Hebamme Tobias

Pionier im Kreißsaal

05:36 Minuten
Ein junger Mann mit schwarzer Brille und dunklem T-Shirt
Für Tobias selbst spielt sein Geschlecht auf der Arbeit keine Rolle, es gäbe wichtigere Eigenschaften, die eine Hebamme mitbringen sollte, sagt er. © Fräulein Fotograf
Von Shahrzad Golab · 11.06.2022
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Früher hießen sie Entbindungshelfer, doch seit 2020 werden auch Männer offiziell Hebammen genannt. Bis heute gibt es nur sehr wenige. Tobias ist einer von ihnen. Sein Beruf ist für ihn Berufung. Bereits mit 15 Jahren stand er zum ersten Mal im Kreißsaal.
„Man braucht halt wirklich ein dickes Fell und wenn man irgendwas wirklich will und daran festhält, dann schafft man das auch. Da muss man sich halt auch einfach durchbeißen.“
Wenige Stunden vor seiner Nachtschicht treffe ich Tobias. Er sitzt in seiner Wohnung in Berlin und möchte vorher am liebsten noch eine Runde in der Sonne spazieren gehen. Nachtschicht, das heißt für ihn von zehn Uhr abends bis in den Morgen hinein Kindern auf die Welt helfen.* Tobias ist 23 Jahre alt und von Beruf Hebamme.“

Gut vernetzt in der Community

„Also es ist jetzt seit 2020 so, dass alle Geschlechter sozusagen jetzt die Berufsbezeichnung Hebamme erhalten.“
Davor hießen männliche Hebammen offiziell noch Entbindungspfleger. Männliche Hebammen sind in Deutschland die Ausnahme. Etwa 22 gibt es in Deutschland, schätzt Tobias. Mit fast allen hat er hin und wieder Kontakt. Über Social Media ist die Hebammen-Community gut vernetzt, vor allem auf Instagram teilt die “Hebamme Tobi” ihren Alltag mit über 5000 Followern.

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Für Tobias selbst spielt sein Geschlecht auf der Arbeit aber keine Rolle, es gäbe wichtigere Eigenschaften, die eine Hebamme mitbringen sollte. In seinem pinken Kittel sticht Tobias unter den anderen Hebammen aber trotzdem heraus, auch wenn der Kreißsaal schon früh ein großer Teil seines Lebens war.
„Ich bin durch meine Mutter auf den Beruf gekommen. Wir sind als Kinder groß geworden damit, haben gelernt, was es heißt als Hebamme zu arbeiten, was es heißt, wenn die Mama Weihnachten nicht da ist. So sind wir groß geworden, haben sie auch besucht auf der Arbeit und mich hat das dann so angesprochen, dass ich gesagt habe okay, das will ich auch gerne machen bzw. den Beruf kennenlernen.“

Mit 15 zum ersten Mal im Kreißsaal

Mit 15 Jahren steht Tobias dann das erste Mal in einem Kreißsaal. Wenn er darüber redet, klingt der etwas zurückhaltende Tobias fast ein bisschen stolz. Praktikumsplätze im Kreißsaal sind heiß begehrt und oft gibt es mehr Interessierte als wirkliche Stellen. In seinem Praktikum in einem Berliner Krankenhaus reagierten fast alle positiv auf ihn. Und auch heute seien viele werdende Mütter zwar überrascht, wenn sie ihn sehen. Einwände, dass er bei der Geburt behilflich ist, sind selten.
„Klar gibt es immer irgendwie Leute, die das nicht so gut finden oder die sagen, okay, sie können damit nicht so viel anfangen, das ist okay. Dann tauschen wir bei uns im Haus bei der Betreuung. Aber das ist wirklich selten geworden.“
Dafür hat Tobias größtes Verständnis. Schließlich gibt es vielerlei Gründe, wieso Schwangere lieber eine weibliche Hebamme oder auch eine weibliche Gynäkologin bevorzugen.

Vorurteile bei Ausbildungskolleginnen

„Natürlich gibt es auch Frauen, die Gewalterfahrungen gemacht haben, sexuelle Gewalt bzw. körperliche andere Gewalt. Aber ich habe auch Frauen mit Gewalterfahrung bei der Geburt gehabt, die mir das Vertrauen entgegengebracht haben. Das sind halt so unglaublich viele Situationen und jede Geburt ist da unterschiedlich und individuell und das muss jeder für sich selber entscheiden. Ja, also wir drängen ja niemandem irgendwas auf, sondern wir versuchen da wirklich, dass die Leute sich das überlegen dürfen, ganz klar.“
Das Vertrauen, das ihm die Schwangeren oft entgegengebracht haben, vermisste Tobias zeitweise von seinen Kolleginnen - etwa als er nach der Schule als erster Mann in Thüringen seine Hebammenausbildung anfängt.
„Wenn erwachsene Frauen dich ignorieren, wenn du vor ihnen stehst und ihnen was sagst und sie dich angucken. Es sind Umgangsformen, wie mit dir geredet wird, wie Kritik geäußert wird. Und das hat mich einfach geprägt und damit habe ich schlechte Erfahrungen gemacht.“

Baby-Tattoo auf dem Unterarm

Am rechten Unterarm trägt Tobias ein schlichtes kleines Tattoo - die Umrisse eines Babys, das im Arm gehalten wird. Er liebt es, Hebamme zu sein. Aber schönreden, will er die Arbeitsbedingungen von Hebammen nicht. Im Kreißsaal gibt es weitaus größere Probleme als welches Geschlecht die Hebamme hat, sagt er.
„Die größte Herausforderung ist einfach die Zeit heutzutage in der Betreuung. Die ist nicht mehr so gewährleistet, wie wir sie gerne auch hätten.“

Einen Plan B hat er nie gehabt

Während einer typischen Schicht, gebären etwa zwei bis drei Personen, erzählt Tobias. Die muss er vor und nach der Geburt untersuchen. Untersuchen, begleiten, ansprechen, organisieren, planen, trösten, Rat geben - Pausen? Utopisch. Einen anderen Beruf kann sich Tobias trotzdem nicht vorstellen und auch einen Plan B hat er nie gehabt. Neben seiner Arbeit im Kreißsaal, leitet er heute die Elternschule der Klinik und studiert nebenbei Medizinpädagogik. Viel Zeit für Freizeit bleibt da nicht. Höchstens Familie, Freunde und mal eine Runde Spazierengehen eben.
„Hebamme, das ist halt nicht dieser Nine-to-Five-Job wie bei der Bank oder in der Bäckerei irgendwie und wir machen den Laden zu, sondern du guckst einfach, dass es allen gut geht.“
Als ich ihn frage, wann er morgen früh nach seiner Nachtschicht wieder Zuhause ist, lacht Tobias nur. Hebamme, das sei halt auch einfach Berufung.
* Redaktioneller Hinweis: Wir haben die Uhrzeit des Schichtbeginns korrigiert.

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