Gregor Gysi

"Mein Privileg war Bildung und tausende Bücher"

Politiker und Rechtsanwalt Gregor Gysi, aufgenommen 2015 bei einem Auftritt vor Medienvertretern
Politiker und Rechtsanwalt Gregor Gysi © dpa / picture alliance / Kay Nietfeld
Moderation: Klaus Pokatzky · 27.08.2018
Der Linken-Abgeordnete Gregor Gysi ist ein wortgewandter Anwalt und versteht es, sich zu streiten – politisch und juristisch. Über sein Leben vor 1989 sagt er: "Eingesperrt war ich genauso wie die anderen Bürgerinnen und Bürger der DDR."
Die Familie des Anwalts und Bundestagsabgeordneten Gregor Gysi (Die Linke) hat jüdische, russische, kommunistische und adlige Wurzeln, und auf keine dieser Wurzeln würde Gysi heute verzichten wollen. "Ich glaube, die Mischung macht’s. Eine Wurzel macht im Denken und Fühlen etwas einseitig. Wenn du mehrere Wurzeln hast und die auch bei deinen Eltern spürst, dann prägt das deine Persönlichkeit auch ganz anders."

Der jüngste Anwalt der DDR

Viele Verwandte Gregor Gysis mussten während der Herrschaft der Nationalsozialisten aus Deutschland fliehen und in anderen Weltgegenden einen Neuanfang machen. Seine Eltern kämpften im Untergrund gegen die Nationalsozialisten und wurden 1940 von der Kommunistischen Partei für Spionagetätigkeiten aus dem französischen Exil zurück nach Deutschland geschickt.
Nach der Gründung der DDR im Oktober 1949 wurden Gysis Eltern Bürger der DDR, wo sein Vater als hoher SED-Funktionär Karriere machte, was Gregor Gysi später half, der jüngste Anwalt der DDR zu werden. Privilegien wie den Zugang zu Einrichtungen für die Führungsmitarbeiter der DDR habe er allerdings nie genossen, sagte Gysi. "Eingesperrt war ich genauso wie die anderen Bürgerinnen und Bürger der DDR."

Vermittler zwischen Staatsführung und Mandanten

Inzwischen habe er aber erkannt, dass er in anderer Hinsicht doch privilegiert gewesen sei: "Mein Privileg war erstens die Art meiner Eltern, zweitens ihre Bildung, drittens die tausenden Bücher bei uns zuhause und vor allem der Besuch, den wir hatten." Gysis Eltern bekamen auch nach dem Mauerbau in der DDR Besuch aus der ganzen Welt: aus den USA, Großbritannien, Südafrika, Frankreich, Holland, Belgien. "Wo gab es das denn sonst in der DDR?"
Als Anwalt verteidigte Gysi in den 1970er-Jahren in der DDR Oppositionelle wie Rudolf Bahro und Robert Havemann. Bis heute werden immer wieder Vorwürfe laut, er habe als Preis für seine Unabhängigkeit mit der Stasi zusammengearbeitet. Gysi sah seine Aufgabe als Anwalt in der DDR in der Vermittlung zwischen der Staatsführung und seinen Mandanten: "Deshalb bin ich immer zum ZK der SED gegangen und zwar zur Abteilung Staat und Recht."

Die Stasi-Vorwürfe verletzten ihn

Er habe den Vertretern des ZK zum Beispiel erklärt, warum es in ihrem Interesse sein könnte, den Hausarrest von Robert Havemann aufzuheben. Im Fall des in der MfS-Sonderhaftanstalt Bautzen II inhaftierten Philosophen Rudolf Bahro sei er es gewesen, der eine Amnestie vermittelt habe, sagt Gysi: "Bahro hätte eigentlich vier Jahre sitzen müssen nach dem Gesetz, und ich habe ihnen die Amnestie eingeredet. Und die kam dann auch. Das ist Vermittlung: Dir muss immer etwas einfallen, wo die Gegenseite sagt: 'Vielleicht ist das auch aus unserer Sicht so nicht klug.'"
Gysi gestand, dass die Vorwürfe, die nach der Wiedervereinigung wegen seiner Kontakte zur Staatssicherheit der DDR gegen ihn erhoben worden seien, ihn verletzten. Es habe ihn unglücklich gemacht, dass man versucht habe, sein ganzes Berufsleben "in ein völlig falsches Licht" zu rücken, denn er sei "wirklich ein bisschen stolz darauf", was er für Leute wie Havemann und Bahro erreicht habe. In den öffentlichen Auseinandersetzungen um die Qualität seiner Beziehungen zur Stasi habe er aber auch gelernt, "stur" gegen diese Vorwürfe zu kämpfen.

Verteidigung des Rechtsstaats

Als positive Folge aus den Gerichtsverfahren gegen ihn sei das Vertrauen der Mitglieder seiner Partei in den deutschen Rechtsstaat gewachsen: "Für die war die Überraschung, dass ich fast jeden Prozess gewann, obwohl doch der Mainstream gegen mich war."
Wenn er heute auf einem Parteitag fordere, den Rechtsstaat zu verteidigen, dann bekomme er viel Beifall. "Ich war für sie das Beispiel: Alle waren gegen Gysi und wollten, dass er verliert und der unabhängige Richter sagt 'Nein, der gewinnt.' Das hat sie beeindruckt und das war das Schöne daran."
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