin sehe sie neben der Leitungsfunktion daher auch in der Verantwortung der unterschiedlichen archivischen Tätigkeitsbereiche und dem Ausbau zum documenta Institut.

Das Archiv der documenta wurde 1961 von Arnold Bode ins Leben gerufen und widmet sich der Archivierung, Dokumentation und wissenschaftlichen Bearbeitung von Text- und Bildquellen zur modernen und zeitgenössischen Kunst, insbesondere zu den seit 1955 stattfindenden documenta-Ausstellungen. Neben den documenta-Unterlagen sind umfangreiche Presse-, Bild- und audiovisuelle Mediensammlungen, eine singuläre Kunstbibliothek sowie einschlägige Vor- und Nachlässe Teil des Bestandes.

(mfi/lsc/epd)
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