Zum Tod von Hans Magnus Enzensberger

„Der Zauberer, der die Kaninchen aus dem Zylinder zog“

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Der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger.
Der Schriftsteller, Essayist, Verleger und Journalist Hans Magnus Enzensberger. © picture alliance / dpa / Andreas Gebert
Moderation: Britta Bürger · 25.11.2022
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Kaum ein Dichter prägte die junge Bundesrepublik so sehr wie Hans Magnus Enzensberger. Sein langjähriger Weggefährte Michael Krüger würdigt den Verstorbenen als einen neugierigen und lebensfrohen Intellektuellen.
Mit 93 Jahren ist der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger am Donnerstag in München gestorben, ein wacher Jahrhundertbeobachter, einer der prägendsten Intellektuellen unseres Landes. Ob in Gedichten oder Essays, Prosa oder Dramen – Enzensbergers Denken und Schreiben bezog sich immer auf die Realität. Und zugleich war er ein spielerischer Mensch, einer, der die Freiheit der Gedanken liebte und lebte.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth beschrieb ihn als Solitär unter Deutschlands Dichtern und Denkern. Mit seinen Versen und kritischen Reflexionen habe er die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland begleitet. Deren Gründung hatte er auf den Trümmern eines zerstörten Landes als 20-Jähriger miterlebt.

"Gesegnet mit einer unendlich sensiblen Nase"

Einer seiner Weggefährten ist der langjährige Hanser-Verleger und Dichter Michael Krüger. Im Gespräch berichtet er, wie wichtig der 14 Jahre ältere Hans Magnus Enzensberger für ihn persönlich und seine Generation war. Schließlich sollte seine Bekanntschaft mit ihm 40 Jahre andauern.
„Enzensberger war einer, der wie ein Zauberer jedes Mal ein Kaninchen aus dem Zylinder zog“, erklärt Krüger, „sei es, dass er einen neuen Dichter entdeckt hatte, den er auch gleich übersetzte, wie Charles Simic; sei es, dass er den großen ‚Kosmos’ von Alexander von Humboldt wieder ediert hat; sei es, dass er in seiner 'Anderen Bibliothek' irgendwelche Entdeckungen machte".
Magnus, wie Krüger ihn nennt, sei jemand gewesen, "der mit einer unendlich sensiblen Nase gesegnet war und immer irgendetwas entdeckte, was auch jeder andere hätte entdecken können. Jeder konnte Denis Diderot, den großen Aufklärer und Autor der Enzyklopädie, kennen. Aber Magnus war derjenige, der in Hörspielen und in Übersetzungen die entscheidenden Texte dann von ihm übersetzt und eingeführt hat. Und so war er immer.“

Hochkomplexes klar und schön darstellen

Zudem habe Enzensberger „die Fähigkeit gehabt, auch hochkomplexe Dinge auf eine sehr klare, sehr bestimmte und schöne Weise darzustellen“. Das illustriert Krüger am Beispiel des schwedischen Schriftstellers Lars Gustafsson. Ihn hatte Enzensberger Mitte der 60er-Jahre entdeckt. Die Einführung zu dessen Gedichtband „Die Maschinen“ schrieb Enzensberger. Auf nur fünf Seiten habe er diesen Dichter, den bis dahin niemand gekannt und von dem niemand irgendetwas gewusst habe, so intelligent dargestellt, dass diese kleine Einführung bis heute zitiert werde, so Krüger.
Darin habe er Lars Gustafsson als einen Menschen „zwischen positivistischer Philosophie, Sprachphilosophie und den tiefen Wäldern“ dargestellt. „Und diese Mischung aus Intellektualität und Mystik, die dann ganz bestimmend war für den Lars – das konnte nur Magnus“, schwärmt Michael Krüger.

Sein erfolgreichstes Buch ist ein Kinderbuch

Die meisten Bücher von Enzensberger sind im Suhrkamp-Verlag erschienen: Gedichtbände, Essays, Prosa. Enzensberger hat aber auch Kinderbücher geschrieben, die vor allem im Hanser-Verlag erschienen sind, darunter ist auch sein erfolgreichstes Buch mit einer weltweiten Auflage von zwei Millionen Exemplaren: „Der Zahlenteufel“.
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