Guillermo Arriaga: "Der Wilde"

"Die Rechten haben in Mexiko keine Wurzeln"

Der Schriftsteller Guillermo Arriaga steht vor einem Industriezaun.
Der Schriftsteller Guillermo Arriaga schreibt oft über die Stadt, in der er aufwuchs: Mexiko-City © Antonio Lacerda/dpa
Guillermo Arriaga im Gespräch mit Dirk Fuhrig · 23.10.2018
Von Verzweiflung und Gewalt in Mexiko-City handelt Guillermo Arriagas neuer Roman "Der Wilde". Dabei ist der Schriftsteller auch Werbebotschafter seines Heimatlandes - das trotz der populistischen Umtriebe Trumps standhaft bleibe.
Guillermo Arriaga ist nach Deutschland gekommen, um von seiner Heimatstadt zu berichten. Mexiko-City – von Europa aus betrachtet: ein Moloch, geprägt von Kriminalität, im Griff von Drogenbanden. Arriaga legt jedoch Wert darauf, dass eine ganz andere Stimmung in seiner Geburtsstadt vorherrscht.
Arriaga: "Am 19. September 2017 – genau am Jahrestag des großen Bebens von 1985 - gab es wieder ein fürchterliches Erdbeben, das Teile von Mexiko-Stadt zerstörte. Und alle haben beim Aufräumen geholfen. Es gab kaum Plünderungen, kaum Gewalt. Die Solidarität war riesengroß. Meine eigenen Söhne haben morgens um 5 Uhr mit angepackt. Es ist ungerecht, wenn man unser Land nur mit Gewalt und Korruption in Verbindung bringt. Die Mexikaner sind sehr großzügig, gastfreundlich und solidarisch – die Bevölkerung besteht aus guten Menschen."
Ein bisschen klingt Guillermo Arriaga wie ein Beauftragter des mexikanischen Tourismusbüros. Wir treffen uns an einem Stand auf der Frankfurter Buchmesse. Dort sticht der knallrote Umschlag seines neuen Romans "Der Wilde" sofort ins Auge. Der Verlag hat gleich mehrere Dutzend Exemplare des neuen Werks seines berühmten Autors aufgestellt.

Arriaga ist auch ein Werbebotschafter Mexikos

"Der Wilde" kreist um einen gefährlichen Hund, der sich als Wolf entpuppt. Aber es geht vor allem um die strukturelle Gewalt, um Jugendbanden, Ende der Sechziger-Jahre in einem besonderen Stadtviertel Mexiko-Citys. Guillermo Arriaga, 1958 geboren, lebte als Kind selbst in dieser architektonischen Mustersiedlung:
"Die 'Undad Modelo' wurde von Le Corbusiers Prinzipien einer funktionalen Architektur geprägt. Als das Viertel in den Fünfzigerjahren gebaut wurde, hat man versucht, alle lebensnotwendigen Einrichtungen zusammenzubringen: Schule, Kirche, Supermarkt, Friseur, Sportanlagen – alles im Umkreis. Das Ganze wurde aber auch zu so etwas wie einer Mausefalle, aus der die Leute kaum noch herauskamen."
Guillermo Arriaga zieht seine Jacke etwas auseinander und deutet auf seine Brust. Er trägt ein T-Shirt, auf dem "Unidad Modelo" steht. Also doch eine Art Werbebotschafter – dieser Schriftsteller mit dem durchdringenden Blick.

"Die Dinge sind komplexer, als Trump es wahrhaben will"

Arriagas Roman spielt in den Sechziger- und Siebziger-Jahren. Mexikos Gesellschaft hat sich seither stark weiterentwickelt. Gerade auch im Dialog mit dem großen Nachbarn USA:
Arriaga: "Es gibt einen sehr lebendigen Austausch über die Grenze hinweg. Viele Mexikaner arbeiten in den USA und umgekehrt. Viele Kinder gehen in den USA in die Schule. Viele Mexikaner sind dort auch geboren, haben die Staatsangehörigkeit. Die Dinge sind viel komplexer, als Donald Trump es wahrhaben will."
Aber es sei klar, dass die Konflikte mit der derzeitigen Regierung in Washington und deren Bestrebungen, die Grenze zu einem unüberwindlichen Bollwerk auszubauen, das Leben der Mexikaner enorm beeinflussen. Auch der aktuelle Konflikt wegen des Marschs der Migranten aus Zentralamerika lässt Arriaga ein bisschen resigniert klingen:
"Wir müssen verhandeln. Wenn Trump nicht verschwindet, was sollen wir tun? Es bleibt nichts, als immer wieder mit den USA zu verhandeln. Wir müssen uns nach Trumps Agenda ausrichten. Der Handel zwischen Mexiko und den USA ist so bedeutend, das lässt sich nicht einfach aufgeben. Wir dürfen nicht vergessen, dass Mexiko an die USA angrenzt. Deutschland hat es da besser, es liegt zehntausend Kilometer weit weg. Aber uns bleibt nichts, als zu verhandeln."

"Der beste Ausweg aus der Gewalt ist es, Gewalt zu begreifen"

Apropos Deutschland: "Der Wilde" taucht in die Abgründe der menschlichen Seele. Es geht darin um die Gewalt, zu der ideologische oder religiöse Verblendung, Korruption und Gier den Menschen treiben können.
"Der beste Ausweg aus der Gewalt ist es, die Gewalt zu begreifen. Wir haben in uns eine animalische Seite. Selbst in einer so stark zivilisierten und kreativen Kultur wie der deutschen war ein Umschlagen in die Gewalt möglich. Der brutalste Rückfall seit einem Jahrhundert ereignete sich hier, in Deutschland."
In Arriagas Roman treibt eine Gruppe religiöser, erzkatholischer Fanatiker ihr gewalttätiges Unwesen. Man denkt beim Lesen unwillkürlich an die evangelikalen Sekten, die sich in den vergangenen Jahren in Lateinamerika breit gemacht haben. Doch dieser Analogie widerspricht der Autor. Die Mexikaner hätten sich vom rechten Populismus – bisher zumindest – nicht anstecken lassen:
Arriaga: "Die Rechten, die ich in meinem Buch beschreibe, haben nach jener Epoche in Mexiko nie eine größere Rolle gespielt. Mexiko ist nicht anfällig für rechte Gedanken wie Brasilien, Ungarn oder Polen. Die Rechten haben in Mexiko keine Wurzeln."
…sagt der erfolgreiche Filmemacher und Romanautor. Am Schluss unseres fast einstündigen Gesprächs kommt er noch einmal auf die Schönheiten seiner Heimatstadt zurück. Man müsse Mexiko-City unbedingt besuchen. Auch wegen der "Unidad Modelo", die er so werbewirksam auf seiner Brust trägt.

Guillermo Arriaga: "Der Wilde"
Aus dem Spanischen von Matthias Strobel
Klett Cotta, München 2018
746 Seiten, 26 Euro

Mehr zum Thema