Heimatland Sprache

Jürgen Trabant im Gespräch mit Maike Albath · 31.05.2009
Überall auf der Welt verständigen sich die Menschen mittels Sprache. Warum die Sprachen verschieden sind, wie sehr sie von der umgebenden Welt geprägt werden und warum Menschen ihre Sprache lieben, damit befasst sich Jürgen Trabant in seinem Buch "Die Sprache".
Deutschlandradio Kultur: In Schanghai, am Orinoko, in der afrikanischen Savanne oder in Berlin - überall verständigen wir uns durch Sprache. Und jede Sprache ist von der anderen verschieden. Schon in der Bibel ist von der "Überwindung aller Sprachgrenzen" die Rede. Das Pfingsterlebnis, die Ankunft des Heiligen Geistes ist sprachphilosophisch bemerkenswert, denn die Apostel sprechen, wie es heißt, "jeder in einer anderen Zunge und verstehen sich trotzdem".

Sprache, ihre Verschiedenheit und warum Sprache politisch ist, das soll uns heute am Pfingstsonntag in Lesart Spezial beschäftigen. Zu Gast im Studio ist dazu der Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant, herzlich willkommen.

Jürgen Trabant: Guten Tag.

Deutschlandradio Kultur: Als Romanist spricht Jürgen Trabant nicht nur selbst eine ganze Reihe von Sprachen, sondern er ist nach vielen Jahren als Professor an der Freien Universität jetzt Professor für Europäische Mehrsprachigkeit an der Jacobs University in Bremen. "Die Sprache" heißt sein neues Buch, das gerade im C.H. Beck Verlag erschienen ist. Wir wollen jetzt mit diesem Pfingsterlebnis anfangen. Jürgen Trabant, das ist doch eigentlich so etwas wie ein Urtraum der Menschen.

Jürgen Trabant: Ja, es ist ein Urtraum. Der Urtraum ist eigentlich mehr die Einheit der Sprachen. Und hier wird der Urtraum insofern etwas weiter entwickelt, als er ja gleichzeitig schon die Überwindung der verschiedenen Sprachen zeigt, also, sozusagen die Überwindung der Hindernisse, die die Sprachverschiedenheit darstellt. Insofern ist Pfingsten natürlich schon eine besondere Geschichte. Die korrespondierende, ältere Geschichte ist ja Babel, wo die Sprachen gleichsam erfunden werden, und zwar als Strafe vom lieben Gott eingesetzt werden und wo der liebe Gott ein Kommunikationshindernis errichten möchte, damit die Menschen nicht hochmütig werden oder nicht mehr hochmütig sind, nicht mehr so sein wollen, wie er. Pfingsten ist dann die entsprechende Geschichte, in der der Fluch von Babel aufgehoben wird. Insofern ist dieses natürlich ein wunderbarer Traum, dass dann trotz der Verschiedenheit der Sprachen doch Verstehen möglich ist. Aber - und das ist das, was ich immer so schön finde an Pfingsten - es ist ja nicht einfach eine Kassierung der Verschiedenheit der Sprachen, sondern die verschiedenen Sprachen bleiben ja als solche erhalten. Nur die Apostel können eben in den verschiedenen Sprachen zu den Menschen sprechen, die dort in Jerusalem versammelt sind. Und sie sagen ihnen alle die Frohe Botschaft. Also, das Evangelium, der Geist sozusagen hinter dem, was sie sagen, bleibt derselbe. Aber eben die Verschiedenheit der Sprachen bleibt auch. Das ist das, was ich so schön finde, dass man sozusagen dasselbe mit verschiedenen Sprachen sagen kann.

Deutschlandradio Kultur: Nun habe ich aus Ihren verschiedenen Büchern und auch aus dem neuen gelernt, dass ja Babel immer als etwas sehr dramatisches empfunden wird, als Strafe, das wie eine Plage über der Menschheit liegt. Auch die europäische Sprachphilosophie hat es immer als etwas Furchtbares empfunden. Warum hat man dieses Pfingstliche, dieses sich trotz der Verschiedenheit Verstehen-Könnende so wenig gesehen? Und wer hat das dann als erster eigentlich wahrgenommen?

Jürgen Trabant: In der Tat spielt die Geschichte des Alten Testaments, also, einmal die sprachliche Einheit im Paradies und dann die Geschichte von der Verschiedenheit der Sprachen als Strafe, eine große Rolle - eine größere Rolle, als dann diese freundlichere Geschichte Pfingsten, wo die Verschiedenheit wieder als etwas Aufhebbares erlebt wird. Ich denke, dass es deswegen in Europa dann keine große Rolle gespielt hat, weil tatsächlich die christliche Kirche des Neuen Testaments ihrerseits sozusagen in einsprachigen Welten gelebt hat. Erst war sie griechisch. Das ganze östliche Mittelmehr sprach griechisch. Griechisch war einfach die Kultursprache, die Einheitssprache der zivilisierten Welt. Ein paar Jahrhunderte später sprach der westliche Teil des Mittelmeers dann eben lateinisch. Und die Kirche war lateinisch. Die Ostkirche war griechisch und die Westkirche war lateinisch. Es gab sozusagen jeweils eine Sprache der Kirche. Und die Kirchen haben - jedenfalls die Westkirche - eigentlich wenig diese verschiedenen Sprachen durchdacht. Die verschiedenen Sprachen waren ja die Sprachen der Völker, die sie dann eben zum Christentum bekehren mussten, aber das war nicht die Kultursprache. Man dachte nicht über diese niederen Sprachen nach. Das waren die wilden Stämme, die noch nicht zivilisiert waren. Die hatten dann diese eher niedrigeren Dialekte.

In der Tat aber beginnt natürlich die Kirche dann schon, das muss sie ja auch, jedenfalls in der Predigt, so zu sprechen, wie die Völker sprechen. Das heißt, die Predigt war eigentlich immer etwas, was dann schon auch in der Volkssprache getan werden musste. In der Tat beginnt ja dann auch da, sozusagen, wo die Kirche darüber nachdenkt, in welcher Sprache soll sie denn eigentlich predigen, die europäische Reflektion über die verschiedenen Sprachen. Das Interessante ist: Die Intellektuellen der Antike und des frühen Mittelalters haben nicht über die verschiedenen Sprachen nachgedacht, weil sie es nicht mussten.

Deutschlandradio Kultur: Jürgen Trabant, in Ihrem Buch taucht Humboldt immer wieder sehr prominent auf. Er ist ja ein großer Denker der Verschiedenheit. Wilhelm von Humboldt hat das Verschiedene eigentlich immer gepriesen und das dialogische Element, dass man zum anderen spricht und dass es eben etwas Schönes ist, dass es diese vielen verschiedenen Sprachen auch gibt.

Bei Ihnen heißt es an einer Stelle: "Jede Sprache gewinnt der Welt neue Aspekte ab." Das ist also auch ein Phänomen, das wir in den verschiedenen Sprachen unterschiedlich denken. Vielleicht können Sie das noch ein wenig erläutern.

Jürgen Trabant: Wir können ein Beispiel geben, um es einfach mal zu zeigen, was wir mit "Denken" meinen. Wir meinen natürlich nicht, dass profunde Abgründe zwischen dem Sprecher der Sprache A und dem Sprecher der Sprache B bestehen. Die Menschheit ist eben eine, das haben Sie eingangs auch gesagt. Menschen sprechen überall und die Menschen denken auch überall. Es gibt also eine ganze Menge von Gemeinsamkeiten zwischen den Menschen. Dennoch geben die verschiedenen Sprachen, die Welt auf verschiedene Arten und Weisen.

Also, ganz einfaches Beispiel: Das Adjektiv "neu" im Deutschen hat zwei Wörter, die ihm im Französischen entsprechen, nämlich "nouveau" und "neuf". "Neuf" ist materiell neu und das andere ist sozusagen vom Wissen her neu, etwas, das ich noch nicht kenne. Ein voiture neuf ist eins, das direkt aus der Fabrik kommt. Und nouvelle voiture ist ein Auto, das ich noch nicht kenne, also, ein nouvelle voiture kann durchaus ein altes Auto sein, also materiell alt, aber ich kenne es noch nicht. Wir sagen auf Deutsch nur "neu". Wir müssen diesen Unterschied nicht machen zwischen "neuf" und "nouveau". Daran sehen wir schon, dass die Franzosen sozusagen vom Denken her, wenn wir jetzt etwas übertreiben wollen, die Neuheit sozusagen auf verschiedene Arten und Weisen denken müssen.

Das zieht sich ja durch. Auch in der Grammatik ist es anders. Wenn wir wieder noch mal ein französisches Beispiel nehmen wollen: Das lernen die Kinder in der Schule so schwer. Wir haben diesen Unterschied zwischen passe simple und passe compose, also zwei verschiedene Tempora für die Vergangenheit. Das müssen wir Deutschen dann eben erst lernen, weil wir es nicht machen müssen.

Oder Englisch ist vielleicht den Hörern besser vertraut: "Sie singt" auf Deutsch und "she is singing" oder "she sings" auf Englisch. Das sind zwei verschiedene Dinge auf Englisch, die wir im Deutschen nicht zu unterscheiden brauchen. Das meinen wir, wenn wir sagen, dass die Sprachen verschiedene - wie Humboldt sagt - "Weltansichten" haben.

Deutschlandradio Kultur: Ein sehr schönes Wort ist das für diese Vielfalt, die sich da ja auch in den Sprachen dann verbirgt. Es zeigt sich bei Ihnen, wie Sie das auch darstellen, dass es eine große Errungenschaft ist, wenn eine Gemeinschaft, eine Sprachgemeinschaft eine Kultursprache hervorbringt, wenn also auch die Literatur in dieser Sprache geschrieben wird, wenn die Elite diese Sprache spricht. Nun hat man den Eindruck, dass die europäischen Eliten nach und nach, Sie stellen das auch so ein bisschen dar, etwas faul werden und zum Teil auf - wie das nennen - das "Globalesische" zurückgreifen und sich in einem Pseudoenglisch zum Teil unterhalten. Was ist das für ein Phänomen? Wie bewerten Sie das?

Jürgen Trabant: Das ist ja eine ganz komplizierte Geschichte, weil wir sozusagen in Europa wieder mit den verschiedenen Sprachen, die wir entwickelt haben, dann doch wieder zurückgehen, gleichsam zur mittelalterlichen Welt, von der wir gerade eben gesprochen haben, wo es eine gemeinsame Kultursprache gab für die höheren Reden, also: für die Religion, für die Wissenschaft, für die Macht, also die Verwaltung. Die wurde eben auf Lateinisch bewerkstelligt. Und jetzt haben wir sozusagen wieder ein ähnliches Phänomen, das zumindest in den Wissenschaften und in den Techniken Englisch gesprochen wird.

Das ist einerseits natürlich ganz wunderbar, weil wir so dann auch in Schanghai, Sie haben es vorhin erwähnt, aber auch am Orinoko unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse vorstellen können. Das ist das eine. Für das Kommunizieren der wissenschaftlichen Erkenntnisse, auch für die Geschäftswelt ist dieses natürlich großartig, dass man sich sozusagen weltweit verständigen kann. Das ist der Gewinn. Der soll ja überhaupt nicht geschmälert werden und der kann auch gar nicht bezweifelt werden.

Was allerdings dabei verloren geht - und das ist eine Errungenschaft, die wir uns in Europa in 500 Jahren erarbeitet haben -, ist, dass die Kultur, die Literatur, aber auch die Wissenschaft, die Religion, also alles, was wir mit "Kultur" beschreiben können, dass dieses alles eben in unseren jeweiligen Sprachen bewältigt worden ist. Wir sind sozusagen die Erben des Griechischen und des Lateinischen. Früher war die höhere Kultur Griechisch, Lateinisch. Die Literatur übrigens nicht so sehr. Die war immer eher volkssprachlich schon, auch im Mittelalter. Aber dass wir dann sozusagen aufgestiegen sind mit unseren Volkssprachen zur Höhe des Lateinischen, das hat natürlich den Völkern, die das getan haben, auch einen bestimmten Stolz gegeben. Die Deutschen waren stolz darüber, dass sie eben genauso gut waren, wie das Lateinische. Das war die große europäische Bewegung. Und das geht natürlich dann verloren. Diese europäische Kultur ist ja doch eine relativ einheitliche Kultur, aber mit verschiedenen Stimmen. Und diese Verschiedenheit der Stimmen geht verloren, auch gerade mit den Weltansichten, die wir schon besprochen haben.

Ich denke, was wir in Europa tun müssten, ist, ein Bedürfnis erwecken, dass wir so etwas uns eben nicht als einheitliche Kultur nur aufbauen sollen, sondern dass wir wissen, wir verlieren etwas davon und dass wir eben eine gescheite zumindest Zweisprachigkeit entwickeln. Eigentlich bin ich für eine Dreisprachigkeit in Europa und nicht für eine Zweisprachigkeit. Wir müssen natürlich Englisch können. Wir sollen natürlich unsere alten Kultursprachen weiter pflegen. Und wir müssen - denke ich - drittens auch noch eine andere europäische Sprache lernen.

Deutschlandradio Kultur: Das wäre das Mindeste. Es fällt aber auf, dass in vielen gesellschaftlichen Bereichen diese englischen Begriffe Mode sind und auch etwas Schickes darstellen. Im Moment liest man sehr viel von den Bad Banks, den Schrott-Banken, was natürlich noch viel vernichtender klänge, oder auch im journalistischen Bereich gerade hier im Radio ist viel die Rede von Trailern und Teasen und von Headlines sogar, wenn man sich besonders modern gerieren will. Das ist ja auch eine Form eigentlich der Verwahrlosung oder Verschluderung. Oder würden Sie so weit nicht gehen? Man kann ja durchaus erfinderisch mit Elementen aus anderen Sprachen umgehen, aber es führt dazu, dass man sich vielleicht zu sehr auf so ein schlechtes Englisch dann konzentriert und zu faul, zu träge wird, die entsprechenden Begriffe in der eigenen Sprache zu prägen.

Die Schweizer Post hat im letzten Jahr den deutschen Sprachpreis dafür bekommen, wie ich las, dass sie aus den "Meetings" wieder "Besprechungen" gemacht haben. Das ist also auch ein Verdienst. Nun wird man aber leicht in eine unangenehme Ecke gestellt, wenn man zu viel Sprachpurismus einfordert. Welches wäre die richtige Haltung?

Jürgen Trabant: Ich bin auch gar kein Sprachpurist und habe auch gar keine Angst vor fremden Wörtern. Sonst wäre ich ja auch nicht Philologe geworden, der sich mit fremden Sprachen beschäftigt. Also, die fremden Worte oder die "Wörter aus der Fremde", wie Adorno mal gesagt hat, die gefallen mir schon, weil sie auch durchaus prekäre Vertrautheit mit Dingen gar nicht erst vortäuschen. Insofern finde ich das gar nicht so schlecht.

Nur haben Sie natürlich recht, wenn Sie sagen, man sollte nicht zu viel davon haben. Ich sage immer: Man muss halt die Fremdwörter geschmackvoll einsetzen und nicht in ein komisches Kauderwelsch hineinfallen, das dann einfach wirklich hässlich ist oder, wie ich manchmal sage, das Deutsche tendiert ja da hin, sozusagen wie eine Drag Queen dann auszusehen, um das auch mal auf Englisch zu sagen, also, mit allerlei schrillem Zeug daherzukommen, so dass man gar nicht mehr erkennt, was es eigentlich für eine Individualität ist oder welche Person sich hinter all diesem Tinnef verbirgt.

Da haben Sie recht, gegen Übertreibung bin ich auch. Aber vernünftige Entlehnungen aus fremden Sprachen und auch aus dem Englischen finde ich eigentlich in Ordnung. Man sollte es nur nicht zu viel machen.

Ich verstehe es inzwischen. Ich bin etwas milder geworden gegenüber den fremden Wörtern, weil ich ja derzeit an einer englischsprachigen Universität unterrichte, auf Englisch. Und diese englischen Wörter sind natürlich, wenn man zwei oder drei Tage in der Woche nur englisch redet, dann da. Die sind in meinem Kopf.

Deutschlandradio Kultur: Die sind auch so praktisch.

Jürgen Trabant: Die sind praktisch, sie sind kurz und sie sind einfach da. Das ergreift sozusagen ja auch Besitz von unseren Köpfen, wenn die Texte oder die Sprachwelt, in der wir uns bewegen, eben englisch ist. Insofern kann ich das dann schon verstehen, wenn Sie am Rundfunk oder die Banker, die auch so Englisch "die Banker" heißen, in ihrer englischsprachigen Welt dann auch, wenn sie deutsch sprechen, bestimmte Termini dann auf Englisch belassen.

Aber noch einmal: Ich denke, wir sollten uns in der Tat auch bemühen, vielleicht Übersetzungen zu finden. Insofern finde ich ja die französische Sprachqualität an der Stelle gar nicht so dumm, obwohl wir Deutschen immer so furchtbar darüber lächeln. Das ist so eine bestimmte Art von Bewusstsein der Sprache und der Möglichkeiten der eigenen Sprache, dass man doch sehen kann, wir können das auch Französisch, auf Deutsch, auf Italienisch sagen.

Deutschlandradio Kultur: Und der Bewusstwerdung, dass man sich einfach auch immer wieder Mühe gibt und erfindungsreich ist. Fantasie ist ja auch, was mit hineinspielt. Das ist eigentlich das, was das Kreative auch ausmacht und was die Dichter jeden Tag tun müssen. Sie suchen ja immer nach einem richtigen Wort.

Wie verhält es sich mit der Schriftsprache? "Sprache und Schrift" lautet auch ein Kapitel in Ihrem neuen Buch, Jürgen Trabant. Bei der Schriftsprache habe ich auch den Eindruck, dass es in Mode kommt, immer mehr gesprochene Sprache mit hineinzunehmen, also, dass man spontane Ausdrücke verwendet - auch in Rezensionen von Büchern - und plötzlich die Leser anspricht mit "hey". Ist das nicht vielleicht auch eine Gefahr, dass wir in ein paar Jahren schon gar nicht mehr so viel Schriftsprache benutzen dürfen in bestimmten schriftlichen Zusammenhängen?

Jürgen Trabant: Ob es eine Gefahr ist, weiß ich nicht. Es ist eindeutig eine Bewegung, die natürlich damit zu tun hat, dass die audiovisuellen Medien dominant werden in unserer Kultur. Diese Kultur ist eben nicht mehr nur noch eine Schriftkultur. Deswegen werden dann Verfahren, Wörter, Wendungen aus der gesprochenen Sprache auch mehr in das Geschriebene übernommen. Die Frage ist, wie wir das beurteilen sollen. Ein bisschen würde ich die Gefahr nicht so sehr bei dem Mündlichen sehen. Denn da sind ja auch, wie bei den Fremdwörtern, einfach kreative neue Wendungen… Ich finde auch das "Hey" jetzt nicht unbedingt so schrecklich, wenn das mal geschrieben in einer Rezension steht, das hat ja was, das kann so eine Art von Anmache des Lesers auch bedeuten. Das würde ich nicht insgesamt als so negativ sehen. Viel eher scheint mir da die Gefahr, was die Medien und die Sprache angeht, von der großen Dominanz der Bilder zu kommen. Es ist also nicht so sehr das Gesprochen als solches, welches die Schriftsprache in Gefahr bringt, sondern die Dominanz der Bilder, bei denen ja sozusagen die Art und Weise, wie man die liest, nicht vorgegeben ist. Man hat ein Bild, das ist wie so ein Gesamtereignis vor dem Auge. Du weißt ja nicht, ob du das jetzt links oben zu lesen anfangen sollst oder in der Mitte. Alles wird sozusagen assembliert auf einer Totalen. Da fehlen noch Forschungen, um das auch gleich zu sagen, aber mein Eindruck ist ein bisschen - ein bisschen von den schriftlichen Produktionen unserer Studenten auch herkommend -, dass sozusagen Argumentationsstränge nicht mehr durchgehalten werden, weil sie sozusagen nicht mehr an die Linearität der Zeit gebunden sind der Studenten in ihren medialen Wahrnehmungen. Denn Bilder sind Simultanereignisse. Und viele Dinge sind auch zur gleichen Zeit da. Dann werden eben auch in der schriftlichen Produktion dann mal so Stücke einfach nebeneinander gestellt und "da, mach mal, bringe mal die Kohärenz da rein".

Deutschlandradio Kultur: Das ist dann die Ästhetik der Website, die sich in Text übersetzt. Ich denke, da besteht schon eine Gefahr, weil natürlich - Jürgen Trabant - vielleicht verlernt wird mitunter, diese komplexen Zusammenhänge, die sich auch in einem Satz eines Philosophen, in einem komplexen Text widerspiegeln, noch zu entziffern und das auch zu verstehen, also gedanklich zu durchdringen.

Es gibt noch einen Autor, den wir erwähnen sollten, der sich um den - wie er es nennt - "Kampf der Sprachen" Gedanken gemacht hat. Das klingt etwas martialisch. Er heißt Peter J. Weber und hat geschrieben: "Die Europäische Union vor der sprachlichen Zerreißprobe. Kampf der Sprachen". So lautet der Titel seines Buches. Also, es geht um das Verhältnis zwischen den Regionalsprachen und den Kultursprachen. Wie beurteilt Peter J. Weber das? Ist es wirklich so dramatisch, wie es der Titel andeutet?

Jürgen Trabant: Ich denke, der hat schon recht, dass in Europa so ein Kampf besteht, also, einerseits zwischen dem Englischen und den Kultursprachen, die wir schon erwähnt haben, und andererseits dann zwischen den Regionalsprachen und den Kultur- und Nationalsprachen. Denn die Regionalsprachen werden zurecht nicht mehr unterdrückt - das ist ja wunderbar -, gleichzeitig auch vielleicht ein bisschen zu sehr von der EU gefördert. Das ist ja das, was Herr Weber befürchtet, dass sozusagen dieses Europa sich gleichsam in einem Europa der Regionen auflöst.

Beispiel: Katalonien. Gerade die spanischen Regionen sind ja auch tatsächlich politisch brisante Bespiele schon, wo man sieht, dass sich tatsächlich eine Nation gleichsam auflöst, allerdings eine Nation, die natürlich früher ihre Minderheiten wirklich unterdrückt hat. Das muss man schon sehen. Aber dies ist die Gefahr.

Ich denke, da hat Herr Weber schon einen Punkt. Denn auch in Deutschland ist das so. Das ist nicht nur in Spanien so, sondern in Deutschland ist es ja auch so, dass sich zwischen dem Englischen und den Dialekten des Deutschen die Nationalsprache immer mehr verengt - Beispiel Schweiz. Sie haben gerade die Schweiz erwähnt. Ich freue mich, dass die wieder Besprechung statt Meeting gesagt haben. Andererseits ist die Schweiz natürlich gerade das Beispiel, an dem man schön sieht, wie die Kultursprache, die in der Schweiz tatsächlich immer eine Schriftsprache war und ist, gleichsam verschwindet einerseits. Also, das Englische übernimmt so viele Funktionen der Kultursprache in der Schweiz, dass sie das so genannte "Schriftdeutsche" nicht mehr brauchen oder nur noch ganz wenig. Und von unten kommt immer mehr Dialekt bis auch in kleine Diskurse, die vorher auf Schriftdeutsch abgehandelt wurden. Letztes Beispiel ist die Wettervorhersage in der Schweiz. Die METEO ist jetzt auch auf Switzerdütsch, die vorher auf Schriftdeutsch war. Herr Oettinger hat es ja auch gesagt mit diesen beiden Werbesprüchen für Baden-Württemberg. "Wir könnet alles außer Hochdeutsch" einerseits. Dann hat er ja noch den Schwaben empfohlen, sie sollen Englisch als Arbeitssprache lernen. Und zwischen der Arbeitssprache Englisch und dem Schwäbischen verschwindet dann das Deutsche. Diese Gefahr ist es, die Weber in seinem Buch beschwört. Da hat er schon Recht. Da sieht er, dass wir da zu einem vernünftigen Gleichgewicht kommen müssen.

Nochmal: Es geht nicht nur um das Gleichgewicht zwischen den Kultur- und Nationalsprachen und dem Englischen, sondern auch zwischen den Regionalsprachen und den Nationalsprachen.

Deutschlandradio Kultur: Was wären Möglichkeiten, gegen diese Entwicklungen ein bisschen anzusteuern? Wie können wir die Sprache stärker pflegen? Möglicherweise muss man in der Schule beginnen. Was können wir in der Erziehung machen, damit Kinder auch diesen Sprachspaß entwickeln und im Deutschen verbleiben und das Deutsche auch noch weiterhin eine Kultursprache bleibt, die lebendig ist?

Jürgen Trabant: In Deutschland ist es natürlich ein Problem, wenn die Eliten, auch jetzt die jungen Eliten, so massiv zum Englischen übergehen, denen, die noch nicht da sind in der Nationalsprache, zu sagen: Jetzt müsst ihr aber Deutsch lernen. Wenn Herr Oettinger sagt, eure Arbeitssprache ist Englisch, warum sollte ein junger Migrant überhaupt Deutsch lernen? Das Deutsche hat gar keine Funktion mehr. Also kann der sein Türkisch zu Hause sprechen und Englisch dann in der Arbeit. Das Deutsche fällt da sozusagen raus. Ich denke, wir müssen tatsächlich sehen - so wie wir es am Anfang auch gesagt haben -, dass diese nationalen Kultursprachen eben wirklich bedeutende Kreationen sind, dass eben doch nicht alles in der Globalsprache gemacht werden kann, sondern dass wichtige Bereiche der nationalen Kultur - Verwaltung, Zeitung lesen, Teilnahme an nationaler Politik, noch wird ja deutsch im Bundestag gesprochen -, dass dieses nur möglich ist, wenn man die Sprache gut kann.

Das wissen wir ja nun. Es geschieht ja endlich auch was, dass in den Vorschulen, in den Kindergärten tatsächlich eine nationalsprachliche Förderung stattfindet in einem erheblichen Sinn. Das ist den Leuten schon klar und es muss gemacht werden.

Andererseits konkurriert - und ich finde, das ist das Problem - gleichsam mit dieser Förderung der deutschen Sprache eben dieser Englischunterricht. Der Frühenglischunterricht ist natürlich wunderbar für Kinder, die schon gut Deutsch, nämlich das Normdeutsch können. Für ein türkisches Kind ist das vielleicht nicht so toll mit dem Frühenglisch. Der müsste erst mal ein bisschen Frühdeutsch haben. Da, denke ich, müssen wir einfach zu einem vernünftigen Austarieren dieser verschiedenen Lernziele kommen. Bei den Migranten geschieht jetzt was. Wir müssen aber dann auch noch bedenken, was wir mit den jungen Eliten machen. Wie sagen wir denen, dass es vielleicht nicht so furchtbar wichtig ist, dass ihr Kind schon mit zwei Jahren Englisch kann oder so.

Deutschlandradio Kultur: Man hört dann mitunter auf der Straße Kinder in perfektem Englisch sprechen, aber das Deutsche holpert noch ein bisschen. Oder sie lernen gleich Mandarin, weil die Eltern denken, mit Chinesisch kommt man jetzt ganz weit nach vorne.

Jürgen Trabant, es zeigt sich immer wieder, in Europa auch noch, in der nahen Gegenwart, dass Sprache ungeheuer politisch aufgeladen wird. Sie haben das Beispiel Katalonien genannt. Das gab es aber auch auf dem Balkan. Da war es zu beobachten. Wie kommt es dazu? Sind es Minderheiten, die dann über die Sprache eigentlich ein politisches Interesse vertreten wollen? Was sind das für Prozesse?

Jürgen Trabant: Ich würde erst mal sagen: Sprache ist prinzipiell politisch. Ich und du, wir zwei sind eine Gemeinschaft. Also sind wir Polis, sind wir Gesellschaft. Das Sprachliche ist sozusagen von vornherein im Politischen angesiedelt. Deswegen ist es immer eine Frage der Herstellung von Gemeinschaft, wenn wir uns die Frage stellen, welche Sprache wir denn gemeinsam sprechen sollen. Wollen wir überhaupt eine gemeinsam sprechen? Das ist - wenn Sie so wollen - das Philosophisch-Allgemeine. Andererseits haben wir dann eben in den Prozessen, von denen wir vorhin schon gesprochen haben, also, seit der Renaissance eben doch dieses Bewusstwerden der europäischen Nationen, dass sie eben besondere Sprachen sprechen, dass sie in diesen Sprachen auch ihre Identität finden. Wir haben das in Europa bis zu den furchtbaren durchgespielt, die ja zum Teil - das muss man auch sagen - Sprachkriege waren. Wir dachten eigentlich doch, dass dieses vorbei sei. Und nun erleben wir an anderen Stellen Europas, dass sozusagen die Rhythmen Europas verschieden sind, dass wir an anderen Stellen Europas eben dann noch einmal diese Sprachauseinandersetzungen haben, die Europa schon einmal ins Verderben gestürzt haben. Da ist es eben auch wichtig, da könne Europa, also die Europäische Union, tatsächlich mäßigend wirken.

Nehmen wir ein Beispiel, wie Balkan - Serbien und Kroatien, wo dieselbe Sprache mit ein paar kleinen Unterschieden gesprochen wird und mit dem kleinen Unterschied der Schrift -, dass man da, wenn man sie sozusagen aufnimmt in eine größere Gemeinschaft, diese akzentuierten Unterschiede wieder aufhebt in einer größeren Gemeinschaft. Durchaus, die Serben sollen ja serbisch schreiben, wenn sie wollen, und die Kroaten sollen auch ihrerseits auch Kroatisch als Kroatisch meinetwegen bezeichnen. Das ist dann gar nicht so wichtig. Aber ich glaube, die größere Einheit könnte ihnen auch wieder zeigen, dass sie eine alte gemeinsame Kultursprache haben.

Deutschlandradio Kultur: Wir haben über diese großen Fragen diskutiert, ob Sprache politisch ist und inwiefern sie politisch ist, anhand zweier neuer Bücher mit Jürgen Trabant, der im Studio zu Gast war. Wir haben über den Band "Die Sprache" gesprochen, erschienen bei C. H. Beck, von Jürgen Trabant, und über das Buch von Peter J. Weber "Kampf der Sprachen", erschienen im Krämer Verlag.

Es gibt noch genügend Zeit für eine Buchempfehlung von Jürgen Trabant. Was möchten Sie in diesem Zusammenhang unseren Hörern noch ans Herz legen?

Jürgen Trabant: Sie haben vorhin Wilhelm von Humboldt erwähnt. Ich möchte den Hörern eigentlich gern zwei neue Bücher über Wilhelm von Humboldt und eben nicht nur über Wilhelm von Humboldt, sondern auch über Caroline von Humboldt, seine Frau, und Alexander von Humboldt, seinen Bruder, ans Herz legen. Es gibt zwei wunderbare Bücher, eines von Hazel Rosenstrauch. Das heißt "Wahlverwandt und ebenbürtig". Das bezieht sich insbesondere auf das Paar Caroline und Wilhelm. Es ist auch eine Geschichte der Ehe, auch eine Geschichte der Frauenemanzipation und Frauenbildung. Das trifft auch für das andere Buch zu, "Die Brüder Humboldt" von Manfred Geier, im Rowohlt Verlag erschienen. Es geht in beiden Büchern auch um Sexualität. Das finde ich eigentlich so interessant. Es sind sozusagen neue Biographien der Humboldts, beider Humboldts - Alexander, Wilhelm bzw. aller drei Humboldts - und Caroline, diese außerordentlich interessante Frau, die Partnerin und Ehefrau von Wilhelm von Humboldt. Neu gesehen, also, neue Biographien, wo zum größten Teil bekannte biographische Fakten eben noch einmal neu von Manfred Geier und Hazel Rosenstrauch beleuchtet werden. Das müssen Sie lesen. Und Sie müssen eben beide Bücher zusammenlesen.

Deutschlandradio Kultur: Warum ist es so wichtig, dass beide Bücher zusammen gelesen werden? Ist es tatsächlich diese Dreierkonstellation, die diese Paare auch ausmacht?

Jürgen Trabant: Ja. Beide Bücher haben allerdings den Fehler, dass sie sozusagen den Dritten immer unterbeleuchten. Bei Geier kommt Caroline quasi nicht vor und umgekehrt auch, also, bei Hazel Rosenstrauch kommt Alexander nicht genügend vor, finde ich jedenfalls.

Das dritte Buch, das jetzt geschrieben werden müsste, wäre sozusagen das Buch über die drei. Die drei gehören aber schon zusammen. Für Wilhelm Humboldt war sein Bruder Alexander einfach das andere Ich, wie dann später seine Frau sein anderes Ich wurde. Deswegen gehören diese beiden Bücher so zusammen.

Deutschlandradio Kultur: Mit diesen Empfehlungen von Jürgen Trabant geht unsere Sendung zu Ende. Die Bücher will ich Ihnen noch einmal nennen: Hazel Rosenstrauch "Wahlverwandt und ebenbürtig" heißt das eine, "Caroline und Wilhelm von Humboldt" im Untertitel. Es ist erschienen im Eichborn Verlag. Der andere Titel stammt von Manfred Geier: "Die Brüder Humboldt", bei Rowohlt.

Jürgen Trabant: "Die Sprache"
C.H. Beck Verlag

Peter J. Weber: "Kampf der Sprachen"
Krämer Verlag