Hebammenmangel

Alleine im Kreißsaal

09:35 Minuten
Eine schwangere Frau lehnt in einem Kreißsaal an einer Sprossenwand und stützt den Kopf vor Schmerzen auf den Arm. (Symbolbild)
Unmittelbar vor der Geburt und auch danach ohne Hilfe und Beistand einer Hebamme: Viele Schwangere stürzt der Hebammenmangel in Krankenhäusern in Verzweiflung. © picture alliance / Zoonar / Oksana Shufrych
Von Anke Petermann · 19.12.2022
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Immer mehr Krankenhäuser schließen ihre Geburtshilfe und Wochenstationen. Ein Grund: Es fehlen Hebammen. In Rheinland-Pfalz sind bald einige Landkreise ohne Geburtskliniken. Nach Protesten hat der Bund nun aber doch mehr Mittel bewilligt.
Anfang 20 war Mariam Estfanos, als sie ihr erstes Kind zur Welt brachte. Weil der Geburtstermin überfällig war, wurde die Geburt medikamentös eingeleitet. Dennoch dauerte es noch tagelang, bis sich der Muttermund öffnete. Die junge Mainzerin war komplett verunsichert, hatte Angst und es war ihr wichtig, eine Hebamme an ihrer Seite zu haben.
Die Studentin bekam die erwünschte Hilfe während des sehr langen, schmerzhaften Geburtsprozesses. „Empathische Unterstützung“, betont sie. Auch und vor allem, als die Schmerzen übermächtig wurden und sie sich eine Periduralanästhesie, kurz PDA, wünschte.

Der Blick auf das Normale

Die Spritze zur Betäubung der Rückenmarksnerven setzte ein Arzt, danach überwachte weiter eine Hebamme den Geburtsprozess.
Caroline Münchbach arbeitet im Diakonissen-Stiftungs-Krankenhaus Speyer. Mehr als 3000 Geburten gibt es dort im Jahr – die größte Entbindungsstation in Rheinland-Pfalz. Zur Funktion der Hebammen in der klinischen Geburtshilfe sagt die leitende Hebamme:

Das ist eine Besonderheit, dass Hebammen tatsächlich den Blick auf das Normale haben und die Frauen darin fördern und unterstützen, dass Geburt möglichst ohne Interventionen läuft, dass die Frau in ihrer Stärke bestärkt wird, dass sie das selber kann. Wir sind evolutionär dafür gemacht, dass wir Kinder bekommen können, brauchen eben nur eine gute Vorbereitung und eine gute Unterstützung während der Geburt, dass wir es gut schaffen können.

Caroline Münchbach, Hebamme

Am besten in einer Eins-zu-eins-Betreuung im Kreißsaal. Die Voraussetzungen dafür wären eigentlich gut, findet Caroline Münchbach, denn in Deutschland seien noch nie so viele Hebammen ausgebildet worden wie aktuell.

Flucht in die Selbstständigkeit

Doch nach vier, fünf Jahren im Krankenhaus flüchten viele Hebammen in die Selbständigkeit, weil ihnen der Klinikalltag zu stressig wird. Die Personaldecke in vielen Kliniken ist dünn. In Hochphasen – wenn gerade viele Geburten anstehen – führt das zu einer extremen Arbeitsverdichtung.
Ein Grund, warum ein Großteil der Hebammen nach der Familienphase nicht in die Klinik zurückgeht. Große Geburtshilfestationen wie im Frankfurter Bürgerhospital oder im Diakonissen-Stiftungs-Krankenhaus Speyer haben Anwerbe- und Unterstützungsprogramme für Wiedereinsteigerinnen aufgelegt, bislang mit mäßigem Erfolg.

Kreislauf des Mangels

Bleiben teure Leasing-Dienste, die den Etat der Geburtshilfe stark belasten. Wenn Geburtshilfe-Stationen schließen, beklagt Münchbach als leitende Hebamme, kommt der Kreislauf des Mangels immer wieder neu in Gang.
„Es ist leider nicht so, dass, wenn eine Geburtenklinik zumacht, dass dann die Hebammen automatisch sofort in die nächste Geburtsklinik wechseln. Sondern die Hebammen, die dort gearbeitet haben, gehen meistens für die Klinik verloren, die gehen meistens nicht mehr in eine Klinik oder selten.“
Aber auch die Wege für schwangere Frauen zur nächsten Geburtshilfe werden mit der schrumpfenden Auswahl an Kliniken immer länger.

Hebammen spenden Mut

Mariam Estfanos hatte Glück. Auch bei der Geburt des zweiten Kindes, Ende November, fand sie das katholische Klinikum Mainz gut ausgestattet vor.
Soeben hat die Mittzwanzigerin ihr Baby gestillt, es hat sich verschluckt. Sie legt es an die Schulter und klopft ihm sanft den Rücken. Erinnert sich daran, wie eine junge, frisch ausgebildete Hebamme nach Schichtwechsel noch blieb, um die Entbindung mitzuerleben. Wie eine erfahrene Hebamme dazu kam und beide sie ermutigten, als sie aufgeben wollte.

Vor allem gegen Ende, als die Presswehen kamen, dachte ich, ich habe keine Kraft. Die haben mich ermutigt weiterzupressen. Und ich dachte, da passiert doch eh nix. Da greifen sie ein und sagen: 'Du schaffst das, du kannst das, und beim nächsten Mal versuchst du, das und das zu machen. Dann drückst du das Baby noch mehr raus, anstatt dass du rumschreist.‘ Also, es war tatsächlich hilfreich. Es war nicht drum herumgeredet, sondern wirklich effektiv.

Mariam Estfanos, Patientin auf der Geburtsstation

Trotz Geburtsverletzungen und starker Schmerzen bleibt der jungen Mutter das positive Gefühl, dass sie es mit effektivem Coaching gut bewältigt hat. Estfanos weiß, dass die intensive Hebammen-Betreuung, die sie erlebt hat, keine Selbstverständlichkeit ist. Schockiert hatte sie ein halbes Jahr vor der Geburt ihres zweiten Kindes der Bericht einer Verwandten aus einer anderen Mainzer Klinik.

Starke Wehen - und niemand hilft

„Sie stand eine halbe Stunde vor dem Kreißsaal, obwohl es losging", berichtet Estefanos. "Und das stelle ich mir ganz schlimm vor, wenn man tatsächlich starke Wehen hat und dann eine halbe Stunde warten muss, bis jemand die Tür öffnet, weil sie so einen starken Personalmangel hatten und teilweise noch haben. Da hat mir die Geschichte Angst eingejagt. Ich dachte, wenn mein Kind kommt, kann ich mir nicht vorstellen, das im Flur zu bekommen.“
Ohne Hebamme. Undenkbar?

„Aufgrund des Personalmangels war halt keine Person da. Die haben die Geburt – mein Cousin und seine Frau – großenteils allein durchgemacht, ohne weitere Hilfe erst mal. Und als der Kopf rausgeschaut hat, also die Haare des Babys, da haben sie gesagt, es reicht jetzt, eine Hebamme soll jetzt kommen, es ist ja jetzt schon so weit.‘ Dann kam tatsächlich jemand, nur um das Kind rauszuholen, und dann war das tatsächlich erst mal alles.“

Es braucht eine solide Finanzierung

Bis zur weiteren Versorgung war wieder langes Warten angesagt. Um Eltern solche Erlebnisse und Risiken zu ersparen, muss die Geburtshilfe solide finanziert werden, fordert der Deutsche Hebammenverband. Doch eine neue Regelung drohte die Geburtshilfe finanziell noch stärker auszubluten.
Ab 2025 sollten Hebammen nicht mehr aus dem Pflegebudget von Kliniken bezahlt werden. Dann hätten Krankenhäuser Hebammen kündigen müssen. Das Vorhaben der Ampel-Koalition in Berlin stieß aber auf Widerstand. Eine Online-Petition sammelte 1,6 Millionen Unterschriften.

120 Millionen für zwei Jahre

Die Bundesregierung gab dem Druck nach und änderte ihre Pläne – sehr zur Freude des Hebammenverbandes. Der teilte nach dem Bundestagsbeschluss schriftlich mit:
„Bewilligt wurden für die nächsten zwei Jahre jeweils 120 Millionen Euro zusätzlich für die klinische Geburtshilfe sowie die vollständige Finanzierung von Hebammenleistungen auf Stationen und im Kreißsaal über das Pflegebudget ab 2025.
Damit wurden die entscheidenden Voraussetzungen geschaffen, um Hebammen auch zukünftig in den Kliniken zu halten und notwendige Schritte für eine längst überfällige Reform der klinischen Geburtshilfe einzuleiten.“
So die Hoffnung. Auch in einer anderen Problematik gibt es Bewegung: bei den Pflegepersonaluntergrenzen. Die regeln, wie viel Personal pro Patient ein Krankenhaus mindestens zur Verfügung stellen muss, um die Qualität zu sichern.

Wochenstationen ohne Hebammen?

Doch in der Ursprungsversion zählte die Verordnung aus dem vergangenen Jahr Hebammen nicht zu den Pflegekräften, sondern zu den „sonstigen Berufen“. Deren Anteil darf nur zehn Prozent des Pflegepersonals ausmachen. Bei einem höheren Anteil hätte das Krankenhaus Strafe zahlen müssen.
Deshalb hätte die Wochenstation am Diakonissen-Stiftungs-Krankenhaus Speyer künftig ohne Hebamme auskommen müssen. Aber, so begründet Caroline Münchbach den massiven Widerstand auch gegen diese Regelung: „Sie ist diejenige, die dafür originär ausgebildet ist.“

Hilfe und Rat für Mütter und Babys

Ausgebildet, um Mütter und Babys in den ersten Tagen zu begleiten, unter anderem beim Stillen zu beraten, sagt die leitende Hebamme in Speyer. Genau diese Erkenntnis scheint inzwischen im Bundesgesundheitsressort angekommen zu sein. Vielleicht hat der massenhafte Protest nachgeholfen.
„Es hieß, auch die Pflegepersonaluntergrenzenverordnung soll angepasst werden, sodass die Hebammen mitgezählt werden. Vollwertig, und nicht nur wie eine Hilfskraft prozentual. Ich glaube, auch da soll nachgebessert werden.“
Sicher ist das allerdings erst, wenn die Verordnung geändert ist.
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