Günter Uecker in Rostock und Schwerin

Alter Sehnsuchtsort

10:59 Minuten
Der Künstler Günter Uecker vor dem Schriftzug seiner Ausstellung in der Kunsthalle Rostock: "Huldigung an Hafez"
Von den Gedichten persischer Lyriker inspiriert, konzipierte Günter Uecker eine Ausstellung für die Kunsthalle Rostock. © Ivo Faber
Von Silke Hasselmann · 01.07.2020
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Günter Uecker, international begehrter Künstler und Wahl-Düsseldorfer, ist eigentlich ein Landjunge aus Mecklenburg-Vorpommern. Jetzt kehrte der Maler für Ausstellungen seiner Werke zurück in die alte Heimat - und schwelgt in Erinnerungen.
"Das ist ein Stein aus dem Iran, den ich von da gemacht habe. Eigentlich rührt das her von den 'Weißen Tränen', die ich da auch in Teheran ausgestellt hatte."
Kunsthalle Rostock, Ende Mai. Zum ersten Mal seit dem Ausbruch der Coronakrise in Deutschland hat Günter Uecker seinen Wohnort Düsseldorf verlassen und sich auf eine Reise begeben. Er will miterleben, dass seine Ausstellung "Huldigung an Hafez" nach langer coronabedingter Verzögerung nun doch eröffnet wird. Außerdem möchte Günter Uecker diesen 42 Grafiken umfassenden Zyklus nach Versen des persischen Dichters und Mystikers Hafez persönlich an die Kunsthalle Rostock verschenken. Und drittens ist das alles eine gute Gelegenheit, nach längerer Zeit der Abwesenheit wieder einmal Heimatboden zu betreten.
"Irgendwie ist es ja auch so: Jede Sehnsucht ist die Heimkehr. Also erst schweift man in die Weite, und dann ist sie doch sehr nah, nicht?"

Genüsslich rollt er das "R"

Nach dem brutal niedergeschlagenen Volksaufstand im Juni 1953 hatte Günter Uecker die DDR und damit Mecklenburg Richtung Düsseldorf verlassen, wo er bis heute lebt. Das ist nun 67 Jahre her. Ob er sich denn jetzt bei seinem Besuch wirklich noch heimisch fühle in Rostock und an der mecklenburgischen Ostseeküste? "Ja, einfach unerklärbar. Das ist ein Teil dessen, dass man seinen ersten Lebenseindruck hier tief in sich fühlt. Das ist dann auch eine erlebte Wiederbegegnung."
Genüsslich lässt er das "R" rollen, und auch an seiner bedächtigen Sprechweise ist Günter Ueckers norddeutsche Herkunft zu erkennen. Er sei immer ein "Meckelbörger Ossenkopp" geblieben, sagt er, ein Mecklenburger Ochsenkopf.

Jugendlicher Protest in der DDR

Geboren im März 1930 bei Schwerin, wächst Günter Uecker auf der mecklenburgischen Ostseehalbinsel Wustrow bei Rerik auf. 1949: Vertreibung durch die Sowjetarmee. Günter Uecker beginnt sich für Kunst zu interessieren, aber auch für den Islam und für den größten persischen Dichter Hafez. Der Grund? Kritische Köpfe wie er sehen sich in der noch jungen DDR zunehmend einer politisch-ideologischen Monokultur ausgesetzt. Es gilt die Weltsicht von Marx und Lenin in der Version von Stalin und Walter Ulbricht.
"Wenn man durch den 'dialektischen Materialismus' geprägt war, dann war es doch für mich auch sehr notwendig, eine Gegenwelt aufzusuchen. Allein aus jugendlichem Protest", sagt Uecker.
Mit 85 Jahren macht sich der längst schon weltberühmte Künstler 2015 an seine "Huldigung für Hafez". Kurz zuvor hatten iranische Wissenschaftler eigens für Uecker Gedichte des 1340 im heute iranischen Shiraz geborenen Dichters neu übersetzt. Sie handeln von universellen Themen wie Liebe, Sehnsucht, von Frieden, Erdverbundenheit und Trennungsschmerz. Vor allem letztere Themen haben Günter Ueckers Leben frühzeitig geprägt. Und auch seine Kunst.

Stark durch Arbeit in der Landwirtschaft

Das ist in vielen der 42 Druckgrafiken zu erkennen, die derzeit in der Rostocker Kunsthalle hängen und jeweils von einem Hafez-Gedicht inspiriert sind. Uecker malte seine abstrakten Motive häufig in Farbtönen, die an ein Meer, eine Wiese oder an Ackerboden erinnern. Außerdem tauchen als Motiv immer mal wieder die für Uecker typischen Nägel auf. Na klar, sagt der Künstler und lässt seine wasserblauen Augen lächeln.
"Das ist ja mein Ausdruck. Ich bin ja landwirtschaftlich aufgewachsen. Der einzige Mensch in meinem Leben, für den ich gearbeitet habe, war mein Vater, und die Arbeit in der Landwirtschaft auch Samstag und Sonntag ist schon sehr schwer. Aber das hat mich stark gemacht bis zum heutigen Tag, und da ist dann doch eine Ausdrucksweise entstanden, die auch ganz authentisch ist."
In diesem Moment scheint sein Blick nach innen zu gehen und ihn zurückzuführen auf den Hof seiner Eltern, auf die Wiesen, Felder und an den Strand der Halbinsel Wustrow. Dann holt Günter Uecker Luft und formuliert seine Empfindungen in seiner typisch bilderreichen, beinahe lyrischen Sprache.
"Der Umgang mit der Erde und mit all dem, was da die Frucht erzeugt, die Hervorbringung von Nahrung und Schönheit in den wilden Naturen der Umrandung von Feldern - alles das hat mich ja geprägt und ist hier auch Thema und Ausdruck meiner Herkunft. Es ist eigentlich das eigene Paradies entkleidet und hineingefügt die Texte von Hafez. Als Umarmung, als Umgrenzung seines großartigen Werkes."
Auch das ist ein Vers aus einem Hafez-Gedicht, das Günter Uecker bildkünstlerisch verarbeitet hat: "Beschämend lässt platzen die Knospe dein Lachen. Das Herz befreit. Oh du, meine duftende Rose, sollst nicht deine Nachtigall quälen, die voller Inbrunst Gebete die ganze Nacht für dich singt."

Die zwei Seiten des Nagels

Doch diese Worte stehen auf einer weißen Wand in der Schweriner Galerie Alte und Neue Meister, und der sie vorträgt, heißt Gerhard Graulich. Er ist der Kurator der Gemälde- und Skulpturensammlung im Staatlichen Museum Schwerin.
Auch hier findet Ueckers Verbindung zu dem persischen Lyriker also Erwähnung. Doch vor allem spricht die tiefe Verbundenheit des Malers, Grafikers und Installationskünstlers zu Mecklenburg aus nahezu allen 33 Uecker-Werken, über die das Schweriner Museum verfügt und die derzeit in der Geburtstagsausstellung "UECKER 90" zu sehen sind. Darunter berühmte Nagelreliefs.
"Er hatte erkannt, dass der Nagel zwei Seiten hat. Auf der einen Seite ist er spitz, auf der anderen Seite wird er in das Holz getrieben und verbindet Dinge. Also er ist nützlich und er schützt, wenn man ihn vernünftig einsetzt. Das ist vielleicht sogar gleichnishaft für sein gesamtes Leben und seine künstlerische Entwicklung - sein Umgang mit dem Nagel."

Erinnerung an die letzten Kriegstage

Gerhard Graulich weiß, dass Günter Uecker mit der Halbinsel Wustrow nicht nur Schönes verbindet. "Er ist dort großgeworden, und am Ende des Zweiten Weltkrieges sind Schiffe versenkt worden. Flüchtlingsschiffe. In dem Zusammenhang sind Leichen an den Strand von Wustrow angespült worden, und Uecker musste als 15-Jähriger diese Leichen begraben."
Lange trägt Günter Uecker die damaligen Bilder und Gerüche unausgesprochen in sich. Vor 15 Jahren dann geht er wieder an den Strand von Rerik und Wustrow, fertigt zunächst riesengroße rote Tücher an. Später auch weiße Tücher - heute zu sehen in Schwerin. "Vielleicht ein Zeichen, dass er mit sich einen inneren Frieden gemacht hat", vermutet Gerhard Graulich.
Auch das zweite Trauma, das seine spätere Kunst wesentlich beeinflussen sollte, hat mit dem Kriegsende 1945 zu tun: "Das Nagelthema hat er entwickelt, als die Russen auf die Insel gekommen sind und rumvagabundiert sind. Uecker hat von innen heraus das Haus der Eltern vernagelt. Die Türen zugenagelt, die Fenster zugenagelt, um die Mutter, die Schwester vor russischen Soldaten zu schützen."

Das Trauma der Vertreibung

Mutter und Schwester ist nichts geschehen. Doch vier Jahre später vertreiben die sowjetischen Besatzer alle deutschen Bewohner der Halbinsel und machen sie zur militärischen Sperrzone. Betreten verboten - für Günter Uecker ein bis heute dauernder, schmerzhafter Verlust.
Davon künden auch die fünf im Schweriner Museum hängenden "Wustrower Tafeln". Kurator Gerhard Graulich erklärt, dass diese "Konstellationen eines Abschieds" in Verbindung mit Fotografien von Rolf Schroeter entstanden sind. Der hatte nach der Wende verlassene sowjetische Kasernen fotografiert und auch auf Wustrow Zurückgelassenes und aggressiv Zerstörtes eingefangen.
"Uecker hat darauf reagiert. Er hat sich noch mal mit seiner Insel der Jugend beschäftigt und auch dieses traumatische Ereignis, dass er vertrieben worden ist, woanders hingehen musste. Sein ganzes Leben hat sich ja verändert: Dass er nach Düsseldorf gegangen ist, dort studiert hat und nicht hier in Mecklenburg bleiben konnte. Und diese Aggression hat er noch mal herausgelassen und hat auch da versucht - wie auch in anderen Werken zu sehen ist -, so eine Art Täterprofile zu zeigen, indem er Fingerabdrücke auf den Werken zeigt, aber im Grunde auch mit der Nageltechnik seine Signatur mit den Fotografien in Verbindung gebracht hat."
In einem benachbarten Raum sind berühmte Installationen zu sehen wie "Der Fadenstuhl" von 1969, "Der elektrische Garten", "Der Rechen" und die "Sandspirale". Wieder so ein Bezug zur Landwirtschaft, zu Ueckers Herkunft.

Die europaweit größte Uecker-Schau

Zurück in der Kunsthalle Rostock, wo man es genauso wie in Schwerin sieht: Günter Uecker ist der bedeutendste lebende Künstler aus Mecklenburg-Vorpommern. Das Land rühmt sich, die europaweit größte Uecker-Werkschau zu beherbergen. Damit seine teuer angekauften oder von Uecker geschenkten Werke nicht in den Depots lagern, hat das Staatliche Museum Schwerin inzwischen einen modernen Anbau erhalten. Die Kunsthalle Rostock plant gerade eine unterirdische Erweiterung eigens für die dortigen Uecker-Zyklen.
Das freut den heute 90-Jährigen, der auch nach dem Weggang dem Land Mecklenburg und seiner Kindheitsinsel Wustrow nahe geblieben ist.
"Erstens ist ja der Grund, Sehnsucht zu vermehren. Wenn man von der Insel vertrieben wird, dann sucht man auf der Welt irgendwo Vergleichbares, um einen ja doch wunderbaren kindhaften Zusammenhang wiederherzustellen. Und das vor dem Meer, das am Horizont ja immer herausfordert: Was ist dahinter? All diese Eindrücke haben mich geprägt und finden in meinem Werk ihren Ausdruck."
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