Rassismusverdacht an der Krippe
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Die Heiligen Drei Könige stehen für Vielfalt und Harmonie an der Krippe: als Vertreter der drei Kontinente Europa, Asien, Afrika. Doch was tun, wenn sie keine Geschenke bringen, sondern rassistische Vorurteile? In Ulm ist darum ein Streit entbrannt.
Heiliggesprochen wurden sie nie, ob es drei waren, ist ungewiss, und Könige waren es auch nicht. Aber der Reihe nach. In der Bibel finden sie nur bei dem Evangelisten Matthäus Erwähnung:
"Als Jesus zur Zeit des Königs Herodes in Bethlehem geboren worden war, kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem und fragten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen", so heißt es im zweiten Kapitel des Matthäus-Evangeliums.
Könige, Sterndeuter, Magier – auf jeden Fall: Geschenke
Die Sterndeuter, die auch als Magier bezeichnet werden, bringen dem neugeborenen König Geschenke mit: Gold, Weihrauch und Myrrhe.
"Gold steht als Zeichen für Reichtum und Macht, Weihrauch als Symbol für religiöse Würde und die Anwesenheit Gottes, und Myrrhe fand in biblischer Zeit als Salböl bei Krankheiten Anwendung und symbolisiert auch das Leiden und den Tod", erläutert Klaus Porten vom Krippenmuseum Klüsserath an der Mosel.
Die Zahl der Geschenke führt Ende des dritten Jahrhunderts zu der Schlussfolgerung, es müssten wohl drei gewesen sei, zu Königen werden die drei Weisen, indem man das Alte Testament als Prophezeiung interpretiert: für das Kommen des Messias. Man beruft sich unter anderem auf den Psalm 72:
"Die Könige kommen mit Gaben. Alle Könige müssen ihm huldigen, alle Völker ihm dienen."
Namen und Beschreibungen voller Symbolik
Im 6. Jahrhundert bekommen die drei Sterndeuter, die ja mittlerweile zu Königen geworden sind, auch Namen – die zum Beispiel von Kindern gesungen werden, wenn sie als Sternsinger von Haus zu Haus ziehen: Caspar, Melchior und Balthasar.
"Diese Namen sind unterschiedlichen Sprachen entnommen", erläutert der Freiburger Kulturwissenschaftler Werner Mezger: "Caspar geht auf das Altpersische zurück, Melchior auf Hebräisch, und Balthasar ist ein Mischname aus hebräischen und babylonischen Sprachwurzeln, man wollte in den Namen schon etwas Kosmopolitisches ausdrücken."
Die symbolische Deutung geht aber noch weiter, sagt Mezger. Die drei Könige seien oft auch mit den Lebensaltern in Verbindung gebracht worden: Melchior habe man als Greis gesehen, Caspar als Jüngling, und von Balthasar werde berichtet, dass er "fuscus" gewesen sei, lateinisch: dunkel, schwärzlich, wobei sich das auf den Bart bezogen habe.
Aus schwarzem Bart wird schwarze Haut
Aus schwarzem Bart und schwarzem Haar wurde im 13. Jahrhundert Balthasar mit schwarzer Haut, manchmal war aber auch Melchior der schwarze König. Die drei standen nicht nur für unterschiedliche Lebensalter, sondern für die damals bekannten Erdteile Europa, Asien und Afrika.
"Das ist ein Versuch, in einer schönen Erzählung deutlich zu machen, worum es theologisch geht: Da ist jemand geboren, der eine Verkündigung für die ganze Welt hat", erklärt Volker Leppin, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Tübingen.
Dem Reformator Martin Luther war die Legende von den Heiligen Drei Königen eher ein Graus, ihm fehlte die biblische Basis für die Legende. Bei den Katholiken sah das mit dieser Erzählung anders aus. "Sie ist eine Zeit lang sehr katholisch genutzt worden im Kampf gegen die Reformation", sagt Volker Leppin. "Da wurde von den Jesuiten die Krippe als eines der Medien genutzt, um auch das Ganzheitliche des katholischen Glaubens deutlich zu machen."
Die Darstellung der drei Könige ist im Lauf der Kulturgeschichte unterschiedlich ausgefallen. So in dem Tafelgemälde "Die Anbetung der Könige", das Pieter Breughel 1564 fertigstellte. "Wobei die beiden weißen Könige von ihrem Gesichtsausdruck her alles andere als einen intelligenten Eindruck machen", sagt der Kulturwissenschaftler Werner Mezger. "Der einzige, der wirklich einen visionären Blick hat, der die Dimension des Geschehens erkennt, das ist der schwarze König. Und das ist ganz wichtig, wenn es aus heutiger Perspektive die rassistischen Vermutungen gibt, die ursprünglich nicht dahintersteckten. Ganz im Gegenteil."
Der schwarze König als rassistisches Zerrbild
Im Ulmer Münster entstand im Oktober eine Debatte um eine rassistische Darstellung des schwarzen Königs, der hier Melchior heißt. Melchior wird – rassistisch überzeichnet – mit wulstigen Lippen und einem Goldring am nackten Fuß dargestellt. Die drei Ulmer Krippenfiguren, in den 1920er-Jahren von dem Künstler Martin Scheible geschnitzt, wurden vorerst aus dem Münster entfernt.
"Deshalb wollen wir da keine Figur ausstellen, die schwarze Menschen verächtlich macht", erläutert der Ulmer Dekan Ernst-Wilhelm Gohl. "Und deshalb sagten wir, wir nehmen alle drei Könige raus. Wenn man jetzt nur den Schwarzen rausnimmt, das wäre ja völlig absurd, dann hätten wir ja genau die Diskussion, als ginge es darum: Darf ein schwarzer König an der Krippe sein, ja oder nein? Und das ist nicht das Thema. Natürlich ist ein schwarzer Mensch in der kirchlichen Tradition Teil der Könige."
Volker Leppin begrüßt die Entscheidung: Das Evangelium sei ganz klar ein Evangelium, wo – wie Paulus sage – weder Jude noch Heide, noch Mann noch Frau gelte. Genauso könne man sagen: weder weiß noch schwarz, so Leppin. "Das heißt, das Evangelium steht gegen jede Form von Rassismus. Wo ich an der Krippe rassistische Elemente entdecke, muss ich diese Elemente entfernen aus dem liturgischen Kontext."
Streit um Krippenfiguren im Ulmer Münster
Doch die Entfernung der drei Könige aus dem Münster fand nicht nur in Ulm, sondern auch um Ulm herum ein enormes mediales Echo. "Da war ich sehr überrascht, auch von der Heftigkeit", sagt Dekan Ernst-Wilhelm Gohl. Die Diskussion dokumentierte einige Missverständnisse – auch bei dem Klüsserather Krippenfreund Klaus Porten:
"Ich bin persönlich der Meinung, dass er auch zu der Krippe gehört. Zu Christus hat jeder Zugang. Wenn man jetzt hingehen würde, in allen Krippen den schwarzen König rauszunehmen, das wäre für mich rassistisch, das wäre fatal."
Doch darum geht es gar nicht. Nicht der schwarze König sollte entfernt werden, sondern alle. Und vor allem sollte kein König entfernt werden, weil er schwarz ist. Ausgerechnet Kritiker vom rechten Rand erhoben den Vorwurf, im Ulmer Münster sei man rassistisch. Der evangelische Dekan Ernst-Wilhelm Gohl bilanziert: "Wir seien die wahren Rassisten. Dann wird es ja absurd. Wenn Rassisten anderen Menschen Rassismus vorwerfen."
Die Zukunft der Könige ist ungewiss
Von einem Vorschlag des württembergischen Landesbischofs Frank Otfried July, die Krippe in der Kirche stehen zu lassen und den kulturgeschichtlichen Hintergrund auf einer Tafel zu erläutern, hält Ernst-Wilhelm Gohl nichts: "Man stellt etwas aus und distanziert sich zugleich davon? Das ist nichts, was in der Kirche zur Andacht führen soll."
Nach dem ganzen Wirbel will die Münstergemeinde nun in Ruhe überlegen, wie es mit den Heiligen Drei Königen weitergehen soll. Doch eines scheint sicher: Die rund 100 Jahre alten Figuren werden nicht in die Kirche zurückkehren.