"Gundermann" von Andreas Dresen

"Jemand, der viele Widersprüche in sich vereint"

Liedermacher Gerhard Gundermann
Liedermacher Gerhard Gundermann im November 1993 in Cottbus. © picture alliance/dpa/Foto: Rainer Weisflog
Andreas Dresen und Alexander Scheer im Gespräch mit Susanne Burg · 18.08.2018
Gerhard Gundermann saß zu DDR-Zeiten tagsüber auf seinem Bagger im Tagebau, stand abends auf der Bühne, bespitzelte seine Mitmenschen und wurde später selbst von der Stasi überwacht. Von Regisseur Andreas Dresen kommt nun die Filmbiografie "Gundermann" in die Kinos.
Susanne Burg: Er galt als der singende Baggerfahrer, der DDR-Liedermacher Gerhard Gundermann. Der Regisseur Andreas Dresen, bekannt durch Filme wie "Halbe Treppe", "Wolke 9" oder "Als wir träumten", hat Gerhard Gundermann jetzt einen Film gewidmet.
Gundermann im gleichnamigen Film von Andreas Dresen. Alexander Scheer spielt den Liedermacher, und beide sind jetzt im Studio. Guten Tag, Herr Dresen und Herr Scheer!
Andreas Dresen: Hallo, schönen guten Tag!
Alexander Scheer: Hallo, hallo!
Burg: Herr Dresen, Sie setzen sich seit vielen Jahren mit Gerhard Gundermann auseinander. Was fasziniert Sie gerade an dieser Biografie, dass Sie daraus einen Film machen wollten?
Dresen: Tja, na ja, das ist ein lebender Widerspruch auf zwei Beinen, würde ich sagen, der Gerhard Gundermann. Das ist natürlich erst mal ein großartiger Songschreiber, wirklich. Und ich liebe die Lieder, die er gemacht hat, und habe die damals, als er noch am Leben war, natürlich in den Konzerten gerne gehört, aber er war eben auch gleichzeitig Arbeiter. Er hat im Tagebau gearbeitet und hat immer auch Wert drauf gelegt, dass er das Brot für seine Familie mit seiner Hände Arbeit verdient. Also er ist dann quasi vom Konzert, wo er vor Bob Dylan oder Joan Baez gespielt hat, dann in sein Auto gestiegen und zur Frühschicht in den Tagebau gefahren, wo er sich dann in seiner Kanzel über dieser Mondlandschaft wiedergefunden hat.
Also das alleine ist natürlich schon ein irrsinniger Umstand. Dann kommt dazu, dass er Kommunist war, trotz dem, dass er aus der Partei rausgeflogen wurde, wegen – in Anführungsstrichen – "grundsätzlicher Eigenwilligkeit". Er war ein absoluter Idealist, Rebell, der die Leute genervt hat mit seinem Sturm und Drang. Er war bei der Stasi, er hat acht Jahre lang für die Stasi zugetragen, dann hat das alles nicht mehr funktioniert. Er ist da raus, dann wurde er bespitzelt. Also wie man schon aus den Beschreibungen merkt: jemand, der sehr viele Facetten und Widersprüche in sich vereint, und das fand ich ganz interessant. Da stecken ganz viele Filme drin, glaube ich, in dieser Figur.
Burg: Alexander Scheer, Sie sind Jahrgang 1976, waren also 22, als Gundermann gestorben ist. Erinnern Sie sich noch an ihn, oder was war Ihre erste Begegnung mit ihm?

Scheer: Also ich weiß, dass selbst die Mädels in der Schule, die ich interessant fand, den gehört haben. Also der war eine ziemlich große Nummer. Ich wusste wie der aussieht, und ich habe einen Bogen um den gemacht. Das war mir tatsächlich damals zu ostig. Ich habe mich eher auf Rock’n’Roll ausgerichtet und wollte Westplatten und so, Frank Zappa. Also der Liedermacher mit der Brille hatte keine Chance. Ich habe jetzt aber erst gemerkt, also in der Recherche, dass ich tatsächlich einen der größten Songschreiber deutscher Zunge verpasst habe. Seine Lieder gehen wirklich direkt ins Herz.

"Was der Mann getextet hat, das gilt es wiederzuentdecken"

Burg: Zu ostig! Was machte denn seine Lieder aus?
Scheer: Also in Deutsch ist ja immer so eine Sache, aber der hat eine Geradlinigkeit, die Texte, in der Art, wie er sie singt, die kommen direkt aus seinem Herzen, also die singt der einfach, weil er nicht anders kann, und dann haben seine Texte natürlich eine berückend schöne Lyrik. Also was der Mann getextet und gedichtet hat, das gilt es tatsächlich wiederzuentdecken.
Burg: Herr Dresen, Sie hatten eben auch schon erwähnt die Mondlandschaft, in der er gearbeitet hat. Immer wieder sind die Braunkohlegruben zu sehen in dieser weiten ostdeutschen Landschaft, riesige Bagger mit Schaufelrädern. Da hat er gearbeitet. Wie wichtig sind denn diese Landschaften, um das Leben und Werk von Gundermann zu verstehen, wie sehr haben sie ihn geprägt?
Dresen: Ich glaube…, und das habe ich wirklich erst so richtig verstanden, als ich da auch selber zum ersten Mal in dieser Mondlandschaft, in diese von Menschen ruinierte Landschaft geguckt habe, die aber trotzdem irgendwie auch was ganz Faszinierendes hat und auch irgendwie was Poetisches, wenn auch was schrecklich Poetisches. Wenn man da steht, merkt man, dass der Gundermann, glaube ich, daraus auch seine Poetik und seine Kunst gezogen hat. Er hat ja ganz viel auch mit einem kleinen Diktiergerät in der Baggerkanzel gesessen und dort seine Ideen draufgesprochen. Diese Arbeit ist ja sehr monoton, man muss sich konzentrieren, aber man kann trotzdem auch die Gedanken fliegen lassen, und das spielte für ihn, glaube ich, eine ganz große Rolle. Also irgendwie mit den Füßen im Schlamm der Braunkohle und mit dem Kopf in den Wolken.
Burg: Sie erzählen in zwei Zeitebenen, in den 70ern und in den 90ern. Beide liegen mittlerweile schon eine Weile zurück. Welche Überlegungen sind denn eingeflossen, sie visuell zu unterscheiden?
Dresen: Also wir haben die 70er-Jahre-Zeitebene tatsächlich ein bisschen bunter gemacht. Uns war wichtig, dass man zeigt, dass Hoyerswerda, die ja eine große Neubaustadt war, da sind viele Leute hingezogen, da gab es Industrie da gab es den Tagebau, und wir wollten zeigen, dass das eine junge, eine sehr lebendige Stadt ist, wo auch natürlich diese Brigade Feuerstein, dieser Singeclub, in der Gundermann mitgemacht hat in seinen Anfängen, das war auch so eine hippyeske Vereinigung, da war was los, da wurde getrunken, das war so ein kleines rebellisches Zentrum in Hoyerswerda, und deswegen war es uns wichtig, die DDR in den 70er-Jahren sehr lebendig, sehr farbig zu zeichnen. Wir haben dann in der Phase, wo Gundermann in den 90ern unterwegs ist, wo er sich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen muss, wo die Konflikte sich verschärfen, eine etwas entsättigere Farbgebung gewählt.

Burg: Alexander Scheer, Sie hatten nun die Herausforderung, einen Menschen zu spielen, also eine reale Person, die es gab. Da haben viele natürlich gleich Bilder im Kopf, und dann haben Sie ja auch noch die Musik gemacht. Wie nähert man sich – also da ist ja dann auch noch die Frage, interpretiert man das, versucht man das zu imitieren –, wie haben Sie sich dieser Figur angenähert?
Regisseur Andreas Dresen (l) und die Schauspieler Anna Unterberger, Alexander Scheer und Axel Prahl bei der Premiere des Kinofilms "Gundermann" am 13. August in Berlin. 
Regisseur Andreas Dresen (l) und die Schauspieler Anna Unterberger, Alexander Scheer und Axel Prahl bei der Premiere des Kinofilms "Gundermann" am 13. August in Berlin. © picture alliance/dpa/Foto: Jens Krick/Geisler-Fotopres
Scheer: Das war tatsächlich ein ziemlich umfangreiches Paket. Wenn man eine real existente Person spielt, also biografisch, und die dann auch noch bekannt ist, da gibt es ja Referenzen, das sind Parameter, an denen wird man gemessen. Da muss man erst mal hin. Das hat natürlich Vor- und Nachteile. Der Vorteil an biografischen Arbeiten ist ja, die Hälfte der Arbeit ist schon getan, die Rolle muss ja nicht mehr entwickelt werden, die ist ja schon da. Die Frage ist nur, kriege ich das hin. Ja, und dann, klar, dann hat man noch die Songs, da will man ja auch eine eigene Interpretation anbieten, trotzdem in der Atmosphäre, in der Gundermannschen irgendwie bleiben, dann die beiden Zeitebenen, also als Mitte 20-Jährigen Ende der 70er, Anfang 40 in den 90ern, das ist schon nicht ohne. Ich muss ich ehrlich sagen, ich habe dieses Mal überhaupt nicht nachgedacht, und das war von großem Vorteil. Wir haben es einfach gemacht.
Burg: Er hatte ja auch so eine sehr durchaus eigene Art zu laufen, in der Welt zu sein, zu sprechen. Da muss man auch, glaube ich, aufpassen, könnte ich mir vorstellen, dass man das nicht zu sehr karikiert, oder?
Scheer: Ich hatte ja einen Weltklasse-Regisseur an meiner Seite, der hat da ordentlich auch aufgepasst. Ja, die Gefahr besteht bei mir natürlich immer.

Burg: Herr Dresen, mussten Sie ihn bändigen?
Dresen: Nein. Also das ist ja normal, dass man auch in der Arbeit miteinander sozusagen nach dem richtigen Maß sucht sozusagen, das eine Szene braucht, und Alex hat es ja schon angesprochen: Das ist auch durchaus in den Zeitebenen verschieden. In den 70er-Jahren ist der Film durchaus komödiantischer unterwegs, da hat die Figur fast was von einem Narren, manchmal ein bisschen was Don-Quichote-haftes, einer, der gegen diese Welt so anrennt, und da spielt Alex das auch mit einer anderen Physis sozusagen, während dem in den 90ern hatte er richtig so ein Fatsuit. Da ist Gundermann ja auch ein bisschen älter, er ist ein bisschen dicker.
Scheer: Jetzt hast du es verraten!
Burg: Spoiler.
Dresen: Sei doch froh!
Scheer: Ja, Fatsuit!
Dresen: Und dann bewegt man sich natürlich auch anders, und von dem Andersbewegen geht dann… das strahlt natürlich in die Psyche ab, ganz klar.
Burg: Sie haben ja bislang Spielfilme gedreht, die häufig in der DDR spielten, die aber nicht auf wahren Personen beruhten. Jetzt eine Biografie. Warum?
Dresen: Weil mich dieser Mann interessiert hat, und weil ich dachte, dass es reizvoll ist, anhand dieser realen Person auch über DDR zu erzählen und wie jemand sich verwickelt in Widersprüche, wie jemand nicht auf der einen Seite Opfer oder Täter ist, sondern irgendwie beides in seinem Herzen schlägt und auch, um davon zu erzählen, wie man als Idealist sozusagen in der DDR ganz schnell in die Falle tappen konnte, wenn man an die Sache geglaubt hat, an die Idee der DDR, und dann mit dem eigenen Idealismus plötzlich dann sich verfängt und unter Umständen sich auch schuldig macht, und diese Gradwanderung, die, glaube ich, viele Leute, die im Osten gelebt haben, sehr gut kennen. Die kann man anhand dieses Charakters wunderbar erzählen.

"Das ist auch noch eine große Liebesgeschichte"

Burg: Sie haben ja auch in einem Interview gesagt, dass es so wenige Künstlerporträts aus dem Osten gibt. "Gundermann" werden jetzt auf jeden Fall diejenigen sehen, die ihn erlebt haben. Problem ist nur, er ist 1998 gestorben. Haben Sie sich auch gefragt, wie Sie auch Jugendliche erreichen, die nach der Wende geboren sind, die ihn vielleicht nicht kennen, wie Sie das ans Heute anbinden?
Dresen: Also ich glaube nicht, dass man eine Filmfigur grundsätzlich kennen muss. Ich glaube, man kann ins Kino gehen, einfach ohne Gundermann zu kennen und lernt ihn halt kennen. Und er ist natürlich bei uns auch nicht der reale Gundermann, wir bauen ihn ja zwar partiell nach, aber natürlich ist das auch eine fiktionalisierte Figur. Also man muss ja auch, wenn man ein Leben in einen Spielfilm übersetzt, natürlich sich erlauben, dass man Dinge verdichtet, zuspitzt, komprimiert, Sachen auch dazu erfindet. Also wir haben versucht, einen prallen, sinnlichen Spielfilm zu drehen, der auch Spaß macht. Das ist eine große Liebesgeschichte auch noch, es gibt tolle Musik – warum sollen da nicht junge Leute reingehen.
Scheer: Gerade die Musik, also die hat eine große Strahlkraft auch heute, die spricht an. Der aktuelle "Rolling Stone" hat gerade tatsächlich sechs Seiten über Gundermann gebracht erstmalig, also über Musik aus dem Osten. Ich glaube, wir treten hier gerade eine ziemliche Welle los.
Dresen: Das wäre jedenfalls schön!
Burg: "Gundermann", der neue Film von Andreas Dresen mit Alexander Scheer in der Hauptrolle, ab Donnerstag im Kino. Vielen Dank, Herr Dresen und Herr Scheer, für das Gespräch!
Dresen: Danke auch!
Scheer: Wir danken! Gehen Sie ins Kino!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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