Graphic Novel

Geschäft mit der Armut

Marokkanische Arbeiter ziehen im so genannten Plastikmeer eine neue Folie über das Dach eines Gewächshauses, nahe der andalusischen Stadt El Ejido in der Provinz Almería (Spanien). Die Gewächshäuser ziehen sich vom Meer bis an den Rand der Städte und hinauf in die Berge. Im Plastikmeer wird in über 27.000 Gewächshäusern auf einer Fläche von über 350 Quadratkilometern Obst und Gemüse angebaut, das überwiegend für den Export bestimmt ist.
Marokkanische Arbeiter ziehen im so genannten Plastikmeer eine neue Folie über das Dach eines Gewächshauses, nahe der andalusischen Stadt El Ejido in der Provinz Almería (Spanien). © dpa picture alliance/ Bodo Marks
Von Christian Rabhansl · 21.06.2014
Ville Tietäväinen hat Flüchtlinge, Grenzpolizisten und Menschenschlepper interviewt. Fünf Jahre hat er für seinen Comic über das Schicksal des Marokkaners Rashid recherchiert. Nicht immer sind ihm seine Figuren überzeugend gelungen. Aber das schmälert nicht die Leistung, uns vor Augen zu führen, wer für unser billiges Gemüse teuer bezahlt.
Der Norden Marokkos, die afrikanische Küste. Hier lebt Rashid mit Frau und Tochter. Seine Arbeit als Näher hat er verloren, und auch beim Fischen ...
Ehefrau: "Konntest Du etwas fangen?"
... hat er kein Glück.
Ehefrau: "Rashid, ich könnte doch von zu Hause aus für die Fabrik nähen. Keiner würde ahnen, dass das Geld nicht von dir kommt."
Rashid: "Nein! Unsere Ehre! Ich habe Dir versprochen, dass Du nicht in die Fabrik musst!"
Während Rashid zunehmend an Armut und Hunger verzweifelt, scheint das Paradies ...
Rashid: "Europa!"
... ganz nah.
Rashid: "Man könnte fast die Hand ausstrecken und nach dem goldenen Sand greifen."
Hoffnung auf ein besseres Leben
Aus dem Elend vieler Marokkaner ist längst ein großes Geschäft geworden. Der Comic-Autor Ville Tietäväinen hat fünf Jahre recherchiert, er hat Flüchtlinge getroffen, Grenzpolizisten und Menschenschlepper.

Schlepper: "Ich vertrete eine erstklassige Reise-Agentur, die eine sichere Überfahrt garantiert. Natürlich wachsen auch in Europa die Jobs nicht auf den Bäumen. Wir bieten deshalb einen "Fuß in der Tür"-Service, von dem alle Beteiligten profitieren: Die Europäer erhalten zuverlässige Arbeiter zu günstigen Tarifen. Die Marokkaner müssen die Hälfte ihres Gehaltes an uns zahlen, bis ihre Reisekosten abgegolten sind. Als Sicherheit verpfänden sie den Besitz ihrer Familie."
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Ville Tietäväinen: "Unsichtbare Hände"© Avant-Verlag
Warum riskieren so viele Menschen ihr Leben für eine derart ungewisse Zukunft? Zehntausende, Jahr für Jahr?
Rashid: "Ich will eine Zukunft für meine Liebste schaffen. Was ist daran falsch?"
Ville Tietäväinen hat in Rashids Geschichte viele Einzelschicksale verdichtet. Immer wieder rückt er die zeichnerische Perspektive in schwindelerregende Höhen. Rashid schrumpft auf den großformatigen Seiten zu einem winzigen Punkt. Ein Punkt von vielen – so wie sein Schicksal eins von abertausenden ist. Das ist die Stärke dieses düsteren Bandes. Ebenso die eindrucksvoll gezeichneten Szenen wie die nächtliche Überfahrt.
Rashid: "Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen! Lob sei Allah, dem Weltenherrn, dem Erbarmer, dem Barmherzigen, dem König am Tag des Gerichts! Dir dienen wir und zu dir rufen wir: Leite uns den rechten Pfad, den Pfad derer denen du gnädig bist, nicht derer denen du zürnst, und nicht der irrenden."
Das Meer ist tiefschwarz, die Schattierungen sind dunkel in Blau und Grau. Aquarellfarben, Ölpastell. Das winzige Schlauchboot verschwindet zwischen den Wellen. Die Blitze beleuchten erst Angst, dann Panik.
Rashid: "Jetzt sind wir in der Hand Gottes!"
Und in der Hand der Europäer.
Mann per Funkgerät: "Ruft den Heli zurück, das Patrouillenboot reicht auch, sie sollen das Boot so weit wie möglich von der Küste abdrängen. Und nur die einsammeln, die über Bord fallen, hört ihr?"
Demütigungen, Misstrauen, Ausbeutung - Alltag der Flüchtlinge
Halbtot angespült an der spanischen Küste folgen Demütigungen durch die Polizei, Misstrauen untereinander, Ausbeutung. Einen Asylantrag dürfen Rashid und die anderen gar nicht erst stellen. Die Polizisten schicken sie illegal auf Gemüseplantagen.
Rashid: "Wir neuen Arbeiter werden erst ab dem dritten Monat bezahlt, aber stell Dir vor, dann kann man hier bis zu 20 Euro am Tag verdienen – 200 Dirham!"
Doch nichts wird gut. Die Nordafrikaner leben wie Sklaven. Rashid flüchtet weiter, immer weiter durch Europa, drei Jahre lang. Er will beweisen, dass er ein guter Mann ist, vor Gott und vor seiner Familie. Doch seine Geschichte kennt bis zuletzt nur eine Richtung: nach unten, in den Abgrund.
Dieser Comic ist nicht perfekt. Die einzelnen Figuren müssen für so viele Schicksale stehen, dass sie manchmal erstarren, sie werden statisch, die Konstellationen schematisch. Doch das schmälert nicht die Leistung Tietäväinens, die Flüchtlingsperspektive gekonnt und konsequent zu zeigen. Und uns Lesern drastisch zu zeigen, wer für unser billiges Gemüse so teuer bezahlt.

Ville Tietäväinen: Unsichtbare Hände
Avant Verlag Berlin, März 2014
216 Seiten, 34,95 Euro

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