Rassismus bei Hannah Arendt
Afroamerikanische Jungen, die während einer Zeit der Gewalt im Zusammenhang mit der Schulintegration durch eine geteilte Menge von weißen Jungen schreiten. Little Rock, Arkansas, 1956. © picture alliance / Photo12 / Ann Ronan Picture Library / Thomas J O'Halloran
Dient Diskriminierung der Pluralität?
42:47 Minuten
Gibt es Rassismen im Werk der Philosophin Hannah Arendt? War die 1933 aus Nazi-Deutschland geflohene Ikone des politischen Denkens im US-Exil blind für die Diskriminierung der Schwarzen? Ein Gespräch mit der Philosophin Iris Därmann.
Rassismus und Antisemitismus sind miteinander verwandt, manchen gelten sie als zwei Seiten einer wenig ansehnlichen Medaille. Sie auseinanderzuhalten ist auch für Philosophen nicht leicht.
Hannah Arendt lebte nach der Flucht aus Hitlers Deutschland in den USA und hielt die Lösung der „Rassenfrage“ in ihrer neuen Heimat für unabdingbar: Die weitere Existenz der Republik hänge davon ab.
Manche ihrer Äußerungen zu Kämpfen der Bürgerrechtsbewegung stießen dennoch auf schärfste Kritik, vor allem die „Reflections on Little Rock“. 1954 hatte der Oberste Gerichtshof der USA die Rassentrennung an öffentlichen Schulen aufgehoben, die in vielen Bundesstaaten, vor allem im Süden, gesetzlich verankert war.
Wütender Mob
Drei Jahre nach dem Urteil wollten schwarze Schüler ihr Recht auf den Besuch einer bis dato ausschließlich von Weißen besuchten Schule in Little Rock, der Hauptstadt von Arkansas, wahrnehmen. Neun von ihnen sind in die Geschichte eingegangen. Sie wurden beschimpft und bedroht von weißen Schülern und ihren Eltern.
Auch der Gouverneur des Bundesstaates sprach sich gegen die Aufhebung der Rassentrennung aus. Der Präsident der Vereinigten Staaten schickte Bundestruppen nach Little Rock, um den schwarzen Schülerinnen und Schülern den Besuch der Bildungseinrichtung zu ermöglichen. Die Soldaten blieben das ganze Schuljahr über stationiert, der Mob gab keine Ruhe.
Die Bilder von den Protesten gingen um die Welt. An den Diskussionen nahm Arendt mit dem Aufsatz „Reflections on Little Rock“, 1959 in der Zeitschrift „Dissent“ veröffentlicht, nicht nur teil – sie befeuerte die Diskussion auch.
Pluralität durch Diskriminierung
Ihre Argumente stießen nämlich auf vehemente Ablehnung. Diskriminierung, schrieb Arendt, sei im privaten und öffentlichen Bereich normal, ja notwendig: Sie sei eine Folge des Rechts von jedermann zu entscheiden, wen man einladen, mit wem man sein Leben verbringen oder sich verbünden wolle. Solche Diskriminierung diene der Pluralität. Im Politischen dagegen sei Diskriminierung illegal.
Welche Schulen ihre Kinder besuchen, segregierte oder allen zugängliche, hält Arendt für eine private Entscheidung der Eltern. Daher sei, heißt es in den „Reflections“ unmissverständlich, „die gesetzlich erzwungene Integration (…) um keinen Deut besser als die gesetzlich erzwungene Rassentrennung“.
Was hat die Philosophin zu diesem Satz bewogen, der wie einige andere binnen Kurzem heftig umstritten war? Und was hat sie wenig später Ralph Ellison, dem Autor von „Der unsichtbare Mann“, geantwortet, der ihr entschieden widersprach?
René Aguigah unterhält sich mit Iris Därmann, Kulturwissenschaftlerin und Philosophieprofessorin an der Humboldt-Universität zu Berlin.
(pla)