Grindelhochhäuser in Hamburg

Wohnen wie im heiteren Glück einer Vorabendserie

Die denkmalgeschützten Grindelhochhäuser, aufgenommen 2016 in Hamburg-Harvestehude von Süd-Osten aus
Die denkmalgeschützten Grindelhochhäuser © picture alliance / dpa / Markus Scholz
Von Anette Schneider · 12.07.2016
Immer wieder gab es Versuche, das Wohnen für alle besser zu gestalten: wie bei den Grindelhochhäusern in Hamburg - die erste Hochhaussiedlung der Bundesrepublik. Vor 70 Jahren begannen die Bauarbeiten für diesen sozialen Wohnungsbau. Ein Rundgang mit einem Architekturhistoriker.
Wie schmale, quergelegte Mauersteine lagern die bis zu 14 Stockwerke hohen Wohnblöcke der Hamburger Grindelhochhäuser in einer weitläufigen Parklandschaft. An einem der vielen Fußwege, die durch die Anlage führen, bin ich mit dem Architekturhistoriker Jörn Düwel verabredet. Er forscht seit langem über die Hochhäuser, die als das Vorzeigeprojekt sozialen Wohnungsbaus der jungen Bundesrepublik gelten – und die hier eigentlich gar nicht entstehen sollten...
"Als vor 70 Jahren damit begonnen wurde, hatte man tatsächlich vor Augen, ein Headquarter für die britische Besatzungsmacht zu schaffen. Kurze Zeit später hatte sich das erübrigt und die begonnene Baustelle fiel der Stadt Hamburg anheim. Hamburg überlegte einige Zeit, wie man damit umgehen wolle und entschied sich dann, Wohnungen – bezahlbaren Wohnraum würde wir das heute nennen – für die zahlreichen Ausgebombten mustergültig zu errichten. Und als 1956 nach einer Planungs- und Bauzeit von immerhin zehn Jahren, diese zwölf Wohnhäuser fertig geworden waren, ist das Versprechen eingelöst worden."
Das sind ja nicht Hochhäuser, wie man sie sich heute vorstellt, einfach hochgezogen, sondern da steckt ein Konzept hinter.
"Modern ausgestattet, hell und licht, mit Dachterrassen, die von allen genutzt werden konnten. Und auch in den Sockelgeschossen, im Erdgeschoss und dem ersten Stockwerk, waren Funktionen hineingenommen worden: Wäschereibetrieb, Restaurants, Kinderbetreuung. Also es ist das soziale Versprechen gewesen, das tatsächlich eingelöst wurde: Wohnraum zu schaffen, der von einem besseren Leben nicht nur künden sollte, sondern es auch garantierte."

"Das ist das Konzept eines Paradieses in der Stadt"

Die Häuser mit über 2100 Wohnungen entstanden auf dem Gelände des einstigen jüdischen Grindel-Viertels, das im Krieg durch Fliegerbomben völlig zerstört wurde. Von drei Seiten begrenzt durch ruhige Villenstraßen, stößt es an der vierten Seite an eine Hauptstraße und – dem Fingerzeig Jörn Düwels folgend – auf dahinter liegende Reste dunkler und enger Mietskasernen aus der Zeit um 1900…
"… die für unsere Großväter nur der Inbegriff des Furchtbaren waren: Enge, Lichtarmut, miese hygienische Verhältnisse und dergleichen mehr ließen allerlei Reformbestrebungen laut werden. Und der große Traum bestand eben darin, die Enge endlich überwinden zu können. Und als dann der Krieg die Möglichkeit geschaffen hatte durch die Luftangriffe, endlich über den Raum zu verfügen, diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen, griff man zu."
Noch heute wirken die parallel auf die Grünfläche gesetzten Wohnblöcke mit ihren großen Fensterfronten und den hellen, gelben Klinkersteinen elegant. dazu sorgen die die vielen alten Bäume, die Sitzbänke, ein kleiner Teich und ein Spielplatz für entspannte Atmosphäre.
"Das ist das Konzept eines Paradieses in der Stadt. Eben eine neue Stadt. Und die neue Stadt war der große Traum der seit den 20er-Jahren geträumt wurde. Und ein Ausschnitt neuer Stadt – und das ist, finde ich, etwas ganz Hervorhebenswertes –, ist eben diese Bebauung am Grindelberg!
Diese Hochhäuser sind kein Stadtquartier, das einen Anfang und ein Ende oder eine Seitenbegrenzung hat, sondern das beliebig verlängert werden kann nach allen Seiten. Damit ist natürlich im Grunde ein Ideal der Aufklärung umgesetzt worden: das Egalitäre. Nicht gute und schlechte Wohnungen in einer Hierarchie, sondern das gleich Gute ist das eigentlich Maßgebende."

Projekt mit wenig Nachahmern

Wenn man das so hört, ist das ja wunderbar: Endlich wird mal realisiert, was bis dahin Utopie, oder was bis dahin Versprechungen von Politikern waren. Wieso ist dieses Projekt – tja, nicht einzigartig – aber: hat so wenig Nachahmer gefunden?
"Das hat hauptsächlich damit zu tun, dass die Bundesrepublik in den kapitalistischen Gesellschaftsverhältnissen wurzelte – und diese auch verlängerte. Architekten haben das mit großem Unbehagen zur Kenntnis genommen. Vor allem Städtebauer und Stadtplaner sprachen nur verächtlich von der 'restaurativen Republik'. Gemeint war damit das Verschmähen jener Verhältnisse, die sich eben nicht an die Eigentumssituation heranwagten.
Die Grundbücher blieben bestehen. Die Interessen des eigenen Grundeigentümers wogen stärker als das Gemeinschaftsinteresse, so dass großzügige Lösungen, die natürlich die Zusammenführung zahlreicher Grundstücke erforderten, unmöglich waren."
Nun gab es auch ein anderes Deutschland. Wie sah das da aus?
"Die Architekten und Planer schauten geradezu sehnsüchtig in die DDR, denn die DDR hatte wenige Wochen nach ihrer Gründung ein Gesetz auf den Weg gebracht und auch sofort verabschiedet: das sogenannte Aufbaugesetz. Mit dem Aufbaugesetz verknüpft war die gesellschaftliche Inanspruchnahme von Grund und Boden für Aufbauprojekte. Es konnte also jederzeit eine großmaßstäbliche Enteignung stattfinden.
Und schauen wir uns die Wiederaufbauprojekte an, die in einigen wenigen Städten mustergültig in der DDR realisiert worden sind in den 1950er-Jahren, dann sind die natürlich nur möglich gewesen auf der Grundlage dieses Gesetzes: Ob Sie die Altmarkt-Bebauung in Dresden vor Augen haben. Oder die legendäre Stalin-Allee in Ostberlin. Oder die Lange Straße in Rostock – und die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen."

Lage der Hochhäuser ist entscheidend

In der Bundesrepublik blieben die Grindelhochhäuser die Ausnahme. Seit den 1960er-Jahren entstanden große soziale Wohnprojekte nur noch am Stadtrand. Verkehrstechnisch abgekoppelt von den Innenstädten, und schon bald durch finanzielle Kürzungen um soziale und kulturelle Einrichtungen gebracht, führten sie schnell zur Entwicklung sogenannter "sozialer Brennpunkte".
Jörn Düwel ist sich sicher: Wären auch die Grindelhochhäuser am Rande der Stadt entstanden, wären auch sie längst vernachlässigt worden. In der City aber, unter den Augen der Öffentlichkeit, könnten sich Politiker das kaum leisten. Entsprechend sarkastisch klingt das Resumee des Architekturhistorikers.
"Och, die Grindelhochhäuser sind in einem stabilen sozialen Umfeld aufgehoben, ne? Und wenn wir uns umschauen: Wir sehen nirgendwo Verwahrlosung. Ganz im Gegenteil: Die Grünräume sind bestens gepflegt. Wir sehen junge Väter mit ihren Kindern auf dem Arm. Und wir sehen Alte durch die Parkanlagen schlendern. Also das ist eigentlich das heitere Glück einer Vorabendserie."
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