Matthias Pöhlmann: "Rechte Esoterik"

Wenn Ökos und Faschisten gemeinsam demonstrieren

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Coverabbildung des Buches "Rechte Esoterik" von Matthias Pöhlmann.
Viele Nationalsozialisten begeisterten sich für Esoterik, und auch heute bei heutigen Rechtsextremen gibt es solche Querverbindungen. © Deutschlandradio / Herder
Von Marko Martin · 25.10.2021
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Dass bei den "Querdenker"-Demos Naturheil-Fans neben strammen Nazis liefen, ist kein Zufall, schreibt der Publizist Matthias Pöhlmann. Auf unpolemische Weise analysiert er in seinem Buch eine Gemengelage, die uns alle beunruhigen sollte.
Als im vorigen Jahr die sogenannten "Querdenker"-Demonstrationen begannen, rieb sich eine verdutzte Öffentlichkeit die Augen: Denn nicht nur die notorischen Reichskriegsflaggen waren bei solchen Kundgebungen zu sehen, sondern auch allerlei esoterische Symbole, ganz zu schweigen vom New-Age-Singsang so manch Interviewter.

Gefährliche Schnittmengen

Dass es sich hierbei keineswegs um disparate Grüppchen skurriler Querulanten handelte, belegt der Publizist und Religionswissenschaftler Matthias Pöhlmann in seinem aktuellen Buch "Rechte Esoterik. Wenn sich alternatives Denken und Extremismus gefährlich vermischen". Bilden doch jene während der Hochzeit der Pandemie zu Abertausenden auf die Straßen Geströmten nicht allein eine "heterogene Misstrauensgemeinschaft", sondern verfügen auch über Netzwerke, die sich oftmals überschneiden.
Esoterische Youtube-Kanäle, ultrarechte Verlage, "KenFM" des einst vom öffentlichen Rundfunk wegen antisemitischer Ausfälle entlassenen Moderators Ken Jebsen, die Zeitschrift "Compact" des zuvor links-autoritären und nun neo-rechten Jürgen Elsässer, dazu unzählige Web-Shops, in denen magische Steine, Runen, Pamphlete oder auch nur "seelenreinigender Tee" erworben werden können: Ein Sammelsurium, in dem der Holocaust fallweise als "karmisch vorbestimmt" relativiert wird und Donald Trump und Wladimir Putin als Heilsbringer gelten, der liberale Westen jedoch – und dazu natürlich "die" Pharmaindustrie – als Inkarnationen des Teufels.

Schon die alten Nazis bedienten sich der Esoterik

Matthias Pöhlmann entgeht der Gefahr, hier in wohlfeilen Spott zu versinken, obwohl vieles ja durchaus zum Gelächter reizen könnte: So etwa krude Verlage, die neben Büchern auch teure "Energiefarbfolie" zum Schutz vor vermeintlichen Handystrahlen vertreiben.
Das Gemisch aber ist toxisch, gab es doch bereits in der Nazizeit allerlei germanischen Obskurantismus. Verwoben mit nordischen Sagen und trivialisierten indischen Bräuchen, war das eine weitere Kampfansage an die Aufklärung, aber auch eine erwünschte Abgrenzung zum Christentum.
Vor allem aber ging es gegen die jüdische Ethik, deren Insistieren auf Verantwortung im Hier und Heute die Massenmörder sehr wohl als Hindernis erkannt hatten für ihren Erlösungswahn. Kein Zufall deshalb, dass sie auf die von der zaristischen Geheimpolizei gefälschten "Protokolle der Weisen von Zion" ebenso zurückgriffen wie die Neonazis der Gegenwart auf Verschwörungstheorien über die Rothschilds oder George Soros.
Und das "alternative Denken", das doch seit jeher im progressiven Milieu der Waldorf-Schulen und Ökologie-Bewegten eine immense Rolle spielt? Pöhlmann setzt hier nicht gleich, doch sind die von ihm luzid und gänzlich unpolemisch nachgezeichneten Schnittlinien äußerst beunruhigend.
Ohne etwa den Anthroposophen Rudolf Steiner (1861–1925) in Bausch und Bogen zu verdammen, wird dessen fundamental medizinkritische, mitunter gar ins Darwinistische changierende Haltung herausgearbeitet und Parallelen zur Gegenwart gezogen: Ebenfalls nämlich nicht ohne innere Logik, dass sich auf den "Querdenker"-Demos auch so manche Waldorf-Lehrer in breitestem Schwäbisch artikulierten, jedoch Nachfragen nach ihrer gegenwärtigen braunen Nachbarschaft eher abwiegelnd beantworteten.

Völkische "Mutter Erde"

Gleiches gilt für die Schwärmerei für "Mutter Erde". Was nämlich, wenn diese Gestimmtheit von Neorechten gekapert wird, für die eine solche Mutter selbstverständlich nur deutsch spricht in ihren völkischen Siedlungsprojekten, die gerade in den östlichen Bundesländern zur Zeit geradezu einen Boom erleben?
Egalitäres vermengt sich mit einem esoterisch angehauchten Elite-Anspruch: Wir wissen etwas, was die schlafende Masse, unterdrückt vom Mainstream, noch nicht einmal ahnt.
In thematisch fokussierten und klug komponierten Kapiteln analysiert Matthias Pöhlmann diese Gemengelage, wofür ihm sehr zu danken ist. Und doch: Hätte der Autor, seit 2014 Sektenbeauftragter der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, bei dieser Gelegenheit nicht auch an alle jene Kirchentage erinnern können, auf denen in ziemlicher Hoffart und denkbar pauschal ja ebenfalls "dem System" der rhetorische Prozess gemacht worden war und eine apokalyptisch grundierte Selbstgerechtigkeit wahre Hochämter gefeiert hatte?
Aber vielleicht käme dies ja noch in eine Nachfolge-Auflage mit hinein, die diesem Augen öffnenden Buch überaus zu wünschen wäre.

Matthias Pöhlmann: "Rechte Esoterik. Wenn sich alternatives Denken und Rechtsextremismus gefährlich vermischen"
Herder Verlag, Freiburg i.B. 2021
304 Seiten, 22 Euro

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