Grande Dame der Maori-Literatur

Von Marten Hahn |
Mit dem Gastland Neuseeland spielt auf der Buchmesse auch die Maori-Kultur eine zentrale Rolle. Eine der bedeutendsten Maori-Autorinnen ist Patricia Grace. Ihre Bücher, darunter ihr preisgekrönter Roman "Potiki", waren die ersten, die den Ureinwohnern eine literarische Stimme gaben.
Es ist ein sonniger Spätsommertag. Der Wind weht vom Meer herüber. Patricia Grace - steht auf dem Marae - dem Versammlungsplatz – ihres Stammes, in Hongoeka, 30 Minuten nördlich von Wellington.

"Am wichtigsten ist dieser Ort für die Zeremonie des Tangihanga. Wenn jemand stirbt, wird er hier vor dem Begräbnis für ungefähr 3 Tage aufgebahrt. Sollte in der Zeit etwas anderes geplant gewesen sein, wird Platz für die Todeszeremonie gemacht."

Grace' lange, graue Haare flattern im Wind. Zu Turnschuhen trägt sie Jeanshemd und traditionelle Ohrringe aus grüner Jade. Hinter der 74-Jährigen ragt das kunstvoll geschnitzte Wharenui – das Versammlungshaus – in den blauen Himmel. Grace wirkt bescheiden, fast schüchtern. Die Tour durch das Gebäude überlasst sie ihrem Mann: Dick.

"Come on in!”"

Es ist kühl und schattig im Inneren. Decke und Wände des Hauses sind mit Malereien und Webmustern verziert.

Dick: ""Das Sprichwort zu diesem Muster, die meisten davon habe ich selbst entworfen, heißt: E hara taku toa i te taki tahi, he toa taki tini kç! – Meine Stärke ist nicht die, einer einzelnen Person, sondern die vieler!"
Patricia Grace hat sich unterdessen einen Stuhl organisiert und sitzt auf der grünen Wiese vor dem Wharenui.

"Das Haus selbst ist wie eine Bibliothek der Geschichte dieser Gegend hier."

Zumindest für die, die die Sprache der Schnitzereien, Webmuster und Malereien im Inneren sprechen. Doch bei Weitem nicht alle Maori können die Zeichen lesen. Ein Stück Kultur geht verloren. Grace sieht darin einen Grund für die hohe Arbeitslosigkeit, den Alkoholmissbrauch, die häusliche Gewalt in Maori Familien.

"Es ist schwer, einen einzelnen Grund zu finden. Aber natürlich haben Trauer und Verlust viel damit zu tun. Es ist sehr schwer, das Menschen zu sagen, die es nicht verstehen. Ich rede über den Verlust der Sprache, den Verlust von Land, den Verlust von Kultur. Bis zu dem Punkt, an dem Menschen nicht wissen, wer sie wirklich sind."

Doch auch die preisgekrönte Maori-Autorin Grace schreibt fast ausschließlich auf Englisch. Literatur, die in Maori geschrieben wurde, hat es schwer. Kaum ein Verleger möchte Bücher machen, deren potenzielle Leserschaft so gering ist. Gerade einmal rund 150.000 der 4,4 Millionen Neuseeländer sprechen Maori. Ein weiteres Problem sind fehlende Übersetzer.

"Es gibt sehr wenige Übersetzer. Besonders für Literatur. Es gibt Übersetzer für Gerichtsdokumente und historische Dokumente und solche Sachen. Aber im Bereich der Literatur kann man die Menschen an einer Hand abzählen, die dazu in der Lage sind."

Auch ihr zweiter Roman "Potiki" erschien erst vor einigen Jahren auf Maori. Lange nachdem der Roman ins Deutsche, Finnische, Französische und Italienische übersetzt worden war.

Grace und ihr Mann gehen hinüber zum Gemeinschaftsraum des Marae. Es gibt Tee und Cracker mit Käse. Beide wuchsen in einer Zeit auf, in der Maori ihre Sprache nicht vor ihren Kindern sprachen, aus Angst, sie zu benachteiligen. Kinder, die in der Schule Maori sprachen, wurden bestraft.

Patricia Grace: "Du wurdest doch mal bestraft oder?"
Dick: "Ja, zwei Mal. Dann bin ich aus der Schule weggerannt."

Mittlerweile ist Maori, neben Englisch und Zeichensprache, offizielle Landessprache Neuseelands. Doch noch 1986 löste das Erscheinen von "Potiki" einen kleinen Skandal aus. Auch im englischen Original enthält das Buch einige Worte und Passagen in Maori. Prompt wurde Grace dafür angefeindet. Sie würde Weiße bewusst ausgrenzen, weil sie kein Glossar benutze.

"Ich entschied mich gegen ein Glossar, weil ich denke, ein Glossar ist für Fremdsprachen. Und ich wollte nicht, dass Maori in seinem eigenen Land als Fremdsprache angesehen wurde. Ich dachte, es sei Zeit für die Menschen in Neuseeland aufzuwachen und die andere offizielle Landessprache zu lernen."

Auch heute sprechen die wenigsten Weißen Maori. Doch ein wenig haben sich die Zeiten geändert. Kaum jemand würde sich heute noch über Maori-Passagen in Büchern aufregen. Und wer es doch tut, den erinnert Grace an die Zeit, in der Neuseeland kulturell noch komplett von der Kolonialmacht Großbritannien abhängig war.

"Wir sind mit Büchern aufgewachsen, die nicht in diesem Land geschrieben wurden. Sie wurden in England geschrieben. Und es gab viele Dinge, die wir nicht kannten. Piccadilly Circus – was war das? Ein Zirkus mit Clowns? Es gab viele Dinge, die wir nicht verstanden. Aber es hat uns nicht davon abgehalten, Geschichten zu genießen."

Buchtipp:
Patricia Grace' Roman "Potiki" ist im Unionsverlag erschienen, übersetzt von Helmi Martini-Honus und Jürgen Martini, hat 276 Seiten und kostet 10,95 Euro.
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