Griechenland aus US-Sicht

"Ein europäisches Problem"

US-Flagge
In der US-Außenpolitik sehen Politiker heute größere Chancen in Asien © dpa/picture-alliance/ Patrick van Katwijk
Michael Werz im Gespräch mit Nana Brink  · 30.06.2015
In Washington werde die Griechenland-Krise mit einiger Sorge verfolgt, sagt der Politologe Michael Werz. Dabei sei aber das Interesse an einem stärkeren US-Engagement gering.
"Die pazifische Neuausrichtung der US-Außenpolitik gewinnt an Fahrt", sagte der Politologe Michael Werz, der als Wissenschaftler an der US-Denkfabrik "Center for American Progress" in Washington tätig ist. Gerade die Beziehungen zu Indien und China stünden im Zentrum der politischen Debatten. "Was Europa angeht, ist die Position eher: Wir brauchen nicht noch einen Krisenherd und es ist wichtig, dass hier Stabilität weiterhin vorherrscht", sagte Werz im Deutschlandradio Kultur.
Es gebe einige Sorge, weil die EU noch nicht einmal in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft politische Stabilität herstellen könne. Man sehe, dass die EU bereits mit der Lösung überschaubarer Konflikte auf dem Balkan und in Nordafrika überfordert sei. Deshalb werde in den USA befürchtet, dass da mehr Verantwortung auf die US-Regierung zukommen könnte. "Die Ressourcen der USA werden im Moment besser in Asien eingesetzt als in den traditionellen europäischen Feldern." Auch der Gegensatz zu Russland spiele bei der Betrachtung eine zusätzliche Rolle.
Europäische Lösung erwartet
"Das ist ein europäisches Problem", sagte Werz über die verbreitete Sicht in Washington auf die Griechenland-Krise. Allen Ökonomen sei klar, dass die griechischen Schulden nicht haltbar seien und schon 2010 ein konstruktiver Schuldenerlass nötig gewesen sei. Die EU, die Europäische Zentralbank (EZB) und der Internationale Währungsfonds (IWF) seien deshalb auch verpflichtet, die schwierige Lage jetzt zu lösen.

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Man kann sich vorstellen, wie oft Angela Merkel in den vergangenen Tagen in Sachen Griechenland telefoniert hat. Ein wichtiges Telefonat, über dessen Inhalt allerdings nur sehr wenig bekannt geworden ist – außer, dass es stattgefunden hat –, war die Unterhaltung mit US-Präsident Barack Obama am Sonntagabend. Und das ist kein Zufall, denn die US-Regierung, obwohl weit weg, beobachtet sehr genau, was mit Griechenland passiert ist. Gestern hat Obama auch mit dem französischen Präsidenten Hollande telefoniert. Wir wollen wissen, warum. Was steckt da hinter den Kulissen, was ist da los? Das weiß der Politikwissenschaftler Michael Werz. Er ist Senior Fellow am Center for American Progress, das ist ein liberaler Think Tank in Washington, aber jetzt erwischen wir ihn in Berlin. Schönen guten Morgen, Herr Werz!
Michael Werz: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Warum informiert die Kanzlerin persönlich den amerikanischen Präsidenten? Wie wichtig ist das Thema für die US-Regierung?
Werz: Das Thema Griechenland ist wichtig für die Regierung der Vereinigten Staaten, weniger aufgrund der unmittelbaren wirtschaftlichen Situation. Die Konsequenzen für die Vereinigten Staaten, sollte Griechenland pleite gehen, sind überschaubar, der Handel umfasst nur etwa eine Milliarde Dollar pro Jahr, die US-amerikanische Wirtschaft wächst mit erheblicher Geschwindigkeit zum ersten Mal seit vielen Jahren. Also insofern sind die wirtschaftlichen, direkten Konsequenzen für die Vereinigten Staaten nicht so bedeutend.
Aber politisch hat man natürlich einen Blick darauf, dass die Stabilität der Europäischen Union hier unter Umständen infrage gestellt wird, und von daher haben die Vereinigten Staaten ein großes Interesse daran, dass die Kredite an die Griechen verlängert werden. Das hat der Präsident der Kanzlerin auch gesagt. Barack Obama steht in den USA ein wenig unter Druck, doch stärker auf die Deutschen Einfluss zu nehmen. Aber man hat den Eindruck von dem, was aus dem Weißen Haus zu hören ist, dass man dort eine Kalkulation gemacht hat, zu sagen: Mehr Druck auf Angela Merkel auszuüben, lohnt sich im Moment nicht. Die deutsch-amerikanischen Verhältnisse und Beziehungen sind angespannt wegen der NSA-Affäre und auch wegen dem, was in den USA häufig als deutsche Indifferenz gegenüber vielen Krisenherden in der Welt wahrgenommen wird.
Lösung in Europa erwartet
Brink: Aber man denkt schon im Weißen Haus von dem, was Sie hören, nach dem Motto: Das müsst ihr aber lösen?
Werz: Das ist vollkommen klar, das ist ein europäisches Problem. Allen Ökonomen ist deutlich, dass die Schulden, die Griechenland im Moment aufgetürmt hat von über 170 Prozent des Bruttosozialproduktes, nicht haltbar sind, und dass ein konstruktiver Schuldenerlass schon 2010 hätte stattfinden müssen. Da haben damals die EU-Kommission, die EZB, die Europäische Zentralbank, und auch der Internationale Währungsfonds entschieden unter der Führung Angela Merkels, dass das nicht der Fall sein soll und haben auf Austerität und Sparmaßnahmen gepocht. Und insofern sind Europa und die drei Institutionen jetzt auch in der Position, diese schwierige Situation lösen zu müssen.
Brink: Wenn wir aber noch mal innenpolitisch in die USA gucken: Kann es sein, dass die auch ein großes Interesse daran haben, dass dieses Problem eingehegt wird? Denn es würde ja vielleicht auch Obama seine wirtschaftspolitische Bilanz verhageln, jetzt gerade im Wahlkampf, der kommt. Ist das auch ein Argument?
Werz: Das ist richtig. Es würde kurzfristige Instabilität an den internationalen Finanzmärkten natürlich nach sich ziehen. Das hat man ja gestern schon beobachten können. Auf der anderen Seite ist die amerikanische Wirtschaft weitestgehend immunisiert, weil ja zwei Drittel des Bruttosozialproduktes durch die Binnenökonomie produziert werden. Hier ist der Immobilienmarkt besonders wichtig und der ist über acht Prozent gestiegen im vergangenen Jahr. Es gibt zum ersten Mal Reallohnzuwächse. Und Barack Obama hat in seiner Amtszeit über zehn Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen, das sind mehr als alle anderen G7-Länder zusammengenommen. Insofern ist es nicht so, dass man unmittelbar innenpolitisch hier in Sorge ist, sondern viel eher die Frage ist: Was wird aus Europa und was passiert mit denjenigen, die sich gegen Sparmaßnahmen auch in anderen Ländern wie Portugal, Spanien und Italien aussprechen, sollten die Griechen mit der gegenwärtigen Situation nicht fertig werden?
Beziehungen mit Indien und China stehen im Zentrum der Debatten
Brink: Beschäftigt sich dann die amerikanische Politik wieder mehr mit Europa? Es sah ja in der letzten Zeit so aus, als ob sie sich eher, na, sagen wir, vielleicht nicht abwenden, aber anderen Dingen mehr zuwenden würden, eben gerade dem asiatischen Raum.
Werz: Das ist mit Sicherheit nach wie vor der Fall. Die pazifische Neuausrichtung der amerikanischen Außenpolitik gewinnt an Fahrt, und auch gerade die Beziehungen mit Indien und China stehen ganz stark im Zentrum der politischen Diskussionen in Washington. Was Europa angeht, ist die Position eher: Wir brauchen nicht noch einen Krisenherd, es ist wichtig, dass hier Stabilität weiterhin vorherrscht. Und es gibt natürlich auch Sorge, weil ja sichtbar ist, dass die Europäische Union nicht mal in der unmittelbaren Nachbarschaft politische Stabilität herstellen kann.
Wenn man sieht, dass es doch die recht überschaubaren Konflikte beispielsweise im Balkan oder auch die Herausforderungen in Nordafrika die Union schon überfordern, dann ist klar, dass für die USA die Position eher diejenige ist: Wenn die Europäer noch weniger dazu beitragen können, dann wird mehr Verantwortung auf die Vereinigten Staaten zukommen – und die Ressourcen der USA werden im Moment besser in Asien eingesetzt als in den traditionellen europäischen Feldern. Und von daher ist das Bedürfnis doch groß, dafür zu sorgen, dass Deutschland und die anderen Partner diese Krise alleine überwinden.
Brink: Das heißt, sie haben auch ein geostrategisches Interesse, jetzt nicht an Griechenland, aber an der Stabilität in diesem Raum – auch weil sie vielleicht eine Vergrößerung des russischen Einflusses fürchten?
Werz: Ja, das spielt eine Rolle, wobei natürlich klar ist, dass die russische Regierung im gegenwärtigen Moment jede Möglichkeit nutzen wird, die EU zu schwächen. Das sieht man in den Balkankonflikten oder auch in dem Bürgerkrieg in Syrien ganz deutlich. Auf der anderen Seite sind die Einflussmöglichkeiten Wladimir Putins natürlich begrenzt. Auch ihm geht es ja ökonomisch nicht so gut, dass er jetzt Griechenland aus der Schuldenkrise heraus befreien könnte. Die Frage ist viel eher: Was bedeutet das für Europa und was bedeutet das auch für die Führungsposition, die Deutschland sich erarbeitet hat in den vergangenen Jahren? Denn die Kanzlerin ist eine wichtige Bezugsperson für den Präsidenten gewesen, und wenn jetzt deutlich wird, dass über die fünf Jahre hinweg das Management des Griechenlandproblems doch zu keinem Erfolg geführt hat oder zumindest zu einer vorläufigen Stabilisierung, dann ist das eine schwierige Situation.
Sorge wegen nationalistischer Töne in Athen
Es hat auch große Besorgnis hervorgerufen, dass die Rede des griechischen Ministerpräsidenten in der Nacht zum Sonntag doch von Tönen geprägt war, die man seit den römischen Verträgen im Jahr 1957 so in Europa nicht mehr gehört hat. Also diese ganze Rede von der Erniedrigung des griechischen Volkes und dem Ziel Europas, den Kampf gegen den Würgegriff hier in Griechenland zu forcieren, das ist doch eine Rhetorik, die sehr tiefe, nationalistische Ressentiments mobilisiert. Und ich denke, auch das ist ein Problem, was in Washington sehr stark beobachtet wird.
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