Hans Fallada im Reichsarbeitsdienst

Verletzlich und verführbar

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Cover des Buchs "Die RAD-Briefe aus dem besetzten Frankreich 1943" von Hans Fallada. Es zeigt ein übermaltes Foto des Schriftstellers.
© Das kulturelle Gedächtnis

Hans Fallada

Die RAD-Briefe aus dem besetzten Frankreich 1943Das Kulturelle Gedächtnis, Berlin 2022

160 Seiten

24,00 Euro

Von Elke Schlinsog  · 17.12.2022
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Nachdem zuletzt Erzählungen und Geschwisterbriefe publiziert worden waren, war das Interesse an Hans Falladas Korrespondenz aus dem besetzten Frankreich 1943 groß. Wir erleben einen großen Schriftsteller, der zugleich fehlbar war.
Als Hans Fallada 1943 für sechs Monate als Reichsarbeitsdienst-Sonderführer im Rahmen der kulturellen Truppenbetreuung ins besetzte Frankreich aufbricht, hat er bereits seinen Welterfolg „Kleiner Mann – was nun?“ und viele Krisen und Abstürze hinter sich. Ein Getriebener, ein Gestrauchelter, für den Emigration und Exil nicht in Frage kamen, obwohl er bereits denunziert und von der SA verhaftet worden war.
Vielmehr hoffte er, im abgelegenen mecklenburgischen Carwitz eine „Insel“ zum Schreiben gefunden zu haben. Und obwohl Fallada mit seinen Texten wiederholt in die nationalsozialistische Kritik geriet, erschienen seine Romane in dichter Folge. Finanziell gehörte er zu Spitzenverdienern. Ein widersprüchliches Leben, im Privaten genauso wie im Künstlerischen und Politischen.

Eitelkeit und Selbstbestätigung

Diese Ambivalenz, diesen Spagat zeigen auch die neu herausgegebenen Briefe Falladas aus dem besetzten Frankreich an seine Frau Anna Ditzen. Sein Reichsarbeitsdienst (RAD) führt ihn von Paris über Bordeaux bis an die spanische Grenze. Hier soll er für die „sog. Freizeitgestaltung“ der Truppe sorgen.
Fast euphorisch klingt Fallada in seinen ersten Briefen, nahezu kriegsfern berichtet er davon, wie er vier Stunden durch Paris kutschiert wird, beim General zum Abendessen geladen ist, wie sein ausgezeichnetes Französisch ankommt („spreche bei weitem am besten von allen Offizieren"), und wie er seine Berühmtheit genießt („Fallada und Rilke seien z.Z. die größte Mode in Paris“).
Eitelkeit und Selbstbestätigung sprechen aus den Briefzeilen, aber auch, wie fremd ihm seine neue Rolle ist, die er im Rang eines Majors absolviert: „Ich bin ja nun auch Wehrmacht, komisch, aber es ist so.“ Oder: "wie ich mein Heil Hitler gebrüllt habe, und dann, da alles stramm steht, 'Weitermachen' geschrien habe.“

Naiver Blick auf die Franzosen

Erstaunlich verständnislos ist Falladas Sicht auf das besetzte Frankreich, stark gefärbt vom Blickwinkel der deutschen Besatzungsmacht: „Das ganze Volk scheint in eine schwere Lethargie versunken“, schreibt er, „während sich die Deutschen mit einer Selbstverständlichkeit im Land bewegten, als wären sie daheim“.
Im nicht besetzten Süden Frankreichs wirkt sein Staunen über die Franzosen buchstäblich naiv, die „noch immer sehr mit Hass auf uns Deutsche (sehen), es soll sogar vor der Hakenkreuzbinde am Arm ausgespuckt werden“. Seine ihm typische, genaue Beobachterrolle nimmt Fallada hier selten ein, von zerschossenen Stadtteilen und Wunden des Krieges findet sich wenig in den Briefen. Selten sah er „so viel Elendsgestalten wie in Paris. (…) Daneben den größten Luxus.“

Der Nazi-Indoktrination erlegen

Vermutlich waren auch einige seiner Briefe, in denen er beispielsweise den „wirklich ungeheuren Leistungen“ des Reichsarbeitsdienstes huldigt, für die Zensur gedacht, wie Fallada nach dem Krieg vorgibt. Und doch wird mit ihnen nun konkret, in welchem Maße auch Fallada von der Nazi-Indoktrination betroffen war. In ihnen zeigt sich, dass auch Fallada in einem sehr deutschen Sinn einer von vielen war. Einer, der um die Gefahr der Verstrickung mit den Nazis weiß - und ihr zugleich erlegen ist.
All das gehört zu seiner Biografie. So stehen die zuweilen anbiedernden Äußerungen während seines Reichsarbeitsdienstes neben seiner Generalabrechnung mit den Nazis. Schon ein Jahr später, 1944, wird sich Fallada in der Gefängniszelle seinen ganzen Hass auf die Diktatur von der Seele schreiben; „Der Trinker“, posthum veröffentlicht, gilt als sein persönlichster, eindringlichster Roman.
Man wünscht sich in dem neu herausgegebenen Fallada-Band „Die RAD-Briefe aus dem besetzten Frankreich 1943“ noch weitere Korrespondenzen aus der Zeit, bekannt sind bereits einige an Institutionen und Familie, in Falladas „Lebensbildern“ abgedruckt.
In all diesen Briefen wie auch in seinen Romanen zeigt sich, was Fallada ausmacht und groß macht: den ganz und gar nicht mutigen Menschen in seiner ganzen Verletzlich- und Verführbarkeit zu zeigen.
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