Grüner Buchabdruck

Verlage auf dem Weg zur Klimaneutralität

07:59 Minuten
Aufgeschlagenes Hardcover-Buch mit Händen
Woher kommt der Zellstoff für dieses Buch? Eine wichtige Klimafrage für Verlage. © picture alliance / Thomas Manok
Von Jörg Plath · 19.10.2021
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Die Produktion einer Tonne Papier ist so energieintensiv wie die einer Tonne Stahl. Um Emissionsvermeidung geht es daher auch in der Buchbranche. Verlage bemühen sich um Klimaneutralität. Um von CO2-Zertifikaten wegzukommen, braucht es radikale Schritte.
"Am klimaneutralsten ist das Buchexemplar, das gar nicht erst produziert wird", sagt die Herstellungsleiterin Stefanie Langner vom S. Fischer Verlag.
Aber zur Selbstauslöschung sind auch die engagiertesten Verlage nicht bereit – Bücher wollen sie weiterhin verkaufen. Also bleibt nur, Treibhausgase zu vermindern. Erste Initiativen gab es schon in den 70er-, 80er-Jahren, manches kleinere Haus wie der Münchner Oekom Verlag ist seit 30 Jahren klimaneutral.
Inzwischen strengen sich auch die Branchenriesen an. Teile des weltgrößten Verlagskonzerns Penguin Random House produzieren klimaneutral. Bei Konkurrent Bonnier Media mit den Verlagen Ullstein, Piper, Claassen entstehen seit diesem Jahr nur noch "klimaneutrale Produkte". Und der Holtzbrinck-Konzern, zu dem der S. Fischer Verlag zählt, rühmt sich der Klimaneutralität schon seit 2014. S.-Fischer-Herstellungsleiterin Stefanie Langner sagt, in den vergangenen fünf Jahren hätten die Holtzbrinck-Verlage den CO2-Ausstoß international um knapp ein Drittel vermindert.
"Dabei ist dann die Klimaneutralität allumfassend gemeint, nämlich das, was wir als Verlag tun, in unseren Verlagsräumlichkeiten und jeder Mitarbeiter, jede Mitarbeiterin wird quasi CO2-technisch auch ein Stück weit bewertet. Unsere ganze Technologie, unsere Energie, die wir als Verlag brauchen."

Größte CO2-Emissionen bei der Buchproduktion

Die ersten Maßnahmen zur CO2-Vermeidung gleichen denen im Privathaushalt: Heizung und Strom sollen aus erneuerbaren Quellen stammen, Lampen, Möbel oder Büromaterial umweltfreundlich hergestellt, langlebig und wiederverwendbar sein. Dienstreisen mit dem Flugzeug heißt es zu vermeiden. Und zur Arbeit kommen die Angestellten möglichst mit dem öffentlichen Nahverkehr, dem Fahrrad oder zu Fuß.
"Welchen Kaffee gibt es bei uns in unserer verlagseigenen Kaffeemaschine? Wo kommt der eben her? Ist der fair gehandelt? Es geht wirklich um ganz konkrete, ja auch Anleitungen für jeden, wie man Verpackungen und Müll sparen kann."
Die Emissionen eines Verlags machen freilich nur etwa 13 Prozent der Gesamtmenge aus. Der große Rest entsteht außerhalb: 14 Prozent beim Transport, 73 Prozent in der Produktion von Papier und Buch. Bei den Lieferanten stehe das Thema Emissionen oft nicht an erster Stelle, sagt Stefanie Langner.
"Also, man hat schon auch gemerkt – das war jetzt nicht so, dass, wenn man die Frage gestellt hat: ‚Ja, wie habt ihr es eigentlich mit der Klimaneutralität und der CO2-Emission?‘, dass jeder sofort einen Ordner aus dem Schrank ziehen konnte und sagen, hier sind alle Infos zu dem Thema."
Ordner aber gibt es bald in reicher Zahl – Treibhausgase erfassen ist eine komplexe, standardisierte Angelegenheit.

Zellstoff aus nahen Regionen

"Also woher kommt denn das Holz? Woher kommt der Zellstoff? Und wie ist auch dort schon sowohl das Holz, also sprich tatsächlich der Baum und der Wald gegebenenfalls auch zertifiziert? Wie wird er aufgeforstet? Wie wird er dann auch geschlagen? Und welche Transportwege sind auch damit verbunden?"
Wie Gemüse oder Milch könnte Zellstoff aus nahen Regionen bezogen werden, aus Skandinavien und Österreich etwa statt aus Südamerika. Und wie wird die Energie für die Papierproduktion erzeugt? Ein Lieferant von S. Fischer nutzte bis vor kurzem Kohle, was die CO2-Bilanz verschlechterte, erzählt Stefanie Langner. Die Produktion einer Tonne Papier ist nämlich so energieintensiv wie die einer Tonne Stahl. Weshalb man im Buch wohl nie einen Kohlendioxid-Speicher sehen wird, wie es sich der Verleger von C. H. Beck, Jonathan Beck, einmal gewünscht hat.
"Man geht davon aus, dass man ein durchschnittliches Buch mit circa 400 Gramm CO2-Emissionen bewerten kann. Vergleichsweise schneidet das Buch dann noch ganz gut ab. Wenn man dann auch überlegt, dass ein Buch ja länger halten kann als zum Beispiel ein Päckchen Butter, das ja dann irgendwann verzehrt und weg ist und in keinem Bücherregal hoffentlich steht. Bei einem Päckchen Butter sprechen wir von über 20 Kilo CO2-Emission, also tatsächlich massiv mehr. Und bei einer Jeans geht man auch von 15, 16 Kilogramm CO2-Emission in der Gesamtherstellung aus."

E-Books sind keine Lösung

Da aber jedes Jahr 420 Millionen Bücher in Deutschland gedruckt werden, entstehen dann doch immerhin knapp 170.000 Tonnen CO2. Wenig im Vergleich mit dem Verkehr, der fast 150 Millionen Tonnen Kohlendioxid verursacht, jedoch keine geringe Menge. E-Books sind keine Lösung – Lesegeräte und Strom verbessern die Bilanz nur bei Viellesern. Ohnehin lässt sich auch in der Buchbranche nicht erreichen, dass gar kein CO2 bei der Produktion anfällt. Wo gelebt, also verbraucht wird, entsteht das Treibhausgas. Es muss mit Ausgleichszahlungen für Klimaschutzprojekte abgegolten werden.
"Wenn man den Anspruch hat, klimaneutral zu werden, ist es natürlich immer am besten, man reduziert die CO2-Emission. Für uns ist das Thema der Zertifikate und des Ausgleichs immer so das letzte Mittel."
Die Kohlenstoffvermeider in den Verlagen verbreiten professionellen Optimismus. Allerdings hatten sie es bisher vergleichsweise leicht. Ressourcen zu schonen, schont oft auch die Betriebskassen und ist deshalb willkommen. Nun aber werden die CO2-Zertifikate teurer, und auf die leichten Anfangsschritte folgen mühsamere.

Lieferzeiten überdenken

S.-Fischer-Herstellungsleiterin Stefanie Langner geht davon aus, dass sich die Emission pro Buch halbieren lässt. Etwa durch eine präzise Planung der Auflage, so dass möglichst wenige Bücher verramscht oder vernichtet werden müssen. Und sie denkt noch weiter.
"Was ich glaube, was bisher noch nicht so gegriffen wurde, weil es wahrscheinlich wirklich den höchsten Komplexitätsgrad hat, sind die Transportwege im Gesamtprozess und zwar in alle Richtungen", sagt sie.
"Da ist dann für mich tatsächlich perspektivisch irgendwann auch der Vertrieb gefragt, nämlich mit einer Auslieferung und auch mit Sortimentsbuchhandlungen, mit auch den großen Ketten, die teils Zentrallager haben und darüber einkaufen und dann in die Filialen verteilen. Es gibt Diskussionen, auch branchenweit, wo es ja auch tolle Initiativen gibt, wo darüber diskutiert wird, ob eben tatsächlich Bücher an jedem Tag angeliefert werden müssen in einer Sortimentsbuchhandlung."
An Lieferungen von Büchern innerhalb eines Tages haben sich Leser jedoch gewöhnt – lange bevor es Onlineversender gab. Heute bestellt, morgen im Laden – Überlegungen, diesen Service einzustellen, sind in der Buchbranche ein Tabubruch. Doch auch andere Unternehmen, nicht zuletzt die Paketauslieferer, denken über längere Lieferzeiten nach, um CO2 zu vermeiden. Ohne Tabubrüche wird es wohl nicht vorangehen beim Klimaschutz.
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