Heidenau

"Es gibt nicht nur den Mob"

Bild vom Willkommensfest für Flüchtlinge in Heidenau.
In Heidenau gab es am Freitag ein Willkommensfest für Flüchtlinge. © Deutschlandradio / Nadine Lindner
Hannes Merz im Gespräch mit Ute Welty · 29.08.2015
Nach den Krawallen vor einer Flüchtlingsunterkunft im sächsischen Heidenau hat ein Willkommensfest ein Gegensignal gegen den rechten Mob gesetzt, berichtet der Heidenauer Grünenpolitiker Hannes Merz. Viele Menschen vor Ort seien inzwischen "aufgewacht".
Der sächsische Grünenpolitiker Hannes Merz sieht im Willkommensfest für Flüchtlinge im sächsischen Heidenau ein positives Signal und ein Zeichen dafür, dass sich die Situation vor Ort wende.
"Es sind, glaube ich, in Heidenau und in der Region viele Leute mittlerweile aufgewacht, die vorher gedacht haben, es ist schon nicht so schlimm bei uns", sagte der Heidenauer im Deutschlandradio Kultur. Auch einige Bürger, die in der vergangenen Woche bei den rechtsextremen Ausschreitungen vor der Flüchtlingsnotunterkunft "mit Nazis zusammen auf der Straße standen", hätten gemerkt, mit "wem sie sich dort eingelassen haben", erklärte der grüne Lokalpolitiker, der Mitglied im Kreisvorstand Sächsische Schweiz/Osterzgebirge ist, selbst in Heidenau lebt und seit Beginn der Auseinandersetzungen um die Notunterkunft für Flüchtlinge in Heidenau täglich vor Ort ist.
Ein Zeichen, dass es nicht nur den Mob gibt
Das Willkommensfest für Flüchtlinge eine Woche nach den fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Heidenau, das von dem Bündnis "Dresden Nazifrei" organisierte wurde, habe ein positives Signal für die Flüchtlinge, aber auch nach außen gesetzt und sei am Freitagnachmittag friedlich und in freundlicher Stimmung gefeiert worden, berichtete Kopp. "Es war ein deutliches Zeichen, dass es nicht nur den Mob gibt, der am Wochenende auf der Straße war, sondern auch die anderen Leute." Es habe schließlich auch davor schon Menschen in Heidenau gegeben, die sich konkret mit Hilfsangeboten für Flüchtlinge einsetzten.
Versammlungsverbote wegen polizeilichen Notstands bringen Demokratie in Gefahr
Angesichts des vom Landkreis bis Montag verhängten Versammlungsverbots wegen polizeilichen Notstands, das für das Fest vom Gericht nur teilweise und auf Antrag aufgehoben wurde, warf der Grünenpolitiker dem sächsischen Innenministerium Versagen vor. "Es ist mittlerweile das dritte in diesem Jahr in Sachsen. Wenn wir jetzt soweit sind, dass wir die öffentliche Sicherheit nicht mehr gewährleisten können, dann läuft etwas gewaltig schief." Das Demonstrationsrecht gelte für alle: "Und wenn es im Vorfeld keine Aufrufe zu Gewalt gibt, dann muss man auch eine Nazi-Demo zulassen. Wenn Menschen nicht mehr die Möglichkeit haben, ihre Meinung auf der Straße kundzutun, unabhängig davon, ob mir oder anderen diese Meinung gefällt, dann sehe ich schon gewisse Grundpfeiler unserer Demokratie in Gefahr."
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Das vollständige Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Erst wurde ein Versammlungsverbot für Heidenau erlassen, dann aufgehoben und jetzt doch wieder vom zuständigen Oberverwaltungsgericht bestätigt. Die gute Nachricht in diesem Hin und Her ist: Das Willkommensfest für Flüchtlinge in Heidenau, das konnte stattfinden, 700 Menschen haben friedlich gefeiert. Die angekündigte rechtsextreme Demonstration für heute, die wird offiziell wohl nicht stattfinden. Darüber mag man sich vielleicht freuen, aber entspricht das tatsächlich demokratischen Prinzipien? Das bespreche ich jetzt mit Hannes Merz. Er ist Mitglied im Kreisvorstand von Bündnis 90/Die Grünen in der Sächsischen Schweiz. Guten Morgen, Herr Merz!
Hannes Merz: Guten Morgen!
Welty: 700 Menschen, ich hab's gerade gesagt, haben friedlich gefeiert in Heidenau – was war Ihr Eindruck von diesem Willkommensfest?
Merz: Mein Eindruck war ein sehr positiver. Die Leute haben friedlich, freundlich miteinander gefeiert, hatten Spaß, und es war auch eine Atmosphäre der Dankbarkeit da. Die Geflüchteten aus der Unterkunft waren sehr dankbar, dass sie so viele Menschen gesehen haben, die ihnen freundlich gegenübergestanden haben und die sie wirklich begrüßt haben.
Welty: Das haben sie auch leider auch schon anders erlebt. Glauben Sie, dass die Wirkung eines solchen Festes auch über den Tag oder den Abend hinaus anhält, dass der Blick auch von außen auf Heidenau ein anderer wird?
"Ein deutliches Zeichen, dass es nicht nur den Mob gibt"
Merz: Ich würde es mir wünschen, weil es war ja ein deutliches Zeichen, dass es eben nicht nur den Mob gibt, der am Wochenende auf der Straße war, sondern eben auch die anderen Leute. Es ist ja auch so, dass in Heidenau es auch schon davor viele Leute gab, die sich für die Flüchtlinge eingesetzt haben, die dort Deutschkurse organisiert haben oder die Leute in ihren ersten Schritten im Alltag begleitet haben.
Welty: Abgesehen vom Willkommensfest sind alle anderen Versammlungen in Heidenau an diesem Wochenende verboten mit der Begründung, es herrsche polizeilicher Notstand. Da fragt man sich ja schon, warum herrscht der heute früh und nicht gestern Abend.
Merz: Ja, das ist die große Frage. Ich würde es mal so sagen: Was wir da erleben mit diesem polizeilichen Notstand – wohlgemerkt, es ist mittlerweile der dritte in diesem Jahr in Sachsen –, ist aus meiner Sicht ein Versagen des Innenministeriums. Also wenn wir jetzt soweit sind, dass aufgrund der massiven Personalkürzung bei der Polizei faktisch die öffentliche Sicherheit nicht mehr aufrechterhalten werden kann – und nichts anderes ist ja im Prinzip ein polizeilicher Notstand –, dann läuft irgendwas gewaltig schief.
Welty: Was läuft denn genau schief?
"Grundpfeiler unserer Demokratie in Gefahr"
Merz: Wenn sozusagen das Demonstrationsrecht eingeschränkt werden muss, weil wir nicht mehr genug Polizei haben und Menschen nicht mehr die Möglichkeit haben, ihre Meinung auf der Straße kundzutun – jetzt mal ganz unabhängig davon, ob mir oder anderen diese Meinung gefällt –, dann sehe ich sozusagen schon gewisse Grundpfeiler unserer Demokratie in Gefahr.
Welty: Dieses Hin und Her, das klingt ja auch schon sehr danach, dass die sächsischen Gerichte mit zweierlei Maß messen. Ist das denn im Grundsinne nach demokratisch und wäre es nicht besser, man lässt eine rechte Demonstration offiziell zu, die man dann vielleicht auch besser kontrollieren kann?
Merz: Ja, wie gesagt, das Demonstrationsrecht gilt für alle, und wenn es sozusagen im Vorfeld keine direkten Aufrufe zur Gewalt gibt auf solchen Demonstrationen, muss man diese natürlich zulassen, und dann muss man auch eine Nazidemo zulassen. Und ich bin mir relativ sicher, dass für die Polizei vor Ort sicherlich so was Offizielles besser handhabbar ist, als wenn sich dann irgendwie Kleingruppen von Nazis durch eine Stadt bewegen.
Welty: Befürchten Sie weitere Ausschreitungen in Heidenau?
Viele Leute in Heidenau und der Region sind mittlerweile "aufgewacht"
Merz: Das ist eine ganz schwierige Frage. Das ist sicherlich situationsabhängig. Ich würde es nicht komplett ausschließen, ich würde aber schon sagen, dass sich jetzt auch die Situation ein bisschen geändert hat. Also es sind, glaube ich, in Heidenau jetzt und in der Region allgemein viele Leute mittlerweile aufgewacht, die vorher irgendwie immer so gedacht haben, na ja, das ist schon nicht so schlimm bei uns, und ich denke, auch ein Teil von den Bürgern, die gerade letzte Woche Freitag mit den Nazis zusammen auf der Straße standen, haben jetzt gemerkt, mit wem sie sich dort eingelassen haben.
Welty: Aber sie haben die Kanzlerin auch entsprechend begrüßt respektive verabschiedet mit Rufen von, "Wir sind das Pack!".
Merz: Ja, das stimmt, deshalb sagte ich ja, das, was jetzt in nächster Zeit passiert, können wir relativ schlecht einschätzen, und es zeigt ja auch, dass noch viel Arbeit vor uns liegt, um mit den Leuten zu sprechen und auch die Situation wieder ein bisschen zu beruhigen in Heidenau.
Welty: Er setzt auf Kommunikation, der grüne Kommunalpolitiker Hannes Merz aus Heidenau in der Sächsischen Schweiz. Ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch!
Merz: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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