Griechenland-Krise

"Stabilität ist angesagt"

Gerhard Schick im Gespräch mit Dieter Kassel  · 02.06.2015
Der finanzpolitische Sprecher der Grünen, Gerhard Schick, fordert eine langfristige Perspektive für Griechenland. Man habe Athen zu stark zu einer kurzfristigen Haushaltskonsolidierung gedrängt, die positiven Effekte der Reformen seien an dem Land vorbei gegangen.
In Deutschland sei in den vergangenen Jahren zusammen mit der Troika zu stark auf eine zu kurzfristige Haushaltskonsolidierung in Athen gedrängt worden, kritisierte der Bundestagsabgeordnete im Deutschlandradio Kultur. Diese "Kaputt-Sparpolitik" sei offenbar gescheitert. Die Schuldenquoten seien weiter angestiegen, genauso wie die Arbeitslosigkeit.
Die griechische Regierung müsse aber auch die Reformpolitik vorantreiben, forderte Schick. Er habe den Eindruck, dass die griechische Regierung ihre Bevölkerung darauf nicht ausreichend vorbereite.

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Nicht nur Jean-Claude Juncker und François Hollande sind gestern am Ende der Einladung von Angela Merkel nach Berlin gefolgt. Christine Lagarde, Präsidentin des Internationalen Währungsfonds, und Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank, waren dann auch dabei bei diesem Treffen, bei dem es – anders als vorher behauptet – dann doch überwiegend um die griechische Schuldenkrise ging, bei dem es aber, so sieht es zumindest im Moment aus, kein konkretes Ergebnis gab. Deshalb finde ich eigentlich auch viel spannender, als darüber zu reden, mal zu gucken, was Gerhard Schick macht. Gerhard Schick ist der finanzpolitische Sprecher der Fraktion der Grünen im Deutschen Bundestag und er ist gestern schon nach Griechenland gefahren, um dort heute Gespräche zu führen. Schönen guten Morgen nach Athen, Herr Schick!
Gerhard Schick: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Mit welchem Gepäck sind Sie denn nach Griechenland gefahren? Haben Sie neue Ideen, vielleicht sogar Lösungen mit dabei?
Schick: Nein, das ist jetzt nicht der erste Zweck meiner Reise, hier neue Lösungen zu präsentieren, sondern mich zu informieren, wie die Lage ist, auch gerade innenpolitisch, wie die verschiedenen Reformvorschläge diskutiert werden. Wir entscheiden im Bundestag mit über das, was in Griechenland passiert, und deswegen ist extrem wichtig, zu wissen, wie es im Land aussieht.
Weitere Reformen notwendig
Kassel: Mit wem werden Sie denn heute sprechen?
Schick: Ich werde sprechen mit dem stellvertretenden Finanzminister Madras, mit dem Energieminister, ich werde Gespräche beim Bankenrettungsfonds führen, weil die Lage der Banken ja nach wie vor sehr heikel ist - es werden viele Einlagen abgezogen - , auch mit Vertretern von Banken, auch mit Vertretern der Opposition. Und mir ist auch wichtig, mich über die soziale Lage zu informieren, denn es wird ja in Deutschland häufig ignoriert, wie groß die soziale Krise ist. Und man kann, glaube ich, die Position der griechischen Regierung auch nur verstehen, wenn man sieht, vor welchem sozialen Hintergrund sie agiert.
Kassel: Aber regiert denn die Regierung richtig in Ihren Augen? Das klingt mir jetzt nämlich ein bisschen so, als ob Sie da gerade den Vorwurf in Richtung andere Verhandlungspartner schieben wollen.
Schick: Ich glaube, dass da beide Seiten entscheidende Schritte machen müssen. In Deutschland haben wir sicher in den letzten Jahren auf zu kurzfristige Haushaltskonsolidierungserfolge gesetzt, das hat die Regierung Merkel mit den Institutionen, also der Troika, gemeinsam gemacht. Und diese Kaputtsparpolitik ist offensichtlich ja gescheitert, weil die Schuldenquoten weiter angestiegen sind, die Arbeitslosigkeit auch. Auf der anderen Seite sind in Griechenland natürlich noch viele Schritte zu tun, um den Staat richtig aufzustellen, und ich habe den Eindruck, dass die griechische Regierung die Menschen auch nicht darauf einstellt, dass da noch weitere Reformschritte notwendig sind – und das wird so sein.
Kassel: Das heißt aber auch, die griechische Regierung hat bisher nicht viel zu bieten gehabt, denn beim Regierungsantritt und auch schon vorher im Wahlkampf hieß es ja: Wir wollen Griechenland aus den Schulden rausbringen, aber auf einem völlig neuen Weg. Der ist auch für Sie nicht erkennbar?
Schick: Der ist noch nicht wirklich erkennbar. Verständlich ist, dass sie sagen: Der bisherige Weg ist gescheitert. Das muss man so sehen und das muss man auch in Deutschland zur Kenntnis nehmen. Und ich glaube, was wichtig ist, ist, dass jetzt eine langfristigere Perspektive eingenommen wird. Man muss sich mal vorstellen, dass jetzt seit Januar kontinuierlich verhandelt wird, immer mit der Ansage, es könnte in den nächsten Wochen irgendetwas Entscheidendes passieren, vielleicht sogar Griechenland aus dem Euro austreten müssen, Zahlungen eingestellt werden.
Und mit dieser ökonomischen Unsicherheit kann man natürlich ein Land auf jeden Fall ruinieren, selbst wenn es vorher eine gesundere Wirtschaft gehabt hätte. Gerade für den Bankensektor ist Vertrauen, ist Stabilität ja extrem wichtig. Und so werden jetzt hier in Griechenland sehr viele Investitionen zurückgehalten, was die Wirtschaft weiter schwächt und für die Bewältigung des Schuldendilemmas natürlich eine negative Entwicklung ist. Stabilität ist angesagt. Deswegen, glaube ich, ist es notwendig, jetzt nicht nur kurzfristig wieder über die nächsten Wochen zu kommen, sondern eine längerfristige Perspektive einzunehmen und zu schauen, dass man aus diesem kurzatmigen Verhandlungsrhythmus herauskommt.
Die Griechen sollten positive Ergebnisse der Reformen spüren können
Kassel: Aber wie realistisch ist das? Man muss sich, glaube ich, noch mal klar machen, wie verrückt das ist, was jetzt fast jede Woche passiert: Auch in dieser Woche geht es wieder darum, dass Griechenland – ich sage das bewusst so – ein paar hundert Millionen zurückzahlen muss, unter anderem, damit es bald wieder ein paar Milliarden bekommt. Das heißt, wir reden doch eigentlich darüber, Schulden zu tilgen, vor allem, damit man wieder neue machen darf.
Schick: Ja, und ich glaube, da ist auch ein Schlüssel. Für die griechische Seite stellt es sich ja so dar: Sie haben seit Monaten keine Zahlungen bekommen, haben aber Zahlungen geleistet. Das heißt, die Reformdividende, das positive Ergebnis der Reformen ist im Wesentlichen an die Gläubiger im Ausland abgeflossen. Ich denke, es ist notwendig, dass für die nächsten Jahre, gerade vor dem Hintergrund der sozialen Krise, die Reformdividende auch stärker in Griechenland bleibt, damit es hier auch Menschen gibt, die sehen: Ja, die Reformen bringen etwas. Und man könnte ja so wie der EFSF, also diese ersten Kredite aus Europa das gemacht haben, dass man jetzt bis 2022 keine Zinszahlungen leisten muss. So könnte man das auch bei den anderen Krediten machen, um in Griechenland erst mal eine gewisse Möglichkeit zu geben, dass Reformen wirken können und nicht das Geld direkt ans Ausland abfließt.
Kassel: Das ist ja, was Sie gerade beschrieben haben, ungefähr das Ergebnis eines Papiers der AG Euro, Ihrer Partei, das Anfang Mai vorgestellt wurde von Ihnen, Sie leiten diese AG. Aber in Zusammenhang mit diesem Papier hieß es damals auch eindeutig, auch von Ihnen: Auch die Umsetzung dieses Vorschlags ist an Reformen gebunden. Sehen Sie denn nun diese Reformen in Griechenland?
Schick: Das ist diese Sache, die die griechische Seite leisten muss, auch hier in der Bevölkerung klar zu machen – und gerade auch im linken Parteiflügel von Syriza –, dass natürlich Reformen notwendig sind, dass Staat stabil aufgestellt wird, Bürokratie abgebaut werden muss, und auch nicht jede Privatisierung ist schlecht. Es ist richtig, dass man kritisch hinschaut, dass Grundeinrichtungen des Staates jetzt nicht in der Krise privatisiert werden. Aber insgesamt braucht es ja einen Reformprozess, und das ist das, was die griechische Seite liefern muss.
Steuerverwaltung als positives Beispiel
Kassel: Was sie aber nicht liefert, oder?
Schick: Ich glaube, in manchen Bereichen, gerade in der Steuerverwaltung, gibt es eine Bereitschaft, wirklich etwas zu tun. Andere Fragen wie am Arbeitsmarkt sind für die griechische Seite auch schwierig, weil es eben eine Wirkung auf die soziale Lage hat. Und ich glaube, da liegt jetzt das, was man erreichen muss: Wie können Reformen so ausgestaltet werden, dass sie den ärmeren Teil der Bevölkerung, der sehr stark in dieser Krise gelitten hat, nicht noch stärker treffen?
Kassel: Aber glauben Sie denn, die griechische Regierung, der Regierungschef und auch sein Finanzminister sind da immer so ganz ehrlich auch international? Ständig hören wir von den beiden, eine Einigung steht kurz bevor, und dann sagen Schäuble, Merkel oder auch andere aus der Eurogruppe plötzlich: Na ja, das ist nicht ganz unser Eindruck.
Schick: Ich denke, dass auf beiden Seiten gegenüber der Bevölkerung noch nicht klar kommuniziert wird, was eigentlich ansteht. In Deutschland wird zu wenig gesagt, dass wir noch über Jahre hinaus Griechenland werden unterstützen müssen, weil es nicht anders gehen wird, und dass es wahrscheinlich auch ein drittes Kreditprogramm geben wird. Und in Griechenland wird von der neuen Regierung zu wenig klar kommuniziert, dass weitere Reformen notwendig sind, übrigens auch im Eigeninteresse der Griechen. Und das ist jetzt, was die beiden Verhandlungsseiten in den nächsten Tagen werden leisten müssen, auch gegenüber der Bevölkerung jeweils deutlich und ehrlich zu kommunizieren.
Kassel: Der finanzpolitische Sprecher der Grünen im Deutschen Bundestag, Gerhard Schick, ist gerade in Griechenland, um dort heute Gespräche zu führen, und das erste Gespräch hat er jetzt ausgerechnet mit uns geführt. Danke Ihnen sehr, Herr Schick!
Schick: Ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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