Hachmeister: RAF-Film bietet wenig Neues

Lutz Hachmeister im Gespräch mit Joachim Scholl · 17.09.2008
Der Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister hat der Auffassung widersprochen, der neue Film über die RAF entmystifiziere die Terrorbewegung. Der Film "Der Baader-Meinhof-Komplex" entzaubere den Mythos RAF nicht mehr als andere, ältere Filme über die Terroristen. Der Film füge bis auf "eine etwas elegantere Inszenierung" bisherigen RAF-Filmen "nichts Wesentliches" hinzu. In den Action-Szenen sei er sehr gelungen.
Joachim Scholl: Die Meldung kam passend zur Premiere, gestern wurde bekannt, dass der Film "Der Baader-Meinhof-Komplex" ins Rennen für den Oscar gehen wird. Das freut auf jeden Fall die Macher, Produzent und Drehbuchautor Bernd Eichinger und Regisseur Uli Edel nebst einer ganzen Riege prominenter deutscher Filmstars wie Moritz Bleibtreu, Nadja Uhl, Bruno Ganz oder Martina Gedeck. Nach mächtigem PR-Marketing und allerlei Medienschnickschnack wurde gestern Abend in München Weltpremiere gefeiert.

Wir wollen jetzt auf den Inhalt und auch den politischen Gehalt schauen mit Lutz Hachmeister, Medienwissenschaftler und tief in der Thematik als Autor der Biografie und des Films "Schleyer. Eine deutsche Geschichte". Er ist bei uns im Studio, guten Tag, Herr Hachmeister!

Lutz Hachmeister: Guten Tag!

Scholl: Sie haben sich heute Morgen den Film hier in Berlin bei einer Pressevorführung angeschaut. Mit welchen Erwartungen sind Sie eigentlich ins Kino gegangen?

Hachmeister: Mit keinen großen Erwartungen. Ich wusste, dass es die Verfilmung des Buches von Stefan Aust ist, und ich habe mich einfach zweieinhalb Stunden noch mal in die Thematik versenken lassen und habe mich nicht gelangweilt.

Scholl: Was war denn Ihr Eindruck?

Hachmeister: Es ist ein sehr passabler Film, also so kann man es zusammenfassen. Er überrascht nicht, weder im Positiven noch im Negativen. Er erzählt die Geschichte sehr chronologisch. Aber er verfällt auch nicht in eine reine Aneinanderreihung von Actionszenen, obwohl der Film da am stärksten ist. Also man merkt, dass Regisseur Uli Edel, der ja lange in Amerika gearbeitet hat, das am besten kann.

Die Dialogszenen sind zum Teil sehr hölzern, sehr papieren, wobei man sich immer fragt, haben die Mitglieder der Roten Armee Fraktion wirklich damals so miteinander kommuniziert oder ist dieser karikaturenhafte Eindruck, der entsteht, einfach nur der Zeitverschiebung zu verdanken. Es sind 40 Jahre ins Land gegangen, vielleicht wurde damals wirklich so geredet, und wir empfinden es heute als Karikatur, weil wir stärker darüber reflektieren. Das ist ein interessanter Effekt des Films.

Scholl: Was ist der Zeitrahmen des Films, wann geht es los, wann endet es?

Hachmeister: Es geht exakt los 1967 in Berlin mit dem Schah-Besuch und den Demonstrationen gegen den Schah-Besuch. Das ist eigentlich die stärkste Szene des Films übrigens auch, sehr intelligent inszeniert, sehr gut geschnitten. Diese brutalen Jubel-Perser, die mit Holzlatten auf die Demonstranten einschlagen in Westberlin, die Polizei, die immer noch den Eindruck macht, als stamme sie aus der Weimarer Republik, mindestens. Man kann sich richtig vorstellen, dass dort einige auch mitknüppeln, einige Polizisten, die auch im Dritten Reich eine bestimmte Rolle gespielt haben. Also der Film macht schon deutlich, warum junge Leute sich auch nach der Studentenbewegung radikalisiert haben. Er kommt nicht out of the blue, also man denkt nicht, was sind das für Aliens, die auf einmal die Rote Armee Fraktion formieren, sondern bekommt schon mit, wo die Gründe liegen.

Scholl: Wie müssen wir uns denn diesen Film vorstellen, so vom Ambiente? Ist das ein historischer Spielfilm sozusagen oder doch eine verfilmte Dokumentation mit dem Anspruch, ganz authentisch zu sein? Wir kennen ja auch so die Dok-Dramen mit fiktivem Anteil.

Hachmeister: Es ist schon dokumentarische Fiktion. Merkwürdigerweise hat Peter Jürgen Boock, einer der Kronzeugen, auch für diesen Film seine Erlebnisse über die Schleyer-Entführung und seine Mitgliedschaft in der RAF auch als dokumentarische Fiktion bezeichnet. Es ist ein merkwürdiger Begriff, weil man immer denkt, entweder ist es dokumentarisch oder fiktional, aber ich glaube, der Begriff trifft es schon. Man ist sehr um Authentizität bemüht, das hat man ja auch immer wieder betont. Jedes Einschussloch in einer Hold-up-Szene, in einer Schussszene ist auch da, wo es wirklich in dem und dem Wagen war. Manchmal hat man den Eindruck, dass die Authentizität, also dieses Verlangen nach Echtheit und Realismus, die hintergründige Erklärung den intelligenten Dialog, die psychologische Zeichnung etwas in den Hintergrund drängt, sodass der Film, wie ich schon sagte, dann über Strecken doch sehr hölzern wirkt.

Scholl: Stichwort Psychologie: Werden denn sozusagen auch seelische Entwicklungen der Protagonisten deutlich?

Hachmeister: Das schon, also der Konflikt zwischen Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin, so weit wir ihn aus den abgefangenen Kassibern kennen, also eine wirklich Frauenfeindschaft, die da entsteht, die doch innige Liebesbeziehung zwischen Gudrun Ensslin und Andreas Baader, auch der Wechsel Ulrike Meinhofs von Journalismus in den Untergrund, in den bewaffneten Kampf wird plausibel uns so erzählt, wie wir es eigentlich kennen. Ich denke, wer viel über die Rote Armee Fraktion gelesen hat, wird durch diesen Film eben nichts Neues erfahren. Es ist eine flüssige Bebilderung, Visualisierung der Erkenntnisse, die wir aus der Literatur über die RAF gewonnen haben.

Scholl: Wenn wir Ihren Gedanken umdrehen, wenn wir jetzt einem politischen Kasper Hauser sozusagen diesen Film vorspielen, also einem Menschen, der von der RAF und all den Zusammenhängen keinerlei Ahnung hat, kann er mit diesem Film etwas anfangen?

Hachmeister: Das ist eine interessante Frage, man müsste da wirklich jüngere Leute befragen, die dann in den Film gehen. Es ist übrigens ein ähnliches Phänomen wie bei dem "Untergang", also Bernd Eichingers letzte Großproduktion. Die Filme ähneln sich übrigens auch, darüber können wir vielleicht auch noch mal kurz reden. Ich denke, dass jüngere Menschen eher von den Protagonisten fasziniert sind, unweigerlich, weil es wird viel geschossen, die Waffe wird in die Hand genommen, es wird Aktion gemacht. Andreas Baader wirkt zum einen ziemlich grotesk, also in seinem comichaften Aktionismus, zum anderen aber macht er einfach auch und er ist sehr witzig in dem Film. Er wird von Moritz Bleibtreu sehr sarkastisch, sehr humorvoll eigentlich dargestellt. Und ich kann mir vorstellen, dass man so eine Figur auch ganz spannend findet.

Scholl: Der Film "Der Baader-Meinhof-Komplex", im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur ist der Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Buch von Stefan Aust. Dieser hat gestern hier in unserem Schwesterprogramm im Deutschlandfunk von einer
"Entmystifizierung der RAF" gesprochen, die dieser Film nun leiste. Sind Sie auch dieser Ansicht, Herr Hachmeister?

Hachmeister: Also da er im Grunde dieselbe Perspektive einnimmt oder die gleiche Perspektive wie viele Dokumentationen und Spielfilme über die RAF zuvor, wird jedenfalls kein neuer Grad von Entmystifizierung erreicht. Also Heinrich Breloer mit seinem Fernsehzweiteiler "Todesspiel" hat exakt dieselbe Perspektive gewählt, also die RAF wird nicht, also die Mitglieder der RAF werden schon auch so aktionistisch und unreflektiert dargestellt im "Todesspiel" wie jetzt im "Baader-Meinhof-Komplex".

Auch Stefan Austs eigener Film, zu dem er die Drehbuchvorlage geliefert hat, "Stammheim" damals, der den Goldenen Bären gewonnen hat in den 80er-Jahren, weicht von den Szenen, die man hier aus dem Gericht in Stammheim sieht, nicht wesentlich ab. Das ist auch das Probleme dieses Film, dass er sehr additiv ist. In der zweiten Hälfte weiß man eigentlich alles durch den Heinrich-Breloer-Film über die Entführung von Hanns-Martin Schleyer, über das Versteck, über die Aktionen des Staates, über Horst Herold, und der Film fügt, bis auf einige modernere Schauspielerleistungen, eine etwas elegantere Inszenierung, diesem Breloer-Film eigentlich nichts Wesentliches hinzu.

Scholl: Stichwort Mythos: Also nun heißt es immer, jenen Mythos habe die RAF schon während ihrer Zeit selbst aufgebaut, also wenn man was entmystifizieren will, muss man ja sozusagen erst mal was Mystisches aufbauen. Man hat oft den Filmen gerade vorgeworfen, dass sie sozusagen einen negativen Mythos erschaffen haben im Sinne von die Terroristen seien doch immer nur die Opfer gewesen gesellschaftlicher Umstände und der Zeit. Wenn man sich jetzt aber die Filme anschaut, "Stammheim" haben Sie schon genannt, wir könnten noch "Deutschland im Herbst" nennen, Schlöndorffs "Die Stille nach dem Schuss" oder auch Ihren, Lutz Hachmeister, Ihren Film, "Hanns-Martin Schleyer". Diese Filme zeigen ja doch immer auch die gesellschaftlichen Begleitumstände, also diese unglaubliche Hysterie, auch auf staatlicher Seite, oder die Paranoia auch unter der Bevölkerung. Wir kennen alle noch die Hetz- und Hatzkampagnen der Boulevardpresse, die damals herrschten.

Wie geht denn eigentlich "Der Baader-Meinhof-Komplex" mit dem Kontext um? Sie sagten schon, es wird gezeigt, wie die Gewalt entsteht. Wird auch, sagen wir mal, in der Zeit, der Schleyer-Zeit, das endet ja, glaube ich, auch mit der Schleyer-Entführung, wird da auch gezeigt, wie sich der Zeitgeist verändert hat? Wie geht der Film damit um?

Hachmeister: Eigentlich nicht. Also zum Beispiel bei "Schleyer" erfährt man in dem Film nichts, er ist nur da, er wird gefangen genommen, und die letzte Szene des Films ist an der belgisch-französischen Grenze, er wird erschossen. Man hört den Schuss, und dann ist der Film zu Ende. Jemand, der sich nicht zeithistorisch mit den Figuren auseinandergesetzt hat, wird nicht wissen, warum gerade Hanns-Martin Schleyer ausgewählt wurde als Entführungsopfer. Da gab es ja sehr strategische Überlegungen, weil er Präsident der Arbeitgeberverbände war, weil er diese SS-Vergangenheit hatte. Selbst diese zweite Generation der RAF hatte sich ja etwas dabei gedacht in ihrer ganzen Verrücktheit.

Da der Film die ganze Geschichte der RAF erzählen will, braucht er schon zweieinhalb Stunden, um das rein faktologisch zu tun. Es ist praktisch nicht möglich, außer diesen Szenen über den Schah-Besuch und einzelne Bürger, die dann sagen "Kopf ab" oder "sofort ins KZ", das kommt natürlich so am Rande vor, diese Konfrontation mit dem Staat wird nicht besonders deutlich. Der Einzige, der so als eine Art Gesamtphilosoph, reflektierter Gesamtphilosoph der damaligen Bundesrepublik auftritt, ist Horst Herold, der sehr überhöht wird, wie ich finde, also er ist schon fast ein Heiliger des Bundeskriminalamtes, der von lauter wesentlich unfähigen Untergebenen umgeben ist, die gar nicht verstehen, warum er sagt, wir müssen die RAF aber analysieren, begreifen und müssen es auch verstehen.

Scholl: Aber er hatte diesen philosophischen Ansatz, die reale Figur im ...

Hachmeister: Natürlich, er war schon ein intelligenter Kriminalist, aber so wie Bruno Ganz ihn darstellt, ist er einfach viel intelligenter als alle deutschen Politiker zusammen.

Scholl: Der Film ist jetzt für den Oscar vorgeschlagen, für den besten ausländischen Film. Es wird ja interessant sein, wie man im Ausland diesen Film anschaut, wo man ja auch eigentlich keine Ahnung, spezielle, genaue Ahnung hat von den Zusammenhängen. Was meinen Sie? Wird dieser Film sozusagen das Bild der RAF dann international abgeben?

Hachmeister: Also ich denke, dass man doch über den europäischen Terrorismus auch im Ausland sehr viel weiß schon. Es gab ja damals auch die Fernsehberichterstattung. Man kennt diese Fahnungsplakate aus den Illustrierten, die natürlich auch, "Paris Match" usw., die auch im Ausland verbreitet sind. Ich denke, wenn man den Film so als Action-Drama nimmt und um sich noch mal die Figuren zu vergegenwärtigen, wird man ihn im Ausland auch anschauen können. Wenn ich mir vorstelle, ich sähe eine französischen Film über die "Action direct", über die wir übrigens sehr, sehr wenig wissen, über diese französische Terroristenfraktion, in einer ähnlichen Form, würde ich sehr wenig verstehen. Ich würde mir die Figuren ansehen, und es würde mir vorkommen wie so ein Godard-Remake. Also wer sich nicht zeithistorisch auch im Ausland mit dem Geschehen beschäftigt hat, ist von der Abfolge und von der Vielgestaltigkeit des Geschehens doch überfordert.

Scholl: "Der Baader-Meinhof-Komplex". Gestern war Premiere, nächste Woche kommt er in die Kinos. Dann wird aus weiterer kritischer Sicht darüber zu reden sein. Eine erste Einschätzung hat für uns der Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister geliefert. Besten Dank.
Mehr zum Thema