Ist die Gesellschaft gespalten?

Sozialpsychologe Welzer: Es ist nur ein Riss am Rand

08:09 Minuten
Demonstration gegen Coronamaßnahmen in Wien. Auf einem Plakat steht "Striktes Nein zur Impfpflicht".
Auch in Deutschland würde eine Impfpflicht sicher viele Menschen auf die Straße bringen, wie hier in Wien. Und doch wäre es eine Minderheit. © imago images/aal.photo
Harald Welzer im Gespräch mit Jana Münkel · 22.11.2021
Audio herunterladen
Der vielbeschworene Terminus von der gesellschaftlichen Spaltung suggeriert, dass ein Riss mitten durch die Gesellschaft geht. Den sieht der Sozialpsychologe Harald Welzer aber nicht.
Ob es um Coronamaßnahmen geht, Migration oder das Klima: Die Gesellschaft ist gespalten, heißt es immer wieder. Stimmt das?

Der Soziologe und Sozialpsychologe Harald Welzer meint: nein. Hier werde einer falschen Realitätswahrnehmung das Wort geredet, sagt er.

Der Begriff Spaltung suggeriere, dass ein Riss "mitten durch die Gesellschaft" gehe. In Wirklichkeit gebe es aber nur einen "Riss am Rand". Dieser werde von denen erzeugt, "die sich nicht proaktiv, positiv, konstruktiv gestalterisch für diese Gesellschaft einsetzen“.

Seit Pegida wird von Spaltung geredet

"Spaltung der Gesellschaft": Aufgekommen sei dieser Terminus mit Beginn der Pegida-Demonstrationen, „obwohl da eine nicht mal vierstellige Zahl von politisch seltsam Denkenden in Dresden demonstriert hat", so der Sozialpsychologe:
"Seit Pegida ist der Begriff der Spaltung in der Welt, hat sich dann über die Querdenker wieder aktualisiert und ist jetzt irgendwie der Hit."
Selbst in der Pandemie und der erbittert geführten Impfdiskussion sieht Welzer noch keine Spaltung der Gesellschaft. Denn die Mehrheitsbevölkerung orientiere sich an Wissenschaft und demokratischer Regulierung und trete in keiner Weise staatsgefährdend auf, „auch nicht aggressiv gegenüber denen, die ihrerseits aggressiv sind“.

Zu viel Verständnis für die aggressiven Impfgegner

Je mehr Raum man diesen Menschen gebe, desto mehr nähmen sie sich auch: "Ich bin schier verzweifelt, dass dieser wirklich nicht schwer zu verstehende Sachverhalt weder bei den Medien noch bei der Politik so richtig ankommt.“

Harald Welzer ist Direktor von „Futurzwei – Stiftung Zukunftsfähigkeit“ und Honorarprofessor für Transformationsdesign an der Universität Flensburg. Der Soziologe ist Autor zahlreicher Bücher wie „Opa war kein Nazi“ oder „Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden“ und „Die smarte Diktatur. Der Angriff auf unsere Freiheit“.

Mehr zum Thema