Hausbesetzer statt obdachlos
In der brasilianischen Millionen-Metropole São Paulo können sich viele Geringverdiener längst keine Wohnung mehr leisten. Wer nicht auf der Straße leben will, organisiert sich daher mit anderen - und besetzt ein Haus. Im Finanzzentrum haben rund 100 Familien ein ganzes Hotel okkupiert.
"Ich verdiene im Schnitt 600 Réais im Monat. Das reicht niemals für eine Wohnung! In São Paulo musst du dich entscheiden: entweder Miete zahlen oder essen."
Luiza, 47, Mutter von sechs Kindern, hat sich entschieden. Fürs Essen. Weil sie sich im Zentrum São Paulos längst keine Miete mehr leisten kann, hat sie mitten im alten Finanzviertel mit rund 100 Familien ein leer stehendes Hotel besetzt.
Luiza hat schulterlanges, geglättetes Haar, ihr Gesicht ist sorgfältig geschminkt, sie trägt enge Jeans und ein weißgelbes Karohemd. Schon rein äußerlich entspricht sie so gar nicht dem Klischee einer Hausbesetzerin oder Revolutionärin. Ihr geht es wie den meisten anderen ums nackte Überleben.
Neben ihr, hinter einem Schreibtisch in der alten Eingangshalle des Hotels Cambridge mit dem zerkratzten Marmorboden, sitzt Thiago. Der 23-jährige Hotelbewohner arbeitet als Pförtner:
"Ich kontrolliere alles: Wer hier reinkommt, wer rausgeht. Wenn jemand zehnmal an mir vorbeikommt, kontrolliere ich ihn zehnmal - und er muss jedes Mal bei mir unterschreiben."
In seiner "Werkstatt" neben dem Treppenhaus nestelt Pastor Pedro an offenen Stromkabeln herum. Er kümmert sich um das Seelenheil der Hausbesetzer - und um den Strom, den er von Außenleitungen für das Hotel abzweigt:
"Seit drei Monaten ist dieses Haus besetzt. Hier zapfen wir den Strom ab für alle Bewohner, über 100 Familien wohnen im Hotel. Wasser bekommen wir von den Nachbarn."
Luiza, 47, Mutter von sechs Kindern, hat sich entschieden. Fürs Essen. Weil sie sich im Zentrum São Paulos längst keine Miete mehr leisten kann, hat sie mitten im alten Finanzviertel mit rund 100 Familien ein leer stehendes Hotel besetzt.
Luiza hat schulterlanges, geglättetes Haar, ihr Gesicht ist sorgfältig geschminkt, sie trägt enge Jeans und ein weißgelbes Karohemd. Schon rein äußerlich entspricht sie so gar nicht dem Klischee einer Hausbesetzerin oder Revolutionärin. Ihr geht es wie den meisten anderen ums nackte Überleben.
Neben ihr, hinter einem Schreibtisch in der alten Eingangshalle des Hotels Cambridge mit dem zerkratzten Marmorboden, sitzt Thiago. Der 23-jährige Hotelbewohner arbeitet als Pförtner:
"Ich kontrolliere alles: Wer hier reinkommt, wer rausgeht. Wenn jemand zehnmal an mir vorbeikommt, kontrolliere ich ihn zehnmal - und er muss jedes Mal bei mir unterschreiben."
In seiner "Werkstatt" neben dem Treppenhaus nestelt Pastor Pedro an offenen Stromkabeln herum. Er kümmert sich um das Seelenheil der Hausbesetzer - und um den Strom, den er von Außenleitungen für das Hotel abzweigt:
"Seit drei Monaten ist dieses Haus besetzt. Hier zapfen wir den Strom ab für alle Bewohner, über 100 Familien wohnen im Hotel. Wasser bekommen wir von den Nachbarn."
Alte und Kranke im Erdgeschoss, Junge in den höheren Stockwerken
Luiza hat sich mittlerweile dem Putzdienst angeschlossen. Sie kniet mit einer Gruppe Frauen auf dem Fußboden und schrubbt jede einzelne Stufe im Treppenhaus. 25 Lastwägen Schutt haben wir schon aus dem Hotel herausgeschafft, erzählt sie, langsam kehrt etwas Glanz zurück. Luiza ist dankbar, eine Wohnung im Zentrum zu haben, für die sie sich nicht schämt.
"Ich kann Ihnen gerne mein Zimmer zeigen - aber das ist im 9. Stock!"
Der Aufzug funktioniert nicht, also zu Fuß nach oben. Alte und Kranke wohnen im Erdgeschoss, Junge in den höheren Stockwerken. Auf jeder Etage hängt eine Hausordnung, die das Zusammenleben regelt. Vorschriften für Hotelbesetzer - das ist nicht immer einfach, erzählt Luiza:
"Die größten Probleme gibt es mit der Sperrstunde: Man soll nach Mitternacht in den Wohnungen bleiben. Die Leute, die auf der Straße gewohnt haben oder junge Leute, die hier nach São Paulo ins Zentrum kommen, sind das nicht gewöhnt und haben sich das auch nicht so vorgestellt."
Luiza schließt ihr Zimmer auf - ein weiß gestrichener Raum mit Fenster, rund 20 Quadratmeter groß. Zwei Betten stehen geschützt hinter einer Schrankwand, die mit bunten Tüchern abhängt ist. Luizas Mann José hat eine Frühschicht hinter sich und schläft. Stolz zeigt Luiza ihren Elektroherd, den Fernseher und die Couch.
""Einige Möbel waren schon da, das hier war ja ein Hotel. Ein paar andere Sachen habe ich auf der Straße gefunden, ich nenne das 'Straßen-Shopping'. Ich habe nichts Altes mitgenommen, das hätte sich nicht gelohnt. Das war alles kaputt."
"Ich kann Ihnen gerne mein Zimmer zeigen - aber das ist im 9. Stock!"
Der Aufzug funktioniert nicht, also zu Fuß nach oben. Alte und Kranke wohnen im Erdgeschoss, Junge in den höheren Stockwerken. Auf jeder Etage hängt eine Hausordnung, die das Zusammenleben regelt. Vorschriften für Hotelbesetzer - das ist nicht immer einfach, erzählt Luiza:
"Die größten Probleme gibt es mit der Sperrstunde: Man soll nach Mitternacht in den Wohnungen bleiben. Die Leute, die auf der Straße gewohnt haben oder junge Leute, die hier nach São Paulo ins Zentrum kommen, sind das nicht gewöhnt und haben sich das auch nicht so vorgestellt."
Luiza schließt ihr Zimmer auf - ein weiß gestrichener Raum mit Fenster, rund 20 Quadratmeter groß. Zwei Betten stehen geschützt hinter einer Schrankwand, die mit bunten Tüchern abhängt ist. Luizas Mann José hat eine Frühschicht hinter sich und schläft. Stolz zeigt Luiza ihren Elektroherd, den Fernseher und die Couch.
""Einige Möbel waren schon da, das hier war ja ein Hotel. Ein paar andere Sachen habe ich auf der Straße gefunden, ich nenne das 'Straßen-Shopping'. Ich habe nichts Altes mitgenommen, das hätte sich nicht gelohnt. Das war alles kaputt."
20.000 Familien warten auf eine Sozialwohnung
Es klopft - Carmen steckt den Kopf zur Tür herein. Die 52-jährige Versicherungsangestellte arbeitet ehrenamtlich für die Organisation "Kampf für das Wohnrecht". Die Aktivistin sucht systematisch nach leer stehenden Häusern für obdachlose Familien. Sie unterstützt auch die Hausbesetzer im "Cambridge" - denn die brasilianische Regierung, schimpft Carmen, unternimmt nichts gegen die Wohnungsnot:
"In São Paulo stehen 20.000 Familien auf einer Warteliste für ein soziales Wohnprogramm, das der Staat mit vergünstigten Krediten fördert. Aber hier wurden erst 362 solche Wohnungen vergeben. Unsere Bewegung für das Wohnrecht besteht seit 20 Jahren, aber prinzipiell geht es uns nicht darum, Häuser zu besetzen. Wir kämpfen für eine soziale Wohnpolitik, das ist unser Hauptanliegen. Die Stadt soll Obdachlosen und vor allem Familien auf der Straße helfen. Für uns sind Hausbesetzungen dabei das letzte Mittel."
In der Wirtschaftsmetropole São Paulo hat sich die Einwohnerzahl in den letzten 40 Jahren verdoppelt. Solange die Regierung keine Wohnpolitik macht, bleiben Orte wie das "Cambridge" ihre einzige Chance, sagt Luiza:
"Seit 2011 wohne ich mit meiner Familie in besetzten Häusern. Mir ist es 45 Jahre meines Lebens nicht gelungen, auch nur fünf Réais zu sparen - ich hatte 16 Centavos auf dem Konto, als ich hier eingezogen bin. Heute besitze ich sogar ein Auto und einen Laptop! Wir haben hart gespart und nichts auf Kredit gekauft, das will mein Mann nicht. Wir können uns das jetzt leisten - weil wir keine Miete zahlen."
Ein bisschen Wohlstand im besetzen Haus - doch das könnte sich bald ändern. Die Stadtverwaltung will Ende März prüfen, ob sie das Hotel "Cambridge" räumen lässt. Luiza hat trotzdem keine Angst. Carmens Organisation gelingt es in der Regel, vier von zehn besetzten Häusern dauerhaft zu halten. Das ist für Luiza eine höhere Wahrscheinlichkeit, als irgendwo in São Paulo eine Sozialwohnung legal zu bekommen.
Namen der Hausbewohner von der Redaktion geändert.
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In der Wirtschaftsmetropole São Paulo hat sich die Einwohnerzahl in den letzten 40 Jahren verdoppelt. Solange die Regierung keine Wohnpolitik macht, bleiben Orte wie das "Cambridge" ihre einzige Chance, sagt Luiza:
"Seit 2011 wohne ich mit meiner Familie in besetzten Häusern. Mir ist es 45 Jahre meines Lebens nicht gelungen, auch nur fünf Réais zu sparen - ich hatte 16 Centavos auf dem Konto, als ich hier eingezogen bin. Heute besitze ich sogar ein Auto und einen Laptop! Wir haben hart gespart und nichts auf Kredit gekauft, das will mein Mann nicht. Wir können uns das jetzt leisten - weil wir keine Miete zahlen."
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