Hebammenmangel

Keine Sonntagskinder in Emden

09:09 Minuten
Ein neugeborenes schreiendes Baby wird nach der Geburt von einer Hebamme gewogen.
Deutschlandweit macht sich vor allem in Kleinstädten und ländlichen Regionen ein oft dramatischer Hebammenmangel bemerkbar. © Getty / Christopher Furlong
Von Felicitas Boeselager · 19.11.2019
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Jede Frau hat Anspruch auf eine Hebamme – so will es das Gesetz. Das nützt aber nichts, wenn es nicht genug Hebammen gibt. In Emden in Ostfriesland blieb deshalb der Kreißsaal vorübergehend am Wochenende geschlossen.
Sabine Peters sitzt in ihrer frisch bezogenen Wohnung in Oldenburg, erst vor wenigen Wochen hat sie ihren Lebensmittelpunkt hierher verlagert. Vorher hat sie als Hebamme in Ostfriesland gearbeitet, war in einer Klinik angestellt und leitete eine eigene Hebammen-Praxis. Die führen jetzt andere.
"In diesem Fall war das jetzt bedingt durch die Schwangerschaften meiner Kollegin, die ja eigentlich eine schöne Sache sind. Da hat mich dann einfach der Mut verlassen. Ich dachte, ja, ich hab jetzt keine Lust, wieder mit dieser Sucherei anzufangen. Ich wusste dann auch nicht mehr, wo ich suchen soll. Ich habe einfach die Lust verloren."
Die oft vergebliche Suche nach neuen Hebammen hat Peters in den vergangenen Jahren viel Zeit gekostet. Diesen Personalmangel bekommen aber auch die Kreißsäle in den Krankenhäusern immer häufiger zu spüren:
"Die Stellen waren ja ausgeschrieben, es hat sich einfach niemand dafür beworben. Oder es haben sich immer mal welche beworben, haben ein paar Wochen gearbeitet und festgestellt, das artet richtig in Arbeit aus, und das wollten sie doch nicht so gerne. Also, die haben sich dann eben was anderes gesucht. Und im Moment kannst du dir ja auch aussuchen, wo du hingehst."

Kreißsaal am Wochenende zu

Der Hebammenmangel hat in Ostfriesland konkrete Folgen: Seit Oktober ist der Kreißsäle im Klinikum Emden am Wochenende geschlossen. Das sei ein Drama für die Familien sagt Heike Terwiel von der Hebammenzentrale Leer: "Wir sind eigentlich schon angehalten in den Geburtsvorbereitungskursen, also schon vor der Geburt, den Frauen zu sagen: Also habt immer einen Plan B, es kann sein, eure Klinik ist vielleicht an dem Wochenende nicht erreichbar, oder sogar geschlossen, und sucht euch also immer ein zweites Krankenhaus aus, wo ihr notfalls hingehen könntet."
Inzwischen gibt es aber eine leichte Entwarnung für Emden, ab 23. November soll der Kreißsäle auch am Wochenende wieder geöffnet sein, erzählt Andrea Janssen, Sprecherin des Klinikums:
"Jetzt haben wir immer noch Krankheitsfälle, aber wir haben eine Stelle zusätzlich besetzen können und darüber hinaus haben die Hebammen, die dort sind, ihre Stellenanteile vorübergehend erhöht, um diese Vakanz, die wir da haben aufzufangen. Also, da zeigt sich auch das hohe Engagement für ihren Beruf. Die haben ja alle ihre Gründe, warum sie ein Teilzeitmodell wählen, und trotzdem haben sie sich zusammen gesetzt, um den Frauen, auch wieder eine Geburtshilfe an sieben Tagen die Woche anbieten zu können."

Fast alle Geburtsstationen geschlossen

Das Teilzeitmodell. Viele Hebammen nutzen es, entweder weil sie Familie haben, oder weil eine Vollzeitstelle in einer Klinik schlicht zu anstrengend ist. In den vergangenen Jahren haben fast alle Geburtsstationen in der Umgebung geschlossen, so ist die Zahl der Geburten in den größeren Kliniken gestiegen, die Anfahrtswege für die Frauen sind weiter geworden und die Taktung im Kreißsäle höher. Das hat nicht nur für die Hebammen Folgen, sagt Terwiel von der Hebammenzentrale Leer, sondern auch für die schwangeren Frauen:
"Für mich ist ganz klar, Anfang und Ende des Lebens ist ein wichtiger Moment, das ist allen eigentlich ganz klar, da braucht es besondere Momente. Das ist emotional auch anstrengend für diejenigen Menschen, die brauchen eine gute Begleitung. Also ich habe gestern noch von einer Frau gehört, die nicht mal gefragt wurde, nach einem großem komplikationsreichen Vorfall bei der Geburt: ‚Wie geht es ihnen jetzt? Wie traurig Frauen darüber sind, dass nicht mal dafür die Zeit ist in einer Klinik."

Kliniken sollen zusammengelegt werden

Terwiel führt das auf die Überlastung der Geburtshelferinnen zurück. Auch Kliniksprecherin Janssen berichtet, dass Hebammen sich über fehlende Zeit mit den Frauen beklagen. Eine Eins-zu-Eins- Betreuung sei nicht mehr möglich, auch deshalb sollen die verbleibenden Kliniken zusammengelegt werden, sagt Andrea Janssen:
"Für die Häuser in Emden, Aurich und Norden wählen wir ja den Weg der weiteren Zentralisierung, wir planen eine gemeinsame Zentralklinik in der Mitte der drei Städte und dort wird es dann nur noch eine Geburtshilfliche Abteilung für diese Region geben."
Die Klinik verspricht sich davon alle Fachkräfte an einem Ort bündeln und so ein verlässlicheres Schichtsystem anbieten zu können. Eine Entwicklung, die unter Geburtshelferinnen aber kritisch gesehen wird. Sabine Decker, Leiterin der Hebammenzentrale Aurich:
"Eine Entlastung ist das, glaub ich, nicht, weil es schön ist, wenn es sich verteilt und die Wahlmöglichkeit für die Frauen auch bleibt. Die Frauen haben ja gar keine Wahlmöglichkeiten mehr, weil es nur noch die Klinik gibt. Und wenn dann noch die Kliniken drum rum schließen. Aber ich kann auch die Kliniken verstehen."

Das Durchschnittsalter einer Hebamme: Mitte 50

Die Wahlmöglichkeit für die Frauen ist auch für Heike Terwiel aus Leer ein wichtiges Thema. Hausgeburten oder Geburten in Geburtshäusern könnten die Kreißsäle entlasten, argumentiert sie. Aber viele Frauen bevorzugen eine Geburt in großen Kliniken, in denen zum Beispiel auch eine Kinderklinik angeschlossen ist. Außerdem ist die Versicherung für Hebammen, die Hausgeburten durchführen, sehr teuer und schreckt viele Hebammen ab.
In Ostfriesland, wie in vielen anderen Regionen in Deutschland, liegt das Durchschnittsalter der Hebammen bei Mitte 50. Das heißt, wenn sich nichts ändert, wird sich der Mangel weiter verschärfen, prognostiziert Stephanie Decker. Sie arbeitet sowohl in der Klinik als auch als freie Hebamme, 60 Stunden in der Woche. Neben der hohen Arbeitsbelastung spielt aber auch das niedrige Gehalt eine Rolle, warum sich immer weniger Frauen für diesen Beruf begeistern können:
"Denn das ist ein 24-Stunden-Job, der überhaupt nicht honoriert wird, und das ist sicherlich auch ein bisschen frauenbedingt, das denke ich schon, weil die Frauen sich häufiger mit weniger zufrieden geben und sagen: ‚Naja, ich mache es ja gerne‘. Das ist auch gar keine Frage bei mir, ich mache den Job gerne. Aber ich hätte ihn auch gerne besser bezahlt. Denn ohne meinen Mann könnte ich meine Familie nicht ernähren, ich könnte kein Häuschen haben, wo ich drin wohne, geschweige denn Urlaub machen, weil da würde ich zu wenig für verdienen."

Überlastung und schlechte Bezahlung

Aber selbst wenn Hebammen mehr Geld angeboten bekommen, wollen sie wegen der hohen Belastung häufig nicht Vollzeit in Kliniken arbeiten. Trotzdem fehlen sie nicht nur in den Kliniken, auch die freien Geburtshelferinnen werden immer weniger.
"Also, für die Frau bedeutet das, dass sie sich frühzeitig um eine Hebamme kümmern muss, am besten mit Schwangerschaftstest positiv. Dann müssen sie die Hebammenliste nehmen und die Hebammen durchtelefonieren. Was inzwischen gut angenommen wird, ist die Hebammenzentrale."

Auf die Inseln kommt die Hebamme nur alle 14 Tage

Die Hebammenzentralen in Aurich und Leer sind eine Maßnahme, mit dem Mangel umzugehen. Hier werden Hebammen direkt an Frauen vermittelt, ohne dass die Schwangeren bei 30 verschiedenen Stellen anrufen müssen. Zehn Prozent der Schwangeren im Landkreis Aurich konnten vergangenes Jahr nicht versorgt werden. Das läge aber nicht allein am Mangel, erklärt Decker.
"Die Auricher Hebammen können 50 Kilometer fahren, so wie jede andere Hebamme auch, das ist für unseren Landkreis aber gar nicht machbar, denn wenn ich von Aurich nach Norden fahren möchte, dann habe ich schon eine Strecke von 30km, das heißt, ich komme über die 50 Kilometer und kriege dies nicht bezahlt von der Krankenkasse. Und damit fällt schon mal eine Betreuung weg."
Das ist besonders für die Frauen auf den ostfriesischen Inseln ein Problem. Für die Betreuung während der Schwangerschaft kommt nur alle zwei Wochen eine Hebamme auf die Inseln. Vier Wochen vor der Entbindung müssen dann viele Familien ein Hotelzimmer oder eine Ferienwohnung auf dem Festland nehmen. Eine Wochenbettpflege daheim ist nicht möglich.

Die Überlastung tut dem Berufsstand nicht gut

Während Sabine Peters in Oldenburg nur noch 60 Prozent arbeitet und darüber nachdenkt, ihren Beruf nach 30 Jahren ganz an den Nagel zu hängen, hat Stephanie Decker aus Aurich noch Hoffnung, dass sich die Situation in Zukunft entspannt.
"Weil sonst würde ich ja hier nicht immer so viel Parammel machen und sagen: Mensch, wir müssen hier was tun. Es ist gut, dass wir hier die Akademisierung kriegen, es ist gut, dass wir Hebammenzentralen haben, es ist gut, dass wir Nachwuchs kriegen. Wenn ich nicht doch ein bisschen Hoffnung hätte... weil, ich mach das ja schon fast 22 Jahre und ich möchte das ja eigentlich gerne weiter machen."
Die vielen Geschichten über die Überlastung von Hebammen täten ihrem Berufsstand nicht gut, sagt Decker. Bei allem Druck und Ärger habe sie doch einen der schönsten Berufe der Welt gewählt.
"Den Dank der Familien, den man kriegt und dieses Lob und dieses Strahlen, wenn man zu denen nach Hause kommt und man hat gut miteinander gearbeitet, das kriege ich ja jetzt fast nirgendwo. Und ich glaube, dass ist das, was Hebammen oben hält – wo man einfach sagt, och Mensch, das ist toll, dass man noch nach 18 Jahren die Hebamme erkennt, die einen früher betreut hat."

Auch unser Autor Michael Watzke hat sich mit dem Thema "Hebammen" beschäftigt. An der Katholischen Stiftungshochschule in München gibt es seit Kurzem einen Studiengang für Hebammenkunde. Watzke hat mit Studierenden und Lehrenden gesprochen: Kommt die Hebammenzunft durch die Akademisierung auf stabilere Füße?
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