Die Lange Nacht der Wasserfrauen

Halb zog sie ihn, halb sank er hin

Aphrodite erhebt sich aus dem Meer - Trono Ludovisi - Palazzo Altemps
Aphrodite erhebt sich aus dem Meer - Trono Ludovisi - Palazzo Altemps © imago / United Archives
Von Carola Wiemers · 11.04.2015
Die Geschichte der literarischen Wasserfrauen beginnt früh. So beschreibt Homer in der "Odyssee" bereits den schönen Gesang der Sirenen als Sinnbild weiblicher Lockung zum Tode. Die Spuren dieser Naturwesen finden sich später auch bei Goethe, Andersen und Ingeborg Bachmann.
Im Mittelalter bildet sich schließlich der Typus einer doppelt beschwänzten Wasserfrau heraus, der manchmal auch Flügel wachsen. Gervasius von Tilbury, Jean d'Arras und Thüring von Ringoltingen geben diesen Wesen erstmals einen Namen und nennen sie Melusine. Ein Akt der Individualisierung, mit dem Leib und Seele gleichermaßen ins Blickfeld geraten. Seit dem 18. Jahrhundert ist in Legenden und Volksmärchen, Volksbüchern, Geistergeschichten und Kunstmärchen die ambivalente Assoziation des Weiblichen ein von schreibenden Männern heiß umkämpftes Terrain.
Friedrich de la Motte-Fouqué kreiert mit seiner "Undine" eine neue Generation dieser Naturwesen und in Goethes Ballade "Der Fischer" wird das "feuchte Weib" zur tiefgründigen Phantasmagorie, indem es heißt: "Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;/Da war’s um ihn geschehn;/Halb zog sie ihn, halb sank er hin/Und ward nicht mehr gesehn".
Eine "Lange Nacht" der Spurensuche in so mancher Untiefe von Homer über Hans Christian Andersen bis zu Ingeborg Bachmann.