Im Labyrinth der Märchen
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Generationen von Kindern sind mit Hans Christian Andersens Märchen groß geworden. Im dänischen Odense eröffnet ein Andersen-Museum, in dem die Besucher in eine traumschöne Märchenwelt abtauchen können, die der Stararchitekt Kengo Kuma entwarf.
Es soll eine magische Märchenwelt sein, und zwar mitten in der Stadt. Eine unerwartete Alltagsflucht, ein Abenteuer, das um die Ecke wartet. Runde Hecken winden sich in einem verwunschenen Garten, aus dem mehrere runde Holzpavillons mit großen Glasfronten hervorstechen.
"Die Leute sind mit der Straßenbahn vielleicht auf dem Weg zur Universität oder ins Krankenhaus, und dann fahren sie an diesem labyrinthischen Garten vorbei. An dieser Oase, einer grünen Oase voller Kurven, wo es keinen 90-Grad-Winkel gibt. Die flüstert: Steig aus. Du musst dein Leben nicht von A nach B leben, es geht nicht darum, am Ziel anzukommen.
Das ist das Versprechen: Dass hinter jeder dieser runden Hecken eine neue Erfahrung wartet", sagt Henrik Lübker, der Kurator des Hans Christian Andersen Museums in Odense.
Es gibt keinen zentralen Ort im Museumsgarten, an dem man sich einen Überblick über dessen Architektur verschaffen könnte. Und das ist so gewollt. Um Andersens Welt zu erleben, müssen sich die Besucher:innen auf eine Reise durch sie hindurch begeben, wie Henrik Lübker erläutert.
Natur und Architektur verschmelzen
"Es gibt einen dunklen Garten und einen hellen. Einen Teich, durch den man in die Märchenwelt im Untergrund blicken kann. Einen riesigen Garten, in dem man sich klein fühlen kann. Dann gibt es noch den versunkenen Garten, als wäre alles hinabgestürzt. Wenn man am Ende des Museums ist, befindet man sich auf einem Level mit diesem versunkenen Garten. So verschmelzen Natur und Architektur nicht nur drinnen und draußen, sondern auch oben und unten. Der Besucher soll sich fühlen, als sei er in einer Welt, die wie seine eigene aussieht und doch anders ist."
Wie Andersen habe man das Gewöhnliche als Ausgangspunkt genommen, um es zu etwas Ungewöhnlichem zu machen, erzählt der japanische Stararchitekt Kengo Kuma.
"Die Materialien, die wir für das Andersen-Museum verwenden, sind nichts Besonderes. Grüne Hecken, Holz und Glas. Aber wir versuchen, durch sie eine andere Welt zu zeigen. Andersens Botschaft an uns ist: Sogar im Alltag kann man Träume finden.
Über eine Rampe ins Märchenreich
Durch eine Glastür gelangt man in das Innere des Museums. Auf einem geschwungenen Gang bewegen sich die Besucher:innen auf einer langgezogenen Rampe hinunter. Auf dem Weg in den Untergrund können sie in Vitrinen und Projektionen Andersens Leben nachspüren – seinen Reisen, seinen Liebschaften, seinem kreativen Schaffen. Das Besondere dabei: Die Gäste haben intelligente Kopfhörer auf den Ohren.
"Wenn du herumläufst und näher an ein Objekt herantrittst, beginnt es, mit dir zu sprechen", sagt Kurator Lübker. "Und wenn du noch näher kommst, spricht es lauter. Es ist, als ginge man durch ein lebendiges Theaterumfeld."
Zum Beispiel streiten sich Souvenirs, die Andersen von seinen Reisen mitgebracht hat, darum, wer schöner und wichtiger ist. "Sieh mich! Ich bin das wichtigste!" ruft die Malerei. "Nein, ich!" widerspricht der Rosenkranz. Wer am Ende recht hat, ist dem Betrachter überlassen.
Ein Museum voller Fragen
Das Museum will Andersens Leben und seine Märchen nicht einfach wiedergeben, erzählt Henrik Lübker.
"Es geht nicht darum, seine Geschichten nachzuerzählen. Die kann man Zuhause lesen. Es geht darum, sie neu zu erleben. Die Märchen lassen dich oft ohne eine eindeutige Antwort zurück. Deshalb ist auch unser Museum eins voller Fragen. Und das macht es zu einem sehr anderen Museum."
Der Spaziergang durch Andersens Leben endet in einem großen offenen Saal, der Fantasiewelt der Märchen. In der Luft schweben Schwärme von Papiervögeln.
"Hier haben wir zwölf der bekanntesten Märchen ausgestellt, aber man erlebt sie auf eine Art und Weise, auf die man sie noch nicht erlebt hat."
Zu Besuch beim "Hässlichen Entlein"
Hier begegnen den Besucher:innen bekannte Märchen wie "Das hässliche Entlein" und "Die kleine Meerjungfrau" Jedes Märchen hat seinen eigenen, lose abgegrenzten, runden Raum. In der Welt der kleinen Meerjungfrau herrscht eine düstere, melancholische Stimmung. Man kann sich auf großen Kissen in der Mitte des Raumes niederlassen und nach oben sehen. Durch das runde Oberlicht schimmert Wasser aus dem Garten des Museums.
So erweckt es den Anschein, als seien sie selbst unter Wasser und blickten in eine andere, unerreichbare Welt."Was wir hier versuchen, ist, eine Sehnsucht nach einem anderen Ort zu wecken. Egal, was das in deiner Welt sein mag", erläutert Lübker das Konzept.
Noch hakt das Konzept etwas
Auf diese Weise sollen immer wieder die Grenzen zwischen Realität und Fantasie verschwimmen, wie es auch in Andersens Märchen der Fall ist. Die besondere Architektur, in der außen und innen, oben und unten fließend ineinander übergehen, soll diese Wahrnehmung unterstützen.
Noch verschmelzen Natur und Architektur nicht so miteinander, wie sich die Museumsmacher das gedacht haben. Denn ganz fertig geworden ist der Museumsgarten vor der Eröffnung nicht. Im September, verspricht Kurator Lübker, werde auch dieser Teil des Märchenmuseums erlebbar sein.