Friseure für saubere Meere

Mit Haarfiltern gegen die Ölpest

04:56 Minuten
Eine Luftaufnahme vom 4. Oktober 2021 zeigt Umweltschutzteams, die nach einem Ölunfall im Pazifischen Ozean in Huntington Beach, Kalifornien, das Öl beseitigen, das ausgelaufen ist und einen Schimmer auf dem Wasser verursacht hat.
Wie kriegt man nach einer Ölpest das Öl aus dem Wasser? Haarfilter können hier helfen. © AFP / Patrick T. Fallon
Von Matthias Finger · 05.02.2022
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Haare binden Fett. Diese Eigenschaft macht sich ein französischer Friseur und Umweltaktivist zunutze: Aus abgeschnittenen Haaren und Thrombosestrümpfen stellt er Ölfilter her, mit denen die Meere gesäubert werden können.
In Peru bekämpfen immer noch Tausende Arbeiter eine Ölpest. Durch die Eruption des Unterwasservulkans in Tonga floss beim Entladen eines Tankers Öl ins Meer – eine Million Liter. In Zukunft könnte hier eine südfranzösische Erfindung helfen: der Haar-Ölfilter. Aus ihrem Salon in der Nähe von Münster schickt Indra Fürstenberg monatlich mehrere Kilo Schnitthaare in die Provence:
"Man kann mit wahnsinnig einfachen Mitteln dazu beitragen, dass nachfolgende Generation möglicherweise doch noch ein schönes Leben haben können", sagt sie.

"Haarfilterwürste" saugen das Öl auf

Eine halbe Autostunde nordöstlich von Marseille lagert Thierry Gras in einer Halle tonnenweise Schnitthaare. Langzeitarbeitslose füllen sie in gebrauchte Thrombosetrümpfe – zusammen mit Weinkorken, damit die Haarfilterwürste auf dem Wasser schwimmen. Stolz taucht Thierry seinen selbst entwickelten Filter in eine Schüssel Wasser, auf der eine orangefarbene Lache schwimmt. "Man sieht: Das Wasser fließt ab und das Öl bleibt am Haar haften."
Der französische Friseur Thierry Gras und Gründer der Umwelt- und Recyclingvereinigung "Coiffeurs justes" (gerechte Friseure) spricht mit einem Arbeiter, während sie Papiersäcke mit Haaren füllen, die sie von Friseuren in Frankreich erhalten haben.
Statt im Müll zu landen, werden abgeschnittene Haare in eine Art Kohlenwasserstoff-Absorptionsschlange verwandelt, die zur Säuberung des Mittelmeers beiträgt.© AFP / Christophe Simon
Abertausende französische Friseure machen mittlerweile mit und senden Thierry Haarreste. In vielen Städten gibt es sogar spezielle Sammelcontainer.
"Ich wünsche mir, dass eines Tages in der ganzen Welt Haare genutzt werden", sagt Thierry. "Es ist ein Unding, dass man sie einfach wegwirft. Wenn alle Friseure mitmachen, wäre das toll."

Haare filtern auch Dieselreste und Sonnenmilch

Aneinandergereiht saugen die Haar-Ölfilter bereits Dieselreste aus Marinas und an Stränden Sonnencreme von der Wasseroberfläche. Jedes Jahr landen weltweit 10.000 Tonnen im Meer. Haare eignen sich hervorragend, denn sie gelten als lipophil, was so viel heißt wie fettfreundlich, erklärt Hautärztin Yael Adler:
"Das sieht man daran, dass der Kopfhauttalg sehr gut an den Haaren haftet und dort bleibt – auch deshalb, weil der Haarfaden nicht glatt ist, sondern mit Hornschuppen übersät. So ähnlich wie ein Tannenzapfen. Und je nach Rauigkeit kann das Fett da besonders gut anhaften."

Auch bei Deepwater Horizon wurden Haarfilter eingesetzt

Genau diese Eigenschaften helfen bei der Beseitigung von Ölverschmutzungen. Doch die Idee mit dem Haar-Ölfilter ist nicht ganz neu. Die Bretonen schützten so ihre Strände, als dort der Tanker Amoco Cadiz 1978 auseinanderbrach. Auch nach der Explosion der Bohrinsel Deepwater Horizon haben einheimische Haarfilter zur Reinigung der Ufer benutzt.
"Man hat nicht nur Haare genommen, sondern Zellulose, Wolle, Hühnerfedern, Sägespäne, Torf, Moos, Textilien", sagt Wasserexperte Hans-Curt Flemming. "Und da hat man zwei Probleme. Das eine Problem ist die Kapazität. Das heißt: Wieviel nehmen diese Materialien auf? Und das andere Problem ist: Wie wird man es nachher wieder los?"
Ein Arbeiter füllt Papiersäcke mit Haaren, die er von Friseuren in Frankreich erhält und die zur Herstellung von Kohlenwasserstoff absorbierenden Schlangen verwendet werden, am 
Sitz der Umwelt- und Recyclingvereinigung "Coiffeurs justes" (faire Friseure) in Brignoles.
In Frankreich sammeln bereits Tausende Friseure abgeschnittene Haare und stellen sie den "Coiffeures justes" zur Verfügung.© AFP / Christophe Simon
Die Haarölfilter können bis zu achtmal gereinigt und wiederverwendet werden. Danach können sie immer noch weiterverwendet werden – zum Beispiel als Dämmstoff in der Bauindustrie. Eine lange ignorierte Ressource wird endlich angezapft:
"Wir im Handwerk haben einfach diese Supermöglichkeit. Wir überlegen uns was und handeln. Einfacher geht es gar nicht. Das ist kostentechnisch ein verschwindend geringer Aufwand, diese Filter in die Meere zu bringen. Aber der Nutzen ist unfassbar hoch", sagt Indra Fürstenberg.
Sie ist eine der wenigen deutschen Friseurinnen, die Haarabfälle aus ihrem Salon einer Weiterverwendung zuführt: Unser Haupthaar wächst 15 Zentimeter im Jahr. Das sind gerade mal 20 Gramm. Aber die Masse macht‘s: Ein normaler Salon schmeißt durchschnittlich sechs Kilo Schnitthaare weg – im Monat. Alle 80.000 deutschen Salons kämen also zusammengerechnet auf knapp 500 Tonnen. Damit ließe sich viel Gutes tun.  

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