Harald Welzer: "Die smarte Diktatur"

Apps löschen und Drohnen abschießen

Harald Welzer
Harald Welzer, Direktor von "FUTURZWEI. Stiftung Zukunftsfähigkeit" © Deutschlandradio / Jana Demnitz
Von Christian Rabhansl · 12.05.2016
In seinem Buch "Die smarte Diktatur" plädiert Harald Welzer nicht nur dafür, die Gegenwartskrisen zusammenzudenken. Er warnt auch vor der Macht der Algorithmen, der wir uns freiwillig beugen. Dagegen hat er einige drastische Konzepte.
Was haben die Finanzmarktkrise, der Klimawandel, die soziale Ungleichheit, die Flüchtlinge, das Artensterben, die Digitalisierung, das Wirtschaftswachstum, Kriege, Überwachung und Terrorismus miteinander zu tun? Jede Menge, argumentiert der Sozialpsychologe Harald Welzer und plädiert in seinem Buch "Die smarte Diktatur" dafür, die gegenwärtigen Krisen endlich nicht mehr fein säuberlich getrennt lösen zu wollen.
Zentral ist trotzdem die drohende "smarte Diktatur" der Algorithmen und Internetkonzerne. Welzer hat aber kein Buch für Technikfeinde geschrieben, die sich in ihren Vorurteilen bestätigt sehen wollen. Es ist unser Umgang mit Technologie, der bei ihm Kopfschütteln und gelegentlich Entsetzen auslöst: unsere alltägliche Bereitschaft, an unserer eigenen Überwachung mitzuarbeiten, und wie das kommende Internet der Dinge unser Leben buchstäblich regieren wird, wie nicht nur Geheimdienste, sondern wir alle uns gegenseitig minutiös überwachen.
Aber es geht Harald Welzer um mehr. Genaugenommen: um alles. Alles hängt schließlich mit allem zusammen.
Die Methode, all diese Krisen gemeinsam zu betrachten, überzeugt zwar nicht immer. Es bleibt oft unklar, welche praktischen Folgen das haben sollte: Was ändert sich beispielsweise am EU-Türkei-Deal zur Flüchtlingskrise, wenn alle Beteiligten gleichzeitig an den Klimawandel denken? Da bleibt Harald Welzer sehr vage. Da er aber zu den Teilaspekten stets interessante, neue oder zumindest originelle Anekdoten und Erkenntnisse notiert hat, lohnt sich die Lektüre.

Wir liefern uns freiwillig der Macht von Algorithmen aus

Und dann kommt Harald Welzer doch noch zu der titelgebenden drohenden Diktatur der Algorithmen und Internetkonzerne. Deren Macht bestehe darin, dass wir uns ihnen freiwillig ausliefern – obwohl manch einem Google-Gründer und Paypal-Investor nicht zu trauen sei.
Wenn Harald Welzer aus deren Vorträgen und Büchern zitiert, offenbart sich Dramatisches: Politik gehöre abgeschafft oder in eine professionalisierte Kaste ausgelagert. Sie wollen eigene Staaten auf hoher See gründen, frei von sozialer und gesellschaftlicher Verantwortung. Sie interessieren sich nur für Gewinne und um Macht durch vollständige Offenlegung. Welzer nennt das eine "Gruselwelt der totalen Transparenz".
Harald Welzer bleibt aber auch mit diesem Buch ein Optimist. Am Ende steht dann ein handhabbarer 12-Punkte-Plan, der so einfache (aber schmerzhafte Dinge) umfasst wie: Alle Apps vom Smartphone löschen oder: sich in Bürgerwehren zusammenzutun, um Drohnen abzuschießen. Das gebe es in den USA bereits. Und so lautet der Schluss:
"Macht hat immer zwei Seiten: Man kann sie nur ausüben, wenn die Beherrschten zustimmen."
Und das gelte gerade für die smarte Diktatur, denn der können wir uns laut Welzer – noch zumindest – verweigern.

Harald Welzer: Die smarte Diktatur. Der Angriff auf unsere Freiheit
S. Fischer Verlag, Frankfurt 2016
320 Seiten, 19,99 Euro

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