Hamburgs Umgang mit seiner Stadtgeschichte

Edelboutiquen im ehemaligen Gestapo-Gefängnis

Der Schriftzug "Bienvenue Moin Moin Stadthof" am Tor zum neuen Stadthöfe-Komplex in der Hamburger Innenstadt. Der umstrittene schmiedeeiserne Schriftzug soll entfernt werden.
Erweckt böse Assoziationen: Der umstrittene schmiedeeiserne Schriftzug am neuen Stadthöfe-Komplex in Hamburg soll entfernt werden. © Georg Wendt/ dpa
Von Axel Schröder · 19.12.2018
In Hamburgs Stadthöfen, wo einst die Gestapo folterte, ist nun ein Edelquartier mit Cafés und Shops entstanden: Dies zeige eine Instinktlosigkeit im Umgang mit der Geschichte, meinen Kritiker. Nicht der einzige stadtgeschichtliche Problem-Fall in Hamburg.
Eine der feinsten Adressen sollen sie werden, die sorgsam restaurierten Stadthöfe in der Hamburger Innenstadt. Zum Neuen Wall hin erhebt sich der Eckturm der Stadthöfe. Herausgeputzt, mit hellem Stein.
Vor 80 Jahren war vom französischen Charme, mit dem der Investor Quantum das Areal bewirbt, wenig zu spüren. Damals war der Ort, an dem jetzt durch Schaufenster im Souterrain teures Porzellan dezent beleuchtet wird, ein Ort des Schreckens:
"In dem Gebäude, in dem die Gestapo vor allen Dingen gesessen hat, jetzt hier solche Dekorationen zu sehen, manches ist ja noch nicht fertig. Aber dahinter waren eben auch die Haftzellen. Das muss man ganz klar sagen."
Wolfgang Kopitzsch schlägt den Mantelkragen hoch, schützt sich gegen das nasskalte Wetter. Kopitzsch war Hamburger Polizeipräsident, heute leitet er die "Arbeitsgemeinschaft ehemals verfolgter und inhaftierter Sozialdemokraten". Auch sein Vater gehörte dazu.

"Das finde ich schon schockierend"

"Was für eine famose Chose!", "Unendliches Plaisir", "Bienvenue zu la grande flânerie" ist in weißen Lettern auf den noch nicht ganz abgebauten tiefschwarzen Baustellen-Zäunen zu lesen. Eine unerträgliche Provokation sei das, findet Kopitzsch.
"Dies alles hat mit Frankreich nichts zu tun. Das ist eine reine Vermarktungsstrategie. Und ich finde, dass macht es so besonders empfindsam gerade für die, deren Familienangehörige hier gequält, gefoltert und in einigen Fällen auch zu Tode gebracht worden sind. Das finde ich schon schockierend und das zeigt, sage ich ganz offen, eine Instinktlosigkeit im Umgang mit Geschichte."
Und daran ändert auch der für die Erinnerung vorgesehene Raum in den Stadthöfen nichts, findet Wolfgang Kopitzsch. 100.000 Quadratmeter Fläche umfasst das Areal, auf 75 Quadratmetern können Besucher etwas über die dunkle Seite des einst städtischen Prachtbaus erfahren.
Mittlerweile nimmt sich auch die Hamburger Kulturbehörde dem allzu lässigen Gedenken an und hat einen Beirat ins Leben gerufen, der nach Lösungen suchen soll. Geleitet wird der Beirat von Hans-Peter Strenge. Der Hamburger Staatsrat a. D. hatte selbst einige Jahre sein Büro in den Stadthöfen. Auch er fordert Zugeständnisse vom Investor Quantum. Ursprünglich hatte das Unternehmen 750 Quadratmeter für den Gedenkort vertraglich zugesichert. Geblieben ist nur ein Zehntel davon.

Schautafeln sollen an die Geschichte des Ortes erinnern

"Vor allem gibt es hier Potenzial! Wenn es noch mehr Räume gibt, wenn das besser beschildert wird. Der Kulturausschuss hat sich jetzt dafür ausgesprochen, die Bürgerschaft hat das verabschiedet in der vergangenen Woche: eine Stelle, eine Personalstelle, Wissenschaftler, bei der KZ-Gedenkstätte Neuengamme neu einzurichten, die sich speziell mit der Geschichte dieses Orts befasst. Das ist ja auch nicht wenig, denn zuerst hatte man den Eindruck, die Stadt hält sich da ganz fein raus. Das tut sie offenbar nicht und das sollte sie auch nicht!"
Eine gute Idee sei das geplante Kunstwerk vor den Stadthöfen, das die Vergangenheit des Gebäudes aufnehmen und die Gegenwart transportieren könne. Und im Laubengang durch die Stadthöfe sollen Schautafeln an die Historie des Gebäudes erinnern. Noch ist in den Stadthöfen ein angemessener Umgang mit der Geschichte des Ortes denkbar.

Eine Million Todesbescheinigungen vernichtet

Nur ein paar hundert Meter weiter, in der Kulturbehörde, hat Enno Isermann sein Büro. Interviews zum jüngsten Schredder-Skandal im Hamburger Staatsarchiv lehnt dessen Leiter Udo Schäfer ab. Also muss Enno Isermann, der Sprecher der Kulturbehörde, ran.
Es geht um mehr als eine Million für immer verlorene Todesbescheinigungen von Hamburgerinnen und Hamburgern aus den Jahren 1876 bis 1953. Auch um Dokumente von Euthanasieopfern aus den Jahren 1939 bis 1945.
"Man hatte übersehen, dass die Unterlagen schon genutzt werden von der Forschung, allein dadurch einen hohen Stellenwert bekommen haben. Und dass es auch in der Tat Sachen gibt, die in den Todesbescheinigungen stehen, die man nicht ohne weiteres in anderen Beständen findet. Das ist ein Fehler, der da passiert ist. Aber da hat das Staatsarchiv jetzt sehr ausführlich das aufgearbeitet. Und sieht zu, dass das nicht noch einmal passiert."

Stadt bemüht sich um Schadensbegrenzung

Genutzt wurden die geschredderten Todesbescheinigungen unter anderem von der "Stolperstein"-Initiative des Künstlers Gunter Demnig. Seit zehn Jahren verlegt er die bronzefarbenen Steine an Orten, an denen Opfer der NS-Herrschaft gelebt haben.
"Und das sind Sachen, wo jetzt das Staatsarchiv sehr bemüht ist zu helfen, dass man diese Information auch auf anderem Wege bekommt."
Schadensbegrenzung. Immerhin.
Meine Erkundungsgänge zum Umgang Hamburgs mit seiner Stadtgeschichte führen mich in die Rothenbaumchaussee, zu Professor Jürgen Zimmerer, den Leiter der Forschungsstelle für das (post)koloniale Erbe der alten Hanse- und Hafenstadt. Eine Viertelstunde zu Fuß.
Der Weg dorthin führt vorbei am Dammtorbahnhof, vorbei an drei Denkmälern aus drei deutschen Epochen: das jüngste ist das Deserteursdenkmal von 2014. Ein paar Schritte weiter folgt Alfred Hrdlickas düstere Abrechnung mit der NS-Zeit. Nie fertiggestellt, entstanden Anfang der Achtzigerjahre. Dahinter thront, oft beschmiert und demoliert: der "Kriegsklotz". Ein massiver Quader, um dessen Kanten in Stein gemeißelte, deutsche Truppen marschieren. In voller Ausrüstung, entstanden 1936. Über den Soldaten der Spruch: "Deutschland muss leben, auch, wenn wir sterben müssen."

Aufarbeitung des kolonialen Erbes Hamburgs

Angekommen bei Jürgen Zimmerer zeigt der Professor für Kolonialgeschichte auf der Wandkarte in seinem Büro, wo die Deutschen den weltweit ersten Genozid des 20. Jahrhunderts verübten:
"Zum Beispiel sehen sie hier Swakopmund, das ist der große Hafen in Deutsch-Südwest-Afrika. Über den die Wöhrmann-Linie anfährt und über die – Swakopmund und Lüderitz im Süden – zum Beispiel der Nachschub für den Genozid an den Herero und Nama läuft. Der ja vom Baakenhafen wegfährt. Wenn Sie sich vorstellen: vom Baakenhafen in Hamburg bis hierher und hierher laufen eigentlich diese Versorgungslinien für den Genozid. Eben organisiert und im Auftrag und durchgeführt durch die Reederei Wöhrmann."

"Da ist Hamburg auf jeden Fall ein Vorreiter"

Zimmerers Forschungsstelle wurde 2014 ins Leben gerufen. Auf Betreiben des Senats und der Bürgerschaft der Hansestadt. In diesem Sommer besuchte eine Delegation der Herero und Nama das Hamburger Rathaus. Bei ihrem Besuch setzte Hamburg ein Zeichen, wie man sensibel mit der eigenen Geschichte umgeht.
Zu Ehren der Delegation gab es einen Festakt. Nicht irgendwo, sondern im Kaisersaal des Hamburger Rathauses, unter den alten Deckenmalereien, unter Motiven aus der ach so glorreichen Hamburger Kolonialvergangenheit.
"Da ist Hamburg auf jeden Fall ein Vorreiter, gerade auch, wenn man es mit anderen Städten vergleicht."
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