Hanns-Josef Ortheil: "Wie ich Klavierspielen lernte"

Das Musizieren als Mutter-Sohn-Dialog

17:30 Minuten
Hanns-Josef Ortheil, aufgenommen im Oktober 2016, auf der 68. Frankfurter Buchmesse, in Frankfurt/Main
Hanns-Josef Ortheil: Die Sprachlosigkeit der Mutter übertrug sich in seiner Kindheit auf ihn. © picture alliance / Uwe Zucchi
Moderation: Mascha Drost · 28.05.2019
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Der Autor Hanns-Josef Ortheil träumt als Kind davon, Pianist zu werden und vor ausverkauften Häusern zu spielen. In seinem autobiografischen Roman "Wie ich Klavierspielen lernte" erzählt er davon, wie er mit seiner stummen Mutter musiziert.
Die Mutter des Schriftstellers Hanns-Josef Ortheil spielte Klavier, sprach aber kein Wort. Sie hatte im Krieg vier Söhne verloren und mit ihnen ihre Sprache. Die Stummheit übertrug sie auf ihren jüngsten Sohn Hanns-Josef. Auch der hörte mit vier Jahren wieder auf zu sprechen. Schließlich entdeckte er jedoch eine andere Sprache, mithilfe derer er mit seiner Mutter kommunizieren konnte: Das Klavierspiel. Über dieses erste Leben hat Ortheils nun einen autobiografischen Roman geschrieben.
Er habe über die Suche nach einer gemeinsamen Sprache mit seiner Mutter zur Musik gefunden, erzählt Ortheils im Deutschlandfunk Kultur. "Das war für mich die große Entdeckung in diesen frühen Jahren." Als er selbst mit vier Jahren zum ersten Mal am Klavier saß, habe er seine Mutter mit anderen Augen gesehen: "Von einem Moment auf den anderen erlebt man diesen Menschen, der sonst nicht spricht, doch mit einer bestimmten Sprache. Nämlich der musikalischen."

Sprechen miteinander über das Medium der Musik

Dem eiferte Ortheils von nun an nach, setzte sich neben die Mutter und spielte mit ihr Klavier. Der Unterricht erfolgte ohne Noten, die Mutter spielte vor, der Sohn spielte nach. Langsam steigerte die Mutter den Schwierigkeitsgrad. Der Unterricht sei ihre Form von Dialog gewesen, erzählt Ortheils. "Wir sprachen nicht mit Worten miteinander, sondern mit Musik."
Später erst lernte er Notenlesen, ging bei russisch geschulten Lehrern in den Unterricht und eignete sich nach und nach die großen Komponisten an. Er liebte die Romantiker Robert Schumann, Franz Liszt und Frédéric Chopin. Bis ein Konzert mit Glenn Gould in Salzburg seine musikalische Welt erschütterte.

Glenn Gould verwandelte Bach in Mathematik

"Ich war vorher in der Tradition von russischen Pianisten großgeworden. Die Pianisten waren ältere Herren voller tiefem Ernst, die am Flügel saßen und kaum noch Haare hatten." Dann sei dieser junge Glenn Gould aus Kanada an den Flügel geschlendert und hätte mit einer komplett anderen Attitüde Klavier gespielt, erzählt Hanns-Josef Ortheil.
"Er hatte seinen eigenen Klavierhocker mitgebracht, einen ganz ausgebeulten Sessel, saß viel zu tief. Und raste los und spielte natürlich völlig anders, als man jemals vorher Bach gespielt hatte. Er machte aus Bach so etwas wie Mathematik."

Chancen und zerbrochene Träume

Der autobiografische Roman "Wie ich Klavierspielen lernte" ist eine Spurensuche nach dem kindlichen und jugendlichen Wunsch Ortheils Pianist zu werden. Er erzählt von jahrelangen Klavieretüden, von großen Chancen und zerbrochenen Träumen. Und es ist auch die Geschichte einer besonderen Beziehung zwischen einer Mutter und ihrem Sohn über das Medium der Musik.
(aba)

Hanns-Josef Ortheil: "Wie ich Klavierspielen lernte"
Insel Verlag, 2019
318 Seiten, 24 Euro

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