Biografie "Hans Litten - Anwalt gegen Hitler"

„Große Angst und große Tapferkeit“

07:30 Minuten
Buchcover zu "Hans Litten - Anwalt gegen Hitler. Eine Biographie"
© Wallstein Verlag

Stefanie Schüler-Springorum, Sabine Fröhlich, Knut Bergbauer

Hans Litten - Anwalt gegen Hitler. Eine BiographieWallstein Verlag, Göttingen 2022

384 Seiten

26,00 Euro

Von Liane von Billerbeck · 29.08.2022
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Der Rechtsanwalt Hans Litten ging vor der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ beherzt gegen die SA und die NSDAP vor – und bezahlte dieses Engagement mit seinem Leben. Eine eindrückliche Biographie zeichnet dieses jetzt nach.
Spätestens seit der Serie „Babylon Berlin“ ist Hans Litten (1903-1938) einem breiten Publikum bekannt: als streitbarer Anwalt, der am Ende von Weimar seine Mandanten in oft aufsehenerregenden, politischen Prozessen verteidigte, sich mit der rechtslastigen Weimarer Justiz anlegte und es sogar wagte, Hitler als Zeugen für die Gewalt von SA und NSDAP zur Rede zu stellen.

Feingeistiger Junge

Geboren 1903 in Halle, aufgewachsen in Königsberg, mit einem konservativen Vater, der sich als junger Mann vom Judentum verabschiedet und hatte taufen lassen. Anders hätte er im Kaiserreich wohl kaum Karriere machen können, bis hin zum Rektor der Königsberger Universität. Für diesen Opportunismus wird ihn sein ältester Sohn Hans später verachten.
Mit der Mutter teilt Hans die Liebe zu Literatur, bildender Kunst, besonders der des Mittelalters - und zur Gerechtigkeit. Der Sohn, der Hebräisch, Chinesisch und Sanskrit lernt, dürfte mit seiner kunstsinnigen Intellektualität so gar nicht dem Männerbild der Zeit entsprochen haben.

Politik und Kunst

Die Suchbewegungen, die der junge Litten unternimmt, gehen für ihn religiös in Richtung Judentum, politisch will er links sein, und „ansonsten“ gegen alles Alte. Gleichgesinnte wie seinen Freund Max Fürst findet er beim Deutsch-Jüdischen Wanderbund Kameraden, später beim „Schwarzen Haufen“, wo er nicht nur aufsehenerregende Schrei- und Kriechchöre veranstaltet, sondern seine Königsberger Freunde auch dazu verdonnert, Marx gefälligst richtig zu lesen, „und kommt mir nicht damit, ich habs nicht verstanden ...“  Politik und Kunst, das ist es, was die Jungen interessiert.
Der Realitätsschock folgt in Berlin, wo Hans Litten – vom Vater genötigt – Jura studiert. Armut, Wirtschaftskrise, Gewalt, all das führt dazu, dass er und seine Freunde eine Hilfsorganisation gründen, „Jugend hilft Jugend“, in der sie – selbst unter 25 –  gestrauchelten Jugendlichen zu helfen versuchen.

Anwalt gegen die SA

Eine Karriere im Staatsdienst nach seinem glänzenden Examen lehnt der junge Litten ab, lässt sich 1928 mit einem Kollegen als Rechtsanwalt nieder. Bald wird man Hans Litten als brillanten jungen Anwalt kennen, der immer versucht, die politischen Motive hinter den Taten sichtbar zu machen. 1932 verteidigt er Bewohner der Laubenkolonie „Felseneck“, die von mehr als einhundert SA-Leuten überfallen und brutal zusammengeschlagen worden waren. Ein Arbeiter wird erschossen und in dem späteren Gemenge auch ein SA-Mann getötet. Weil Litten vor Gericht sehr couragiert auftritt, wird er als Wahlverteidiger ausgeschlossen.
Doch der eigentliche Grund, warum die Nazis und Hitler persönlich diesen Anwalt Litten so hassen werden, der dürfte im „Edenpalast-Prozess“ von 1931 liegen. Der SA-Sturm 33 hatte ein Stiftungsfest des Arbeitervereins Wanderfalke im Eden-Palast überfallen: 20 SA-Leute ganz „zufällig“ ausgestattet mit dem passenden Werkzeug: Vier verletzte Fest-Gäste und ein Schwerverletzter mit Bauchschuss bleiben am Ende liegen. Bei einer Durchsuchung werden Bleirohre,  Gummiknüppel und Pistolen gefunden.
Der Überfall sorgte für Empörung in der Öffentlichkeit. Auf einer Protestversammlung sprechen Walther Ulbricht und Hans Litten, der dort etwas Ungewöhnliches praktiziert: Die öffentliche Zeugenvernehmung. Litten agiert als Anwalt und Aktivist.

Die Vernehmung des „Parteiangestellten“ Adolf Hitler

Wer jedoch annimmt, er wäre so eine Art Volkstribun gewesen, der irrt: ein brillanter Anwalt, klug, glasklar formulierend; auch ein Arbeitstier, der sich und seiner Mitarbeiterin alles abverlangte. Aber als Mensch, so wird er jedenfalls von seinen Freunden beschrieben, sei er eher schüchtern gewesen.
Im „Edenpalast-Prozess“ hat Litten gezeigt, dass die SA die Hoheit über Straßen und Säle gewinnen wollte. Die NSDAP indes tat alles, um glauben zu machen, sie wolle auf rein legalem Weg an die Macht kommen. Um diese Mär zu entkräften, beantragt Hans Litten die Vernehmung des „Parteiangestellten“ Adolf Hitler. Am 8. Mai 1931 ist es soweit. Der Anwalt hatte in der Broschüre „Der Nazi-Sozi“ von Josef Goebbels entdeckt, dass der darin zum „Kampf mit den Fäusten“ aufrief, und drohte, das Parlament zum Teufel zu jagen. Litten ganz ruhig und nüchtern fragend, während Hitler am Ende der Befragung mit hochrotem Kopf brüllt: „Wie kommen Sie dazu, Herr Rechtsanwalt, zu sagen, das sei eine Aufforderung zur Illegalität? Das ist eine durch nichts zu beweisende Erklärung!“
Dass Hitler diesen Rechtswalt nicht vergessen würde, war klar. Noch in der Nacht nach dem Reichstagbrand wird Hans Litten verhaftet.

Zuchthaus und KZ

Vom Polizeigefängnis Alexanderplatz wird er bis 1938 von einem Zuchthaus ins nächste KZ geschleift. Immer wieder brutal geprügelt. Drei Wochen davon in Sonnenburg so schwer gefoltert, dass seine Beine und Füße nur noch unkenntliche Stumpen waren. Und der Häftling bis ins Innerste erschüttert. Vom Verlust des Weltvertrauens durch Folter hat Jean Amery geschrieben. „Wer gemartert wurde, ist waffenlos der Angst ausgeliefert.“
Seine Mutter Irmgard versucht jahrelang alles, um ihren Ältesten aus der Haft zu bekommen. Sie tauscht sich in Briefen über Kunst und Literatur mit ihm aus, um ihm irgendwie den Lebensmut zu erhalten;  und wendet sich mit Petitionen und Besuchen an nahezu alle Personen, die sein Leben retten könnten: bis zu Freisler ist sie gegangen.
Genutzt hat es nichts. Nach fünf Jahren erhielt sie die Nachricht, dass sich ihr Sohn am 5. Februar 1938 im KZ Dachau das Leben genommen habe. Margot Fürst, enge Mitarbeiterin und Frau seines Freundes Max, gefragt, was sie an Litten am meisten erinnere, sagte nach einiger Überlegung: „Seine große Angst, und seine große Tapferkeit.“
„Hans Litten – Anwalt gegen Hitler“ ist eine beeindruckende Biographie einer beeindruckenden historischen Figur, der ein großes Lesepublikum zu wünschen ist.

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