Hörspielproduzentin wird 80
Dass man Heikedine Körting ihr Alter nicht ansieht, führt sie auf die Beschäftigung mit Hörspielen für junge Menschen zurück. © picture alliance / dpa / Marcus Brandt
Heikedine Körting: Leben für das Hörspiel

Über 3.000 Hörspielproduktionen, zig Millionen verkaufte Tonträger und 32 Milliarden Streams, alleine der Serie „Die drei ???“: Heikedine Körting prägt die deutsche Popkultur seit den 70ern. Nun wird die „Königin der Hörspiele“ 80 Jahre alt.
Die drei ???, TKKG, Fünf Freunde, Hanni und Nanni, Hui Buh… Heikedine Körting hat bei vielen der beliebtesten Hörspielserien Regie geführt und produziert. In den 1980ern trug die Generation der „Kassettenkinder“ die gelben Tonträger des Labels Europa in kleinen Köfferchen überall mit sich herum, und Millionen von Kindern sind mit Figuren wie Justus Jonas oder Klößchen aufgewachsen. Aber auch im Streamingzeitalter ist die Popularität vieler Serien und ihrer Ableger ungebrochen, immer wieder entdecken neue Generationen die vielseitige und faszinierende Welt der Hörspiele für sich.
Seit über 50 Jahren nimmt Körting in ihrem Studio mit viel Herzblut Geschichten auf, aktuell 36 Hörspiele im Jahr. Sie entstehen an einem besonderen Ort: einer von der Architektenlegende Martin Haller erbauten Jugendstilvilla an der Hamburger Rothenbaumchaussee. Bis heute zieht Körting die analoge Tonbandaufnahme der digitalen Produktion vor.
Auch mit 80 Jahren gibt es für die gelernte Juristin keinen Grund, mit den Hörspielen aufzuhören. Dass sie ausgerechnet in diesem Bereich einmal so erfolgreich arbeiten würde, war jedoch alles andere als selbstverständlich.
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Hustensaft statt Marmelade
Ihre Lebensgeschichte klingt selbst wie Literatur: Heikedine Körting kommt kurz nach Kriegsende, am 18. Juni 1945, in einem Blaubeerfeld nahe Jena zur Welt. Ihr Vater ist in Kriegsgefangenschaft, ihre Mutter ist kurz zuvor aus Berlin geflohen und strandet schließlich mit ihr und ihren beiden Brüdern in Lübeck, wo Körting in bescheidenen Verhältnissen aufwächst. Statt Marmelade bekommen die Kinder Hustensaft aufs Brot, den die Mutter beim Arzt für sie erschwindelt.
Mit sieben Jahren erkrankt sie an Polio und ist monatelang mit der Kinderlähmung zu Hause ans Bett gefesselt. Körting flüchtet sich in eine Fantasiewelt. Mit Medikamenten und viel Training und Gymnastik überwindet sie schließlich auf einem Bauernhof in Bayern die schwere Krankheit, die sie sehr prägt. In der Schule hat sie es nicht leicht. „Ich fantasiere zu viel, stand beispielsweise unter meinen Aufsätzen“, erinnert sich Körting heute. Schon früh lebt sie ihre überbordende Vorstellungskraft in Form von kleinen Hörstücken aus, die sie gemeinsam mit ihren beiden deutlich älteren Brüdern aufnimmt. Sie interessiert sich für Literatur und Theater, entscheidet sich aber zunächst für etwas Solideres.
Von der Autowerkstatt ins Gericht
In den 1960ern studiert Heikedine Körting Jura in Genf und Hamburg, was zu jener Zeit noch eine absolute Männerdomäne ist. Solche Zuschreibungen halten Körting jedoch nie von etwas ab, für das sie sich entschieden hat, sie ist eine Macherin. Von Anfang an arbeitet sie, um sich ihr Studium finanzieren zu können. Sie fährt für Apotheken aus, jobbt in einer Autowerkstatt und besorgt sich einen Gewerbeschein, betreibt einen Modeladen und eine Galerie. Mit der fällt sie zwar finanziell auf die Nase, rappelt sich aber immer wieder auf.
In Hamburg lernt sie ihren späteren Mann Andreas Beurmann kennen, der seit 1965 das Hörspiel-Label Europa betreibt und unter anderem mit der Karl-May-Hörspielserie erfolgreich ist. Von Natur aus neugierig, schaut sie den Tonmeistern und der Regie über die Schulter. Als eines Tages die Stelle des Regisseurs vakant wird, springt Heikedine Körting kurzerhand ein. Sie wird die Hauptproduzentin und -regisseurin des Europa-Labels. „Eigentlich habe ich mir das alles irgendwie abgeguckt“, sagt sie später über den Anfang ihrer Hörspielkarriere. Die Juristerei hängt sie trotzdem nicht an den Nagel: Am Oberlandesgericht in Hamburg verhandelt sie bis heute Urheberrechtsfälle.

Heikedine Körting arbeitet nicht aus Nostalgie mit analogen Bandmaschinen. Sie ist davon überzeugt, dass sie für ihre Aufnahmen besser geeignet sind als digitale Geräte.© picture alliance / dpa / Marcus Brandt
Ein Erfolg jagt den nächsten
Nach dem Gerichtssaal erobert Körting als eine der ersten Frauen nun auch das Tonstudio. Hörspiele haben seit Ende des Krieges in Deutschland immer weiter an Popularität gewonnen, das Geschäft brummt. Die Villa in der Rothenbaumchaussee wird zu einem Tummelplatz bekannter deutscher Schauspielerinnen und Schauspieler. Für viele von ihnen sind die Hörspiele eine willkommene Abwechslung vom damals sehr populären Regietheater. Unter ihnen ist auch Hans Paetsch, der mit den Produktionen aus dem Haus Europa zum „Märchenonkel der Nation“ und zu einer Sprecherlegende wird.
1972 beginnt Körting, die erfolgreiche Kinderbuchreihe „Hanni und Nanni“ der britischen Autorin Enid Blyton als Hörspielserie zu produzieren. 1978 folgt „Fünf Freunde“, ebenfalls im Original von Blyton.

Für Hörspielfans ist die Villa in der Rothenbaumchaussee ein Pilgerort. Hier sind die weltweit bekanntesten Hörspiele entstanden.© picture alliance / dpa / Marcus Brandt
Die drei ???, TKKG und die Ära der „Kassettenkinder“
Kurz darauf erzählt ein Freund ihrer Patenkinder Körting von einer Buchreihe mit dem Titel „Die drei ???“. Sie liest eines der Bücher und weiß: „Das müssen wir machen.“ Der Rest ist Geschichte. Bis heute ist die Krimi-Reihe rund um die Detektive Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews die erfolgreichste Hörspielserie weltweit. Heikedine Körting lässt es sich nicht nehmen, das Geheule des „seltsamen Weckers“ aus der gleichnamigen Folge zu übernehmen. Und bis heute krächzt sie den Papagei Blacky, der in jeder Folge vorkommt.
Das Geheimnis ihres Erfolges ist die Hingabe, mit der sie an die Produktionen herangeht: „Wir machen eben nicht irgendwie ein gelesenes Buch, sondern wir machen ein Hörspiel, eine Spezies sui generis, eine Sache, die ganz und gar für sich sprechen muss. Ich kann sagen: Ohren auf, Augen zu und dann hineinversetzen. Und das so, dass so viel mehr Fantasie blühen kann, als wenn man einen Film sieht.“
Nur zwei Jahre später landet Körting mit „TKKG“ den nächsten Coup. Die 1980er sind die Zeit der „Kassettenkinder“: Dank portabler Abspielgeräte und der berühmten Kassettenkoffer sind die gelben Europa-Kassetten in jedem Kinderzimmer und auf jeder Schwimmbad-Liegewiese präsent.
Hörspiel-Hype nach Dürrezeit
Ende der 1980er-Jahre ebbt der Hörspiel-Boom der Nachkriegszeit ab. Es ist eine schwierige Zeit für Körting, ihren Mann und das Europa-Label. Das Paar muss sich gut überlegen, ob es das gemeinsame Lebenswerk überhaupt weiter betreiben kann. Doch die beiden kämpfen sich durch das Tal, was sich als ein echter Glücksfall erweist: Einige Jahre später sind die Kassettenkinder selbst Eltern oder einfach alt genug, um nostalgisch auf ihre Kindheit zurückzublicken.
Das Hörspiel erlebt nach seiner Entstehung in den Zwanzigern und dem Boom der Nachkriegszeit seinen dritten Höhenflug: Die langlebigen Audio-Serien werden zunächst zum Hype, dann schließlich zu einer nicht mehr wegzudenkenden Institution. 2016 stirbt Andreas Beurmann, der bis kurz vor seinem Tod die Rolle des Onkel Titus in „Die drei ???“ gespielt hat.

Andreas Fröhlich, Oliver Rohrbeck und Jens Wawrczeck (v.l.) treten auch live als "Die drei ???" auf und füllen damit Arenen. © picture alliance / Jazzarchiv / Jazz Archiv / Michi Reimers
Heute kommen Tausende Menschen zu den Liveauftritten von den „Die drei ???“-Sprechern Oliver Rohrbeck, Jens Wawrczeck und Andreas Fröhlich. Sie werden dabei gefeiert wie Popstars. Heikedine Körting selbst ist lieber kein Star. Sie ist froh, wenn sie ungestört ihrer Leidenschaft nachgehen kann, für die sie seit über 50 Jahren brennt. Sie wurde mit über 200 Goldenen Schallplatten ausgezeichnet, ist Guinness-Rekordhalterin als Deutschlands erfolgreichste Hörspielproduzentin und wurde 2022 für ihre vielen kulturellen Verdienste mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.
Heikedine Körtings Hörspiele bedeuten für Millionen von Menschen eine auditive Heimat, sie spenden Trost und gelten trotz ihrer spannenden Storys als sanfte und sichere Einschlafhilfe. Auch für Heikedine Körting selbst. Im Vorwort zu ihrer gerade erschienenen Biografie schreibt sie: „Wir sollten das Leben genießen, es kann so schnell vorbei sein. Deshalb versuche ich, jeden Abend mit einem Lächeln ins Bett zu gehen. Oder zumindest mit einem schönen Hörspiel.“