Klavierspiel als Fleißarbeit

Von Sabine Fringes · 15.07.2007
Jeder Klavierspieler wird Carl Czerny im Unterricht wohl einmal begegnet sein. Seine Etüden und Übungen sind manch einem in traumatischer Erinnerung geblieben.
"Unter den unerlässlichen Eigenschaften, welche der Klavierspieler besitzen muss, wenn er sich über das Mittelmäßige emporheben will, ist die wahre und regelmäßige Geläufigkeit der Finger, auch in der schnellsten Bewegung, eine der notwendigsten und bei jedem Schüler so frühzeitig als möglich zu entwickeln."

Im Vorwort zur "Schule der Geläufigkeit" formuliert Carl Czerny das Ziel seiner Etüden: Geschmeidigkeit der Finger selbst bei größter Geschwindigkeit, zu erreichen durch unermüdliches und unverdrossenes Wiederholen, täglich eine Stunde lang. Und zu üben gibt es genug:

"Beweglichkeit der Finger bei ruhiger Hand
Das Untersetzen des Daumens
Zartes Hüpfen und Anstoßen
Geschmeidigkeit der linken Hand
Bravour im Anschlag
Spannungen bei großer Kraft
Spannungen bei ruhiger Hand
Fingerwechsel in schneller Bewegung
Die möglichste Schnelligkeit in Accordpassagen"

"Nun! Wer das Tag für Tag auszuhalten im Stande ist, dem versprechen wir, dass sein Kopf sein wird wie eine Laterne. Fertige Finger werden damit erzielt, aber auch Spielmaschinen."

Nicht alle Zeitgenossen schätzen diese Methode, viele kritisieren sie als kunstlos und mechanisiert. Czerny ist der Erste, der das Üben systematisiert und in seinen Etüden eine Klavierdidaktik entwickelt, die sich an den neuen Verfeinerungen des Fortepianos orientiert. Und sein Erfolg gibt ihm Recht: Von weither reisen bald ehrgeizige Klavier-Adepten zu dem berühmten Wiener Pädagogen, der unter anderem Virtuosen wie den jungen Franz Liszt und dessen späteren Rivalen Sigismund Thalberg unterrichtet.

Carl Czerny stammt aus einfachen Verhältnissen: Am 21. Februar 1791 in Wien als Sohn eines Klavierlehrers aus Böhmen geboren, erhält er den ersten Unterricht von seinem Vater. Mit neun Jahren bereits tritt er als Pianist auf, und Beethoven nimmt den begabten Jungen unter seine Fittiche. Mit 15 ist Czerny ein gefragter Klavierpädagoge. Elf Stunden täglich unterrichtet er bald und stockt mit seinen Einnahmen den spärlichen Lebensunterhalt seiner Eltern auf.

Und in der knappen freien Zeit? Übersetzt und aktualisiert er Klavierschulen, arrangiert ältere Meisterwerke und richtet Klavierzyklen von Bach und Scarlatti ein. Und er komponiert: neben kleinen Piècen, die ihm österreichische und englische Verleger aus den Händen reißen, auch große Werke, Kammermusik, Orchestermusik, Kirchenmusik. Kurz: An die 1000 Werke entstammen seiner Feder, was ihm bei missgünstigen Zeitgenossen den Ruf eines oberflächlichen Vielschreibers und "Tintenfasses" einträgt. Doch trifft Czernys Musik selbst nach seinem Tod noch auf den ein oder anderen Verehrer, darunter Igor Strawinsky:

"Ich habe an Czerny immer den blutvollen Musiker noch höher geschätzt als den bedeutenden Pädagogen."

Fleiß, Pünktlichkeit, Stetigkeit - diese Tugenden fordert Czerny von seinen Schülern, und der Junggeselle lebt sie selbst mit geradezu demütiger Hingabe. Dabei soll er keineswegs harsch oder rigide gewesen sein. Als sanft, schüchtern und sehr empfindlich charakterisiert ihn ein Freund in einem Nachruf.

Als Czerny am 15.7.1857 im Alter von 66 Jahren stirbt, hinterlässt er ein stattliches Vermögen, das er zur Hälfte wohltätigen und künstlerischen Zwecken stiftet. Und das Erbe seiner Übungen und Etüden treten bis heute noch - mehr oder minder freiwillig - zahlreiche Klavierschüler an.

In seinen "Briefen über den Unterricht auf dem Pianoforte" ermuntert Czerny eine Schülerin mit den Worten:

"Denken Sie sich, liebes Fräulein, die Sache so, als ob Sie sich durch ein etwas dorniges Gebüsch durchwinden müssten, um zu einer herrlichen Aussicht, zu einer stets reizend blühenden Gegend zu gelangen."