Hass-Haikus

Wie eine digitale Erfindung

Schüler schreiben SMS und telefonieren am 22.04.2013 auf einem Schulhof in Braunschweig (Niedersachsen).
Der Trick des Haikus ist die Kürze - wie bei den zeichenbeschränkten Tweets oder auch der SMS. © picture alliance / dpa
Von André Hatting |
Die Journalisten Amira Ben Saoud und Manfred Gram haben einen Band mit 555 Haikus geschrieben. Das Motto: "Wie man hassen soll." Verblüffend, wie diese jahrtausendealte japanische Gedichtform bei diesen Hass-Haikus wirkt - immer 17 Silben ergeben einen Vers.
Siebzehn Silben, immer nach dem Muster 5-7-5, verteilt auf drei Verse, fertig ist das Haiku! Der Dichter Bashô hat es im Japan des 17. Jahrhunderts berühmt gemacht. Bis heute ist es ist dort die beliebteste Gedichtform. Aber seine Popularität ist schon längst nicht mehr auf Japan beschränkt.
Anfang des 20. Jahrhunderts haben im deutschsprachigen Raum Autoren wie Rainer Maria Rilke, Arno Holz oder Yvan Goll damit experimentiert. In den USA sind in den 1960ern dann Schriftsteller der Beat Generation auf das Haiku aufmerksam geworden. In Allan Ginsbergs wichtigstem Gedicht "Howl" ("Das Geheul") ist die Haiku-Technik das zentrale Stilmittel: das Gesetz der Silbenzahlverteilung verdichtet semantisch Disparates. Und auch in der Jetztzeit hat die kürzeste aller Gedichtformen viele Freunde. Jan Wagners Titelpoem seines preisgekrönten Bandes "Regentonnenvariationen" zum Beispiel besteht aus insgesamt vierzehn Haikus. Seit 1988 gibt es sogar eine Deutsche Haiku-Gesellschaft zur Wahrung und Pflege dieser Form.
Aus Österreich kommt jetzt ein ganzer Band mit Haikus. Die Journalisten Amira Ben Saoud und Manfred Gram haben insgesamt 555 geschrieben, fein durchnummeriert, alle unter dem einen bitterbösen Motto: "Wie man hassen soll". Das lehren uns die Beiden in dreizehn Kapiteln, angefangen beim "Allgemeinen Hass".
Ein Rundumschlag gegen alles
Die Mitmenschen bekommen im Abschnitt "Familie, WGs, Nachbarn und andere Tiere" ordentlich einen über, Promis werden angegangen, Festtage, Sternzeichen und am Ende ist auch noch Platz für "Geständnisse und Selbsthass". Es ist ein Rundumschlag gegen alles und jeden, immer gnadenlos und sehr oft dazu noch wienerisch deftig gewürzt wie die Nummer 107 "Im Bioladen":
"Brich dir doch das Gnack
an der Sojasprossenwand,
Orthorektiker."
Das ist wunderbar gehässig - und reinigend zugleich. Hier kotzen sich Zwei mal so richtig aus und wir Leser fühlen uns dabei auch gleich viel besser:
"Cousine unsterblich
Bitte krepier' nie!
Auf deinem Grabstein steht sonst:
Chantal Pichlmüller."
Wie eine Erfindung der digitalen Generation
Es ist verblüffend, wie angemessen diese jahrtausendealte japanische Gedichtform bei diesen Hass-Haikus wirkt. Der Trick ist die Kürze. Sie zwingt erstens zu Prägnanz und lässt zweitens im Zeitalter der zeichenbeschränkten Tweets und SMS das Haiku wie eine Erfindung der digitalen Generation erscheinen. Würde die Form aufgelöst, dann hätten manche dieser Miniaturen nur das Niveau besserer Klosprüche. So aber gelingen Ben Saoud und Gram dank des Enjambements manchmal sogar richtig Poetisches:
"Lust auf nen Dreier?
Nur du und ich und diese
Mauer des Schweigens."
Große Lyrik darf man von diesem Band aber nicht erwarten. Das ist auch nicht die Absicht der Autoren. Die meisten ihrer Haikus sind einfach nur als (übel)launige Späße gedacht. Damit nehmen sie das Haiku übrigens beim Wort. Das heißt übersetzt so viel wie "scherzhafter Vers".
Amira Ben Saoud und Manfred Gram: "Wie man hassen soll. 555 Haikus gegen alles"
Milena Verlag, Wien 2015
201 Seiten, 17,90 Euro
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