Gulraiz Sharif: „Ey hör mal!“

Geschichte eines liebenswerten Maulhelden

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Cover des Romans "Ey hör mal!": Auf das gelbe Cover ist in hellblau ein Hochhaus gezeichnet. Darüber steht in schwarzen Großbuchstaben der Buchtitel.
© Arctis

Gulraiz Sharif

Übersetzt von Meike Blatzheim, Sarah Onkels

Ey hör mal!Arctis, Zürich 2022

208 Seiten

15,00 Euro

Von Sylvia Schwab |
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„Ey hör mal!“ erhielt für seinen frechen Erzählton begeisterte Kritiken. Gekonnt erzählt Gulraiz Sharif über die Gefühlwelt eines 15-Jährigen, dessen Leben zwischen der Kultur seiner Eltern und der neuen Heimat mächtig aufgerüttelt wird.
Mahmoud lebt mit seinen Eltern und dem kleinen Bruder Ali im Plattenbauviertel in Oslo. Seine Eltern stammen aus Pakistan. Sie arbeiten hart, um den Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen, die Wohnung zu finanzieren und Geld in die alte Heimat zu schicken.
Als in den Sommerferien Mahmouds Onkel zu Besuch kommt, soll Mahmoud ihm die Stadt zeigen. Onkel Ji ist bald so fasziniert von der westlichen Lebensweise, dass er selbst für immer bleiben möchte.

Tradition trifft auf Moderne

Erst als der zehnjährige Ali sein Geheimnis lüftet und bekannt gibt, dass er ein Mädchen sein möchte, kippt die Familienstimmung. Ist es das, was das Leben in Norwegen mit sich bringt? Vor allem für den konservativ-muslimischen Vater wird Alis Coming-Out zur Herausforderung, wie immer, wenn Tradition auf Moderne trifft.
Gulraiz Sharifs „Ey hör mal!“ nimmt in der wachsenden Zahl von Jugendromanen zu den Themen Transgender und Immigration einen besonderen Platz ein. Und das hat viele gute Gründe.

Klischees treffen auf Sprachwitz

Da ist zum einen der total schnoddrige, fetzige Ton. Mahmoud überzieht die laxe Liberalität norwegischer Familien mit demselben beißenden Spott wie die Engstirnigkeit prügelnder „Kanaken-Eltern“. Er lästert ab über alles und alle und ist doch zutiefst solidarisch mit seiner Familie. Und er traut sich, politisch absolut unkorrekte Dinge zu sagen, Rechtsextreme und Arbeitslose genauso zu attackieren wie die Rückständigkeit der väterlichen Erziehungsmethoden.
Dazu kommt Mahmouds - trotz seines Maulheldentums - empfindsame Bruderliebe. Er fühlt sich verantwortlich, nicht nur für den Bruder, sondern für die ganze Familie.
Zumal er früh die Tragweite von Alis Wunsch, ab jetzt als Mädchen leben zu wollen, begreift und dankbar dafür ist, dass das in Norwegen - anders als in Pakistan -  möglich sein wird.
Aber auch wie Mahmouds Eltern diesen Konflikt verarbeiten, wie die Mutter zur „Tigermutter“ wird und der Wut des Vaters ihre eigene Enttäuschung über ihr ungelebtes Leben entgegensetzt, ist große Erzählkunst!

Ganz nah am jungen Lesepublikum

Gulraiz Sharif, der als Lehrer das Ohr ganz nah an seiner Zielgruppe hat, bugsiert seine Leserinnen und Leser mit großem Charme und noch mehr Chuzpe durch ein rasantes Jungenleben.
Dabei schildert er Mahmouds Schlingern zwischen zwei Kulturen ohne jedes Selbstmitleid. Er dreht vielmehr den Spieß um, nimmt kein Blatt vor den Mund, flucht und scherzt - und lässt es so richtig krachen.

Außerordentlich witzig

Forsch bis zur Unflätigkeit schmeißt Mahmoud mit Floskeln und Fäkalbegriffen um sich, um gleichzeitig den kleinen Bruder mit Zärtlichkeiten zu überschütten. Emotional wie sprachlich schwankt der 15-Jährige heftig hin und her - was typisch ist für das Alter, sich für Außenstehende aber außerordentlich witzig liest.
Eines wird schnell klar: Autor, Buch und Protagonist passen in keine Schublade. Gulraiz Sharif hat ein zugleich provozierendes wie berührendes Jugendbuch geschrieben, dem man auch hierzulande zahlreiche Leserinnen und Leser wünscht.
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