Hartmann inszeniert "Schuld und Sühne" in Dresden

Beeindruckendes poetisches Bildertheater

07:18 Minuten
Ein Mann mit nacktem Oberkörper sitzt vor mehreren elektrischen Kerzen. Eine Frau sitzt hinter ihm und umarmt ihn.
Theaterkritiker Eberhard Spreng berichtet von einer „sehr virtuosen Verbindung von Text, Musik und Bildern“. © Staatsschauspiel Dresden / Sebastian Hoppe
Von Eberhard Spreng · 31.05.2019
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Nach "Erniedrigte und Beleidigte" hat Sebastian Hartmann einen weiteren Roman* von Fjodor Dostojewski am Staatsschauspiel Dresden inszeniert: "Schuld und Sühne". Unser Theaterkritiker Eberhard Spreng ist begeistert.
Töten als politisches Programm: Das hat sich Raskolnikow vorgenommen. Eine alte Pfandleiherin will er ermorden und damit beweisen, dass er ein außergewöhnlicher Mensch ist. Dostojewskis Roman von 1866 versammelt mit seinen zahlreichen Figuren idealtypische Charakterbilder und Ideenwelten einer längst vergangenen Welt.

Aber Hartmanns Dresdener Inszenierung führt nicht ins Russland des 19. Jahrhunderts, sondern geradewegs in das Gehirn seines Protagonisten, zu Fragmenten seiner Gefühlswelt, Splittern seines Bewusstseins. Vor allem aber entwirft er in einem suggestiven Bilderrausch die kollektive Dimension von Raskolnikows krudem Überlegenheitsgefühl.
Ein Mann schreit und wird von zwei Frauen zurückgehalten.
Suggestiver Bilderrausch: Nadja Stübiger, Philipp Lux und Luise Aschenbrenner auf der Bühne des Dresdner Staatsschauspiels.© Staatsschauspiel Dresden / Sebastian Hoppe

Politik statt Psychologie

Aus dem Töten als individuellem Programm wird organisierter Massenmord, Krieg, politisches Verbrechen. In einem ritualhaften Bilderstrom mehrfach sich überlagernder Projektionen taucht die Inszenierung in die Schrecken des 20. Jahrhunderts.
Der klangmächtige Soundtrack macht dem Wort Konkurrenz. Es ist hier nicht beherrschendes Leitmedium, es ist Material wie alles andere auch. Bilder sind hier einmal nicht Illustrationen, sie verwandeln sich ständig um eine Bühnenkonstruktion: Eine Kirche, die sich teilt und bemalte Innenwände offenbart, einen Engel mit schwarzen Fledermausflügeln, einem Christuskind und dem Alpha und Omega als den Marken unserer Zeitrechnung. Uhren laufen seit Anfang der Aufführung mit. Eine zeigt Jahreszahlen von 0 bis 2019, von Christi Geburt bis heute.
Auf die Stirn der Schauspielerin Nadja Stübiger wird ein Auge projiziert.
Nadja Stübiger in Sebastian Hartmanns "Schuld und Sühne"-Inszenierung© Staatsschauspiel Dresden / Sebastian Hoppe
Am Ende, wenn alle Bilder des Grauens an ihr Ende gekommen sind, steht Fanny Staffa allein auf der Vorderbühne und weist zweimal das ihr dargereichte Mikrofon ab. Zu sagen ist nun nichts mehr. Dann umarmt sie einen Lautsprecher, aus dem Kriegslärm ertönt, so als wär's ein Kind, das beruhigt werden muss. Ein radikal auf Rhythmus, Bild und Klang und wenig auf Narration setzendes Theater.

Subtil gebaut, berauschend ritualhaft

Kurz nachdem Hartmann Dostojewskigebrüll "Erniedrigte und Beleidigte" beim Theatertreffen gastierte, liefert er nun den subtil gebauten, berauschend ritualhaften Konterpunkt ab. Man müsste die Uhren zurückdrehen und beide Aufführungen vertauschen. "Schuld und Sühne" gehört in die Auswahl.
*In einer früheren Version wurden F. Dostojewski zu viele Romane zugeordnet.
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