Grönemeyers Spendenaufruf für Künstler in Not

Zwischen Millionärssteuer und Charity

02:59 Minuten
Der Sänger Herbert Grönemeyer hält eine Rede bei der Demonstration "AlarmstufeRot" der Veranstaltungsbranche am 9. September 2020 in Berlin
Herbert Grönemeyers Forderung nach "Solidaritätssonderzahlungen" lenke davon ab, wo das Geld wirklich zu holen wäre, meint Juliane Reil. © picture alliance / Sulupress.de / Marc Vorwerk
Ein Kommentar von Juliane Reil |
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Herbert Grönemeyer appelliert in der "Zeit" an die Reichen in Deutschland: Er ruft sie dazu auf, der von Corona schwer gebeutelten Kulturszene finanziell unter die Arme zu greifen. Doch das setze bei den Falschen an, kommentiert Juliane Reil.
Die Kultur steht vor einer Zerreißprobe in Zeiten von Corona. Das betrifft alle aus der Branche – vom Tour-Roadie bis zum Popstar, der sonst in Fußballstadien und Arenen spielt. Herbert Grönemeyer hat sich deshalb mit einem interessanten Vorschlag an die Öffentlichkeit gewandt: Er fordert die Reichen in Deutschland auf, die Kulturszene mit Geld zu unterstützen.
Vermögende in diesem Land könnten mit "Solidaritätssonderzahlungen", wie Grönemeyer es nennt, der darbenden Kulturbranche entscheidend helfen. Die Vermögendsten müssten sich zu einer zweimaligen Sonderzahlung etwa in Höhe von 50.000 bis 150.000 Euro in diesem und im nächsten Jahr bereit erklären, meint der Musiker, dann stünden ad hoc circa 200 Milliarden Euro pro Jahr zur Verfügung, um Pleiten abzuwenden und Existenzen zu sichern.
Grönemeyer begründet seinen Vorschlag folgendermaßen: Die Gesellschaft sei wie eine Familie. Es sei an der Zeit, dass die reichsten Familienmitglieder den Ärmeren helfen. Er wünscht sich eine "Kultur der gemeinsamen Verantwortung und des Mitgefühls". Soweit die Theorie.

Keine unproblematischen Konzepte

Sicherlich, eine "Kultur der gemeinsamen Verantwortung und des Mitgefühls", wie Grönemeyer sie fordert, ist eine schöne Sache. Was Grönemeyer "Solidaritätssonderzahlungen" nennt, bewegt sich jedoch irgendwo zwischen Millionärssteuer und Charity. Beides sind keine unproblematischen Konzepte.
Das erste lenkt davon ab, wo das Geld wirklich zu holen wäre. Nämlich nicht bei Privatpersonen, sondern bei umsatzstarken Unternehmen. Unternehmen, die selbst mit Kultur und ihrer Vermarktung viel Geld verdient haben, aber in Europa wenig Steuern bezahlen wie Google, Facebook oder Amazon. Also Internetkonzerne, die gerade jetzt auch stark von der Krise profitieren, in der Kultur nur digital zugänglich ist.

Kultur ist kein Luxus, den Mäzene sich leisten

Bei der Charity ist das Problem, dass sie sich demokratischer Kontrolle entzieht und Abhängigkeiten schafft. Kultur wäre sozusagen an Mäzene gebunden, die sich selbst mit ihrer Großzügigkeit schmücken. Außerdem entsteht so der komplett falsche Eindruck, Kultur wäre lediglich ein Luxus, den man sich leisten können muss. Dabei ist die Kulturbranche selbst eine der umsatzstärksten Sektoren in der deutschen Wirtschaft.
Grönemeyers grundsätzlicher Aufruf zu Solidarität und zur Anerkennung der Kultur als systemrelevanter Branche ist richtig. Sein konkreter Appell für Solidaritätssonderzahlungen von Reichen allerdings wirkt wie die populistisch zugespitzte Variante einer berechtigten Forderung – nach einer fairen Verteilung des Wohlstands, der in der Kulturindustrie erwirtschaftet wird.
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