Grundeinkommen in Finnland

Ernüchternde Einsichten

02:57 Minuten
Ein Teilnehmer des Grundeinkommen-Experiments, Juha Järvinen, steht in seiner Werkstatt Südösterbotten, in der er Trommeln baut.
Ein Teilnehmer des Grundeinkommen-Experiments, Juha Järvinen, steht in seiner Werkstatt Südösterbotten, in der er Trommeln baut. © picture alliance/Privat/dpa
Von Carsten Schmiester · 07.05.2020
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Zwei Jahre lang haben 2000 zufällig ausgewählte Arbeitslose in Finnland eine Art Grundeinkommen erhalten, ohne bürokratische Hürden. Einzige Bedingung: Sie mussten dazuverdienen. Jetzt wurde Bilanz gezogen – mit zwiespältiger Bewertung.
Fangen wir mal positiv an: Es gibt Leute wie Sina Marttinen, die am Versuch teilgenommen hat und sich in der Zeit mit einem Café selbständig machte.
"Alles in allem war es eine gute Erfahrung", sagt sie. "Vor allem während der Selbständigkeit bin ich zum Schluss gekommen, dass das Grundeinkommen eine tolle Option ist. Der Aufbau eines Unternehmens dauert ja lange und die wirtschaftliche Situation ist unsicher."
Das Experiment sollte zeigen, ob ein Grundeinkommen helfen würde, die großen Verdienstunterschiede in der Bevölkerung zu verkleinern und das komplizierte finnische Sozialsystem zu verschlanken. Würde es die Menschen motivieren, sich erst einmal auch schlechter bezahlte Jobs oder Teilzeitarbeit zu suchen oder am besten gleich ein kleines Unternehmen selbst zu gründen.
2000 per Zufall ausgewählte Arbeitslose im Alter zwischen 25 und 58 Jahren hatten deshalb bis Ende 2018 kein Arbeitslosengeld mehr bekommen, sondern 560 Euro Grundeinkommen monatlich – keine Steuern, keine Fragen, keine Bedingungen. Jeder konnte, und musste auch, ohne Abzüge dazuverdienen.

Bessere Gesundheit, weniger Arbeitslose

Bei Marttinen hat es funktioniert, aber bei den meisten anderen eben nicht. Das ist das Ergebnis der Projektauswertung. Es gab 2000 Mal mehr Sicherheit, weniger Sozialbürokratie, damit weniger Stress und eine bessere Gesundheit. Nach dem Experiment gab es auch weniger Arbeitslose.
Aber das könnte auch andere Ursachen haben, sagt Minna Ylikännö, die Forschungschefin der Sozialbehörde Kela: "Im Januar 2018 wurde ein Aktivierungsmodell als Teil des Arbeitslosensystems eingeführt, das vor allem diejenigen betraf, die kein Grundeinkommen bezogen. Das macht die Beurteilung des Beschäftigungseffektes schwierig. Wir können lediglich sagen, dass die beobachteten Effekte sowohl auf das Grundeinkommen als auch auf das Aktivierungsmodell zurückzuführen sind. Aber in welchem Maße und wie, das wissen wir nicht."

Politische Debatte folgt

Eine der entscheidenden Fragen ist damit unbeantwortet und nun zeichnet sich ab, dass genau das passiert, was Skeptiker schon nach der Präsentation einer vorläufigen Bilanz vermutet hatten: Dass Finnland eher kein Grundeinkommen einführt, sondern das System der sozialen Sicherung nur vereinfacht, mehr mit Pauschalbeträgen für einzelne Empfängergruppen arbeitet, statt wie bisher jeden Fall individuell nach einem langen Kriterienkatalog buchstäblich "abzuarbeiten".
Und dass es finanzielle Sonderleistungen nur für Leute gibt, die auch aus eigenem Antrieb etwas für die Gemeinschaft tun. Entschieden werden soll das alles aber erst nach eingehender politischer Debatte, frühestens in acht Jahren, so Ylikännö.
Keine gute Nachricht für Aila Jeskanen, eine schwer kranke Frau, die auch zwei Jahre lang dieses Grundeinkommen bekommen hat, aber am Ende des Experiments noch immer ohne Job dastand: "Mein Leben ist seither schlechter geworden. Ich werde wieder wie Abschaum behandelt. Und um alles muss man betteln, alles verzögert sich, jetzt muss man wieder ewig auf sein Geld warten."
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