Greenpeace: Gift von Bhopal sickert ins Grundwasser

Moderation: Ulrike Timm · 03.12.2009
Vor 25 Jahren ereignete sich die Chemiekatastrophe von Bhopal und seitdem ist auf dem Gelände alles unverändert, sagt Christian Poggendorf von Greenpeace. Alle Chemieablagerungen von 1984 seien noch vorhanden, Lösungmittel und andere Chemikalien gelangten ins Grundwasser. Solange das Problem Bhopal nicht gelöst sei, blockiere dies abar auch die Ansiedlung amerikanischer Unternehmen in Bhopal.
Ulrike Timm: Der Chemieunfall von Bhopal heute vor 25 Jahren, wir sprechen darüber mit Christian Poggendorf, er hat als Ingenieur an der Greenpeace-Studie 2004 mitgearbeitet, die das Gelände als hochgefährlich einstufte. Schönen guten Tag, Herr Poggendorf!

Christian Poggendorf: Schönen guten Tag, Frau Timm!

Timm: Was weiß man denn über das Giftgelände heute, genau 25 Jahre danach, wie sieht es heute aus?

Poggendorf: Das Gelände ist eigentlich heute in genau dem Zustand, in dem es 1984 verlassen worden ist. Auf dem Gelände stehen eigentlich alle von den ehemaligen Produktionsanlagen noch, heute natürlich in einem sehr stark zerstörten, heruntergekommenen Zustand. Wir müssen ja sehen, dass diese Gegend ganz starke Niederschläge hat aus der Monsunzeit, das heißt, es ist sehr rostig, sehr verfallen zum großen Teil.

Und es sind auf diesem Gelände alle alten Chemikalienablagerungen noch vorhanden, wie sie 1984 waren, weitgehend zumindest vorhanden. Also, wir finden dort die Verunreinigung an den Anlagenteilen, in den Behältern, wir finden aber auch im Gelände liegende Lagunen, die mit chemischen Verbindungen als Deponien abgelagert worden sind.

Und es ist wohl nach meinem eigenen Besuch dort unten inzwischen ein bisschen aufgeräumt worden, unter sehr mysteriösen Umständen, man hat also lose liegende Abfälle aus einigen Gebäuden zusammengetragen und in einem Gebäude zusammengefasst und dieses Gebäude wohl auch abgeschlossen, aber letztendlich ist seit dem ursprünglichen Unfall 1984 an dem Standort fast nichts passiert.

Timm: Heißt das, das Gift versickert im Boden und kommt auch ins Grundwasser?

Poggendorf: Davon müssen wir ausgehen. Wir müssen ein bisschen unterscheiden, es gibt unterschiedliche Stoffe, die hier eine Rolle gespielt haben. Da ist einerseits die Chemikalie, die 1984 zu der Katastrophe selber geführt hat – diese Chemikalie ist extrem reaktiv, mit Wasser vor allem und dürfte heute auf dem Standort eigentlich gar nicht mehr zu finden sein. Andere Stoffe liegen auf dem Gelände, sind mit Wasser zum Teil dann löslich und dringen natürlich in das Grundwasser, können aber auch in direkten Kontakt mit den Menschen treten, wenn die Leute auf das Gelände kommen, wenn da das Vieh weidet, wie wir das gesehen haben, auf dem Gelände.

Und es gibt eben als dritten Teil die Belastung des Grundwassers mit Lösungsmitteln, das ist noch mal eine andere Stoffklasse, die aber auch mit der Produktion im Zusammenhang steht, und die Leute im Umfeld dieses Standortes, die Menschen dort in den Slums, leben von diesem Grundwasser zum großen Teil, wenn sie nicht ganz sporadisch auch mal mit Trinkwasser aus Tankwagen versorgt werden.

Timm: Das heißt, die Menschen in Bhopal, die praktisch heute noch bis an den Rand der Mauer dieses Industriegeländes leben, sind nach wie vor betroffen. Wie äußert sich das?

Poggendorf: Sie leben nicht nur bis an das Gelände heran, sondern wir haben es erlebt, sie leben auch auf dem Gelände. Wir haben dort Kinderspielgelände gesehen, Schaukeln und Ähnliches, das heißt, die Kinder kommen auf das Gelände. Das Gelände ist auf der Rückseite – obwohl es vorne bewacht ist –, auf der Rückseite offen. Man kann dort reingehen. Wir haben dort Hirten gesehen mit Ziegen und ähnlichen Tieren, kleinere Kühe, die dort waren, das heißt also, die Leute nutzen dieses Gelände als erweitertes Umfeld. Das ist eigentlich mitten in der Stadt eine grüne Oase, weil sie sehr stark zugewachsen ist nach den 25 Jahren, und diese Fläche wird natürlich in Anspruch genommen.

Timm: Es ist eine gefährliche Oase, weil eben das Wasser verseucht ist. Wie äußert sich das bei den Leuten, die es trinken, die dort wohnen?

Poggendorf: Erst mal ist es so: Es gibt dort Brunnen, wir haben diese Brunnen selber gesehen, und das Wasser, was man dort mit Handpumpen zutage fördert, das riecht ganz stark nach Lösungsmitteln. Das ist mal so der erste Wahrnehmungseindruck, den man haben kann. Und wenn die Leute tatsächlich gezwungen sind, dieses Wasser zu trinken, weil sie sich vielleicht Frischwasser … entweder nicht versorgt werden oder es vielleicht auch nicht bezahlen können, ich weiß nicht, ob das immer auch frei verfügbar ist, dann sind sie gezwungen, diese Lösungsmittel in dem Wasser auch zu trinken und das wird sicherlich gesundheitliche Folgen haben.

Timm: Wie kommt es, dass Indien diese vielen Tausend Menschen nicht umgesiedelt hat? Zum Beispiel nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl wurden über 300.000 Menschen umgesiedelt. Warum ist das in Indien nicht passiert?

Poggendorf: Das kann man schwer beantworten. Es ist ja so, das sind Slums, das ist also keine gezielte Stadt oder Ansiedlung, sondern das sind Leute, die sich da selber angesiedelt haben. Die Stadt ist sicherlich seit 1984 auch ganz stark gewachsen, das ist eine relativ große Stadt mit 1,4 Millionen Menschen heute und es ist eben weiterhin mitten in der Stadt, auch wenn man die unmittelbar angrenzenden Slums dort entfernt hätte und die Leute umgesiedelt hätte – es ist hier wirklich ein innerstädtischer Bereich.

Timm: Ist es auch ein Armutsproblem? Indien war 1984, als das Unglück passierte, ganz klar ein Entwicklungsland und es geht um ganz arme Menschen. Um die hat sich vielleicht auch niemand gekümmert.

Poggendorf: Ja, es geht um ganz arme Menschen, es geht heute immer noch um ganz arme Menschen und um die kümmert sich heute immer noch eigentlich niemand so richtig. Die Versorgung dieser Menschen mit Trinkwasser wäre im Prinzip sehr einfach, die Installationen sind zum Teil da, es gibt sogar Wasserleitungen, es gibt einen Wasserturm, es gibt Tanks in dem Bereich. Es wäre eigentlich kein Problem, die Brunnen zu schließen und den Leuten auf diesem Wege Wasser zur Verfügung zu stellen.

Timm: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Greenpeace-Experten Christian Poggendorf über die Folgen des Chemieunfalls im indischen Bhopal vor 25 Jahren. Herr Poggendorf, die indische Regierung hatte den etwas aberwitzigen Gedanken, das Gelände von Bhopal eine Woche lang für Touristen zum Gucken freizugeben als Beweis dafür, dass alles dort in Ordnung und völlig ungefährlich ist. Nach vielfachen Protesten ist man davon abgerückt. Aber wie konnte es zu solch einer Idee überhaupt kommen?

Poggendorf: Es ist natürlich so: Ich bin ja selber auf dem Standort gewesen und man kann diesen Standort durchaus betreten, ohne direkt gesundheitliche Schäden davonzutragen. Aber trotzdem ist natürlich … die symbolische Öffnung sicherlich, die zeigt eine gewisse Ignoranz Problemen gegenüber. Es ist ja so, dass wir gerade von diesen Problemen im Grundwasserbereich gesprochen haben, und mit den Problemen wird man natürlich nicht konfrontiert, wenn man den Standort einfach mal begeht und da sich drauf aufhält, sondern das sind Schäden, die eigentlich dann erst über Jahre, über die Aufnahme des Wassers oder über die Aufnahme der Chemikalien über das Vieh bei den Menschen irgendwann ankommen. Zum Beispiel die Tiere, die dort grasen, das ist ein Problem, weil eben diese Stoffe, um die es hier geht, sich bevorzugt auf dem Fettgewebe und in der Milch dieser Tiere ansammeln.

Das ist also nichts, das man beim erstmaligen Begehen dieser Fläche wahrnimmt, und insoweit ist das also der Versuch, sozusagen was zu verharmlosen, was natürlich an der Sachlage völlig vorbeigeht.

Timm: Das heißt, der indische Bhopal-Minister – Indien hat einen Bhopal-Minister in diesem Bereich – hätte ganz klar darauf gesetzt, man merkt es ja nicht gleich, dann wird es gut vorbeigehen und das Image verbessern?

Poggendorf: Ja, das ist aber natürlich durchschaut worden und ich denke, das ist auch gut so.

Timm: Wer stünde denn Ihrer Meinung nach noch in der Pflicht, das Gelände zu sanieren oder den Opfern finanziell zu helfen, denn die Mitverantwortung der amerikanischen Chemieindustrie für den Unfall ist ja unbestritten?

Poggendorf: Ja. Nach den in Europa oder auch in den USA gültigen Regeln wäre sicherlich erst mal der Grundstückseigentümer in der Verantwortung, hier dieses Gelände zu sanieren. Das ist, meiner Erkenntnis nach, im Wesentlichen der Regionalstaat Andhra Pradesh. Wie weit die politische Verantwortung da eingeklagt werden kann, wie das die Initiativen und die Politik vor Ort dann auch tun, das ist natürlich eine ganz, ganz komplizierte juristische Frage. Wie weit eben die Verantwortlichkeit von Dow Chemicals inzwischen noch geht, die irgendwann später nach dem Unfall, weit nach dem Unfall diese Firma Union Carbide übernommen hat, das ist dann schon eine sehr politische Frage.

Timm: Ja, aber Indien war 1984 ganz klar ein Entwicklungsland, ist es zu großen Teilen heute noch, auch wenn es bei den Industrienationen als Global Player mitspielt, und an den Staat Indien flossen gerade mal 470 Millionen Dollar Schadenersatz. Warum tut sich die indische Regierung so schwer, zu sagen: Wir brauchen mehr Hilfe, wir haben ein großes Problem? Wir schaffen das nicht?

Poggendorf: Es ist ja inzwischen so, dass dieser Bhopal-Schadensfall auch große Probleme in der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit hervorruft – die Ansiedlung amerikanischer Unternehmen in Indien ist zum Teil einfach blockiert dadurch, dass dieses Bhopal-Problem nicht gelöst ist. Eigentlich gäbe es viele Gründe, auch wirtschaftliche Gründe, diesen Standort zu sanieren und das Problem endgültig aus der Welt zu schaffen, nicht nur die humanitären, sondern eben auch wirtschaftliche Überlegungen.

Timm: Sehen Sie denn Anzeichen dafür, dass der heutige unrühmliche Jubiläumstag zum Anlass wird, dass jetzt etwas geschieht, weil noch mal drauf geguckt wird?

Poggendorf: Ich bin da sehr pessimistisch. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich in den letzten fünf Jahren die Position der indischen Regierung aber auch der Betroffenen vor Ort geändert hätte. Ich denke, gerade diese Überlegungen zur Öffnung des Standortes für Touristen zeigen eigentlich, dass das Verständnis für das, was hier notwendig ist, bisher nicht vorhanden ist.

Timm: Der Ingenieur Christian Poggendorf, er hat an einer Greenpeace-Studie über Bhopal mitgearbeitet und seitdem hat sich wenig geändert. Vielen Dank für das Gespräch!

Poggendorf: Danke schön!
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