Grossbritannien

"Wir müssen unsere Tore öffnen"

Ein syrischer Dreijähriger, der auf der Flucht ertrunken ist, wurde an einem türkischen Strand angespült
Ein syrischer Dreijähriger, der auf der Flucht ertrunken ist, wurde an einem türkischen Strand angespült © dpa / picture alliance / Andy Rain
Von Friedbert Meurer |
David Cameron zwischen den Stühlen: Der britische Premier hatte versprochen, die Zuwanderung zu begrenzen. Aber jetzt setzt ihn das Foto eines toten dreijährigen Flüchtlings unter Druck. Prominente wie Schauspielerin Emma Thomson sprechen von einer Schande für das Land.
"Es geht um Leben und Tod", titelt heute das Massenblatt "Sun". Auf der Titelseite das Foto des ertrunkenen kleinen syrischen Jungen. Viele Blätter bringen die Aufnahme in großer Aufmachung. Die "Daily Mail" titelt: "Ein winzig kleines Opfer einer humanitären Katastrophe". Der "Daily Mirror" setzt ein einziges Wort in großen Lettern: "Unerträglich."
Schon in den letzten Tagen dominierte auch hier in Großbritannien das Elend der syrischen Flüchtlinge die Schlagzeilen. Die Fotos des ertrunkenen Jungen überwältigen jetzt geradezu die britische Öffentlichkeit.
Saryeeda Warsi, eine ehemalige Außenstaatssekretärin der Tories, appelliert:
"Nur weil wir nicht alle Probleme lösen können, heißt das nicht, dass wir gar nichts tun müssen. Großbritannien hat eine humanitäre Tradition, wir haben das in der Vergangenheit bewiesen."
Dann erinnert sie an die Transporte jüdischer Kinder aus Deutschland unmittelbar vor Beginn des Zweiten Weltkriegs.
"Die tragischen Bilder seit gestern erfordern, dass wir mehr tun müssen, es geht auch um unsere internationale Reputation."
Lady Warsi ist nicht die einzige Politikerin in der Reihen der Tories, die die harte Linie von Premierminister und Parteichef David Cameron in Zweifel zieht. Auch andere Hinterbänkler fordern, jetzt mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Eine syrische Mutter mit einem kleinen Kind auf dem Arm soll nicht glauben, dass uns Briten das egal ist – meint Parlamentsneuling Johnny Mercer.
Großbritannien lehnt Quoten für Flüchtlinge weiterhin ab
Überall in Großbritannien gibt es Angebote, Flüchtlinge aufzunehmen und Hilfsbereitschaft zu zeigen. Ganze 216 syrische Flüchtlinge hat Großbritannien bisher offiziell anerkannt. Die Schauspielerin Emma Thompson spricht von einer Schande.
"Wir müssen unsere Tore öffnen. Die 3000 Flüchtlinge in Calais haben doch unaussprechliche Dinge erlebt. Das ist für mich purer Rassismus. Wenn sie weiße Hautfarbe hätten, dann würden wir ihnen helfen. Die sind durch die Hölle gegangen. 3000, das ist nichts. Wir haben genug Platz, um sie aufnehmen."
David Cameron und die Führung der Tories aber vertreten weiter den Standpunkt, dass Großbritannien jegliche Quoten für Flüchtlinge ablehnt. Großbritannien tue viel für die Flüchtinge, vor allem in den Lagern in der Türkei und Jordanien. Großbritannien gebe hier mehr Geld aus als alle andere EU-Länder zusammen.
"Premierminister Cameron betont, dass es darum gehe, die Lebensverhältnisse vor Ort zu verbessern. In Calais am Tunnel haben wir mehr getan, als wir verpflichtet waren. Wir haben Asylbewerber aufgenommen. Es kann keine Antwort sein, einfach nur immer mehr Flüchtlinge aufzunehmen."
David Cameron steht von zwei Seiten unter Druck: Er wird an sein altes Versprechen erinnert, die Zuwanderung unter 100.000 pro Jahr zu senken. Auf der anderen Seite ist das Presseecho heute verheerend. Glauben wir wirklich, das ist nicht unser Problem, fragt der "Independent". Und auch die konservative "Times" schreibt in ihrem Leitartikel: Das Schicksal eines Jungen erfordert eine großzügige Antwort auf diesen Notfall und die sollte auch so gegeben werden.
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