Hanna Fry: "Hello World"

Plädoyer für menschliche Algorithmen

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Im Vordergrund das Cover von Hanna Frys "Hello World", im Hintergrund ein Programmcode in verschiedenen Farben, dazu Lichter
Hanna Frys "Hello World" überzeugt unsere Rezensentin. © C. H. Beck Verlag/ dpa picture alliance/ Klaus Ohlenschläger
Von Volkhard Wildermuth · 15.03.2019
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Algorithmen allein entscheiden auch nicht objektiver als Menschen. Das veranschaulicht die Mathematikerin Hanna Fry sehr unterhaltsam in "Hello World". Sie gibt keine Antworten auf wichtige Probleme, präzisiert aber die Fragestellungen.
Sind Algorithmen unverzichtbare Helfer oder digitale "Gefährder"? Bei all den rosigen oder düsteren Zukunftsvisionen, die derzeit von zahlreichen Politikern und Kommentatoren beschworen werden, scheint nur eines sicher: Die künstliche Intelligenz wird die Gesellschaft prägen. Nur wie? Darauf hat auch die englische Mathematikerin Hanna Fry keine endgültigen Antworten. In ihrem gerade erschienen Buch "Hello World" schärft sie aber die Fragestellungen und zeigt, viele Diskussionen gehen noch an den echten Problemen vorbei.
Ihr Buch ist voller Beispiele und deshalb ausgesprochen unterhaltsam zu lesen. Auch wenn viele davon bekannt sind, schafft Hanny Frey es immer, die Beispiele einen entscheidenden Schritt weiter zu drehen. So besiegte das Computerprogramm "Deep Blue" den Schachweltmeister Garri Kasparow nicht allein mit schierer Rechenleistung, sondern auch, in dem es ganz einfach analoge Psychotricks anwendete. Um den Gegner in falscher Sicherheit zu wiegen, verzögerte das Programm so etwa manche Züge absichtlich. Auf die Schnittstelle Maschine-Mensch kommt es an, lautet daher auch das Mantra der Mathematikerin.

Algorithmen beruhen auf menschlichen Erfahrungen

Als in Idaho ein Teil der Sozialhilfe von einem Algorithmus berechnet wurde, bekamen viele Menschen plötzlich deutlich weniger, einige andere aber mehr Geld. Muss stimmen, ist doch objektiv berechnet, sagten die Politiker. Erst als ein Gericht die Offenlegung des Programmcodes anordnete zeigte sich: Der Code beruhte auf menschlichen Erfahrungswerten, die dann auch noch fehlerhaft verrechnet wurden. "Nur weil der Computer etwas sagt, muss es noch lange nicht richtig sein", betont Hanny Fry.
Auch Richter und Polizisten treffen immer wieder Fehlentscheidungen - mit oft dramatischen Auswirkungen für die Betroffenen. Objektive Algorithmen könnten theoretisch gegensteuern. Könnten. Denn gerade selbstlernende Programme reproduzieren die Vorurteile und Ungerechtigkeiten der Gesellschaft. Solche Widersprüche sind bei der Digitalisierung unvermeidlich, sagt Hanna Fry, eben weil sie auch im traditionellen Rechtssystem enthalten sind. "Der Algorithmus erzwingt eine schwierige Debatte darüber, wie Entscheidungen im Gerichtssaal getroffen werden sollten."

Menschliche Erfahrungen bleiben wichtig

Es kommt darauf an, einen intelligenten Umgang mit der Digitalisierung zu entwickeln. "Algorithmen machen Fehler. Algorithmen sind ungerecht." Die entscheidende Frage lautet deshalb, ist der Status quo eigentlich besser und mit welcher Art von Fehlern wollen wir leben?
"Algorithmus und Mensch arbeiten partnerschaftlich zusammen, nutzen die Stärken und berücksichtigen die Fehler des jeweils anderen." Das gelingt schon heute beim Mammographie-Screening. Die Programme sichten ohne Ermüdung Bild nach Bild und markieren auffällige Bereiche. Die wirklich einzuschätzen ist dann aber die Aufgabe der Ärzte. Und so lautet Hanna Frey Fazit nach ihrem gelungenen Rundgang durch die digitalen Welt dann auch: "Noch nie waren Menschen so wichtig wie im Zeitalter der Algorithmen."

Hanna Fry: Hello World. Was Algorithmen können und wie sie unser Leben verändern
Übersetzt aus dem Englischen von Sigrid Schmid
C.H.Beck, München 2019
272 Seiten, 19,95 Euro

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