Mit Gott gegen die Bayern
Der BVB Dortmund und die katholische Dreifaltigkeits-Gemeinde in Dortmund-Nord – das ist die Geschichte einer wunderbaren Freundschaft. Heute wird dort ein Gottesdienste für die Kicker abgehalten. Welche Bedeutung der Fußball für die Kirche hat, erzählt Gemeindereferent Karsten Haug.
Am Dienstagabend wird in der Dortmunder Dreifaltigkeits-Kirche eine Hymne erschallen, die man sonst eigentlich nur im Fußballstadion hört: "You'll never walk alone." Doch der Gottesdienst, der in der katholischen Kirche im Dortmunder Norden stattfindet, ist kein gewöhnlicher Gottesdienst: Er wird für den BVB Dortmund abgehalten, um für dessen Erfolg im DFB-Pokal-Spiel gegen den Erzrivalen Bayern München am kommenden Samstag zu beten. Und das Lied werde am Ende des Gottesdienstes gesungen, sagt Gemeindereferent Karsten Haug:
"Es rührt die Fans einfach an. Und ich glaube, es hat auch einen religiösen Hintergrund: Du wirst niemals alleine gehen, so heißt es dann ja übersetzt. Das hat auch etwas mit unserem Glauben zu tun"
Kirche und Verein sind eng verbunden
Skurril? Eigentlich nicht, wenn man bedenkt, wie eng die Geschichte des Vereins mit der Dreitfaltigkeits-Gemeinde verbunden sei. Zwei Gemeindemitglieder animierten 1909 die Kirchen-Jugend zum Kicken – und das ausgerechnet immer sonntags. Das passte dem Kaplan nicht, der den Sport als "Fußlümmelei" bezeichnete und – in Anspielung auf England – als "Inselaffensport". Aus dem Krach heraus gründete sich im Dezember 1909 der BVB. 1975 gab es dann endlich ein Versöhnungsspiel zwischen Gemeindemitgliedern und der BVB-Traditionsmannschaft. Seit 2008 gibt es in der Kirche auch eine ständige Ausstellung über die Gründungsgeschichte des BVB.
Der Dortmunder Norden gilt als Brennpunkt-Bezirk mit hohem Migranten-Anteil – der Fußball spiele hier eine besondere Rolle, betont Haug.
"Borussia Dortmund – das bedeutet ganz viel Emotion, Leidenschaft, Gefühle. Fußball hat im Ruhrgebiet und gerade auch hier in der Dortmunder Nordstadt eine unheimlich integrative Komponente."
Zum Gottesdienst würden viele Menschen unterschiedlicher Kulturen eingeladen – auch der Imam der muslimischen Gemeinde. "Es gibt sozusagen ein schwarz-gelbes Bekenntnis in Dortmund."
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Es geht nicht um die Qualität des Gesangs, das gebe ich jetzt gleich zu, es geht um die Frage: Wo war das? Denn es klingt ja nicht, als wäre es im Fußballstadion gewesen, und das war es auch nicht. Man kann nur dann so gut darauf kommen, wenn man sich nicht nur mit Borussia Dortmund, sondern auch, ich sage mal, den Verhältnissen im Dortmunder Norden sehr gut auskennt. Denn diese Aufnahme ist entstanden in der Dreifaltigkeitskirche in Dortmund. Eine Kirche und eine Kirchengemeinde, die sehr eng auch historisch verbunden ist mit Borussia Dortmund und in der es regelmäßig Fußballgottesdienste gibt. Zum Beispiel heute Abend wird es wieder einen geben, und diese Gottesdienste organisiert seit 14 Jahren der Gemeindereferent der katholischen Dreifaltigkeitsgemeinde in Dortmund, Karsten Haug. Schönen guten Morgen, Herr Haug!
Karsten Haug: Guten Morgen!
Kassel: Wird das möglicherweise oder sogar relativ sicher dann heute Abend auch wieder gesungen in Ihrer Kirche?
Haug: Auf jeden Fall. "You’ll never walk alone" gehört immer dazu, es wird ganz am Ende gesungen, auch von Matthias "Kasche" Kartner, einem BVB-Sänger, und es rührt die Fans einfach an und ich glaube, es hat auch einen religiösen Hintergrund: Du wirst niemals alleine gehen, so heißt es ja dann übersetzt. Es hat auch was mit unserem Glauben zu tun.
In Trikot und Schal in die Kirche
Kassel: Das heißt aber auch, der Gottesdienst, so wie er heute Abend wieder mal stattfinden wird, unterscheidet sich doch ganz erheblich von dem, was man so als normaler Gottesdienst kennt?
Haug: In der Weise schon, dass es eben BVB-Lieder geben wird, die mit Orgel begleitet werden, die Fans kommen natürlich in Trikots und Schals und mit ihren Fahnen. Aber letztlich ist es doch ein ökumenischer Gottesdienst mit Gebeten, mit einer biblischen Lesung und eben der Voraussetzung, dass der Prediger versucht, die biblische Lesung mit einem Fußballgeschehen, mit einem Fußball-Phänomen in Verbindung zu bringen. Und das ist eben jetzt dann das Pokalfinale in Berlin.
Kassel: Wenn man Borussia Dortmund in Verbindung bringen will mit der katholischen Dreifaltigkeitsgemeinde, dann ist das ganz einfach eigentlich, wenn man in die Geschichte blickt. Denn die Gründung des BVB 1909 hängt eng zusammen mit dieser Kirche. Aber wenn wir beide mal ganz ehrlich sind: Kurz davor, bis es zu dieser Gründung kam, war ja der damalige Gemeindepfarrer und der Fußball, das waren ja nicht unbedingt enge Freunde, oder?
Haug: Ja, es war wirklich kein Glanzstück der katholischen Kirche, wenn ich es so ausdrücken darf. Es war der Kaplan – also nicht der Pfarrer, das muss man sagen –, …
Kassel: Gut, da wollen wir korrekt sein!
Zoff mit dem Kaplan
Haug: … weil, der Pfarrer hat nachher ganz anders entschieden als sein Untergebener. Kaplan Hubert Dewald war kein Freund des Fußballs und er schloss sich der damaligen Meinung eben der Lehrer und Mediziner im Deutschen Reich an und sprach von Fußlümmelei, Inselaffensport. Dazu kamen natürlich auch seine theologischen Bedenken, denn die Jünglingssodalen der Dreifaltigkeitsgemeinde spielten am Sonntag Fußball und der Sonntag gehörte natürlich der Familie und dem Herrn. Und deswegen überlegte er sich so allerhand Dinge, um seine Jünglingssodalen wieder auf den rechten Weg der Tugend zu bekommen. Es gipfelte dann am 19.12.1909, als er eine verpflichtende Andacht ansetzte, nachmittags, eben zu der Uhrzeit, wo die Jünglingssodalen Fußball spielten, und da wollten sich die Jünglinge von dem Kaplan trennen, von der Jünglingssodalität, und gründeten am Abend einen eigenen Verein. Sie sind aber nie aus der Kirche ausgetreten. Also, Franz Jacobi und Heinrich Unger, die ersten beiden Präsidenten haben in der Dreifaltigkeitskirche geheiratet und haben dort auch ihre Kinder taufen lassen.
Kassel: Hat das denn, also, diese Fußball-Gottesdienste, wie es heute Abend einen geben wird, gibt es ja seit ungefähr 14 Jahren …
Haug: Seit 2009.
Kassel: Seit 2008, jetzt, ich weiß auch, seit 2008, es gibt sogar eine Dauerausstellung in Ihrer Kirche zu der Geschichte des BVB.
Haug: Ja.
Kassel: Aber hat es dann auch quasi so lange gedauert, oder wann wurde das eine richtig enge Freundschaft zwischen der Gemeinde und dem Fußballclub?
Haug: Es gab 1975 zum 75-jährigen Bestehen der Dreifaltigkeitskirche schon ein Versöhnungsspiel zwischen der Traditionsmannschaft von Borussia Dortmund und Seelsorgern der Dreifaltigkeitsgemeinde. In der Chronik steht, die Dreifaltigkeitsgemeinde hat Borussia Dortmund gewinnen lassen. Das glaube ich wiederum nicht, denn das waren so Größen wie Stan Libuda, Schanko, die damals noch in der Traditionsmannschaft spielten, und die haben die Geistlichen vom Platz gefegt sozusagen. Seit 2008, auch seit dieser Dauerausstellung gibt es einen sehr intensiven Austausch zwischen dem Fußballverein, zwischen der Dreifaltigkeitsgemeinde und allgemein dem Borsigplatz wieder.
Die besondere Bedeutung des Fußballs im Ruhrgebiet
Kassel: Nun muss man natürlich sagen: Menschen, die vielleicht im Ruhrgebiet den Zusammenhang zwischen Fußball und Gesellschaft noch nicht so ganz begriffen haben: Diese Kirche, Ihre Kirche, die Dreifaltigkeitskirche ist nicht in der Innenstadt von Dortmund, sondern im Dortmunder Norden. Und das war glaube ich historisch immer schon, aber ist auch heute eine ja doch teilweise auch schwierige Gegend. Eine Arbeitergegend, nicht besonders reich, das ist alles nicht besser geworden. Dieser Fußball, auch diese Stiftung von Gemeinsamkeit, wie man sie unter anderem heute Abend in der Kirche wird erleben, welche Rolle spielt die heute im Dortmunder Norden?
Haug: Also, überhaupt dieser Gedanke Borussia Dortmund, das bedeutet ganz viel Emotion, Leidenschaft, Gefühle. Fußball hat im Ruhrgebiet und damit auch gerade hier in der Dortmunder Nordstadt eine unheimlich integrative Komponente. Dort werden heute Abend ganz viele Menschen unterschiedlicher Kulturen hinkommen, der Imam ist auch eingeladen von der dortigen Moschee, dementsprechend kommen auch muslimische Gläubige. Es gibt sozusagen ein schwarz-gelbes Bekenntnis in Dortmund.
Kassel: Das heißt, man sagt, egal worüber wir uns streiten, ob es nun mit Religion zu tun hat oder mit ganz anderen Dingen, wir sind uns darin einig: Borussia muss gewinnen?
Haug: Ja, also, zumindest ist es der Traum, dass wir gewinnen werden. Und dafür tun die Menschen glaube ich ganz viel. Also, sie glauben daran, sie zünden Kerzen an, sie hoffen darauf, dass ihre Mannschaft wirklich das Beste bringt. Und da sind eben alle vereint drin.
Auch die Verlierer verdienen Anerkennung
Kassel: Ist natürlich die große Frage, wie weit wird das denn gehen heute Abend beim Gottesdienst? Wird da konkret ein Gebet stattfinden, bei dem es dann heißt, lieber Gott, lass uns die Bayern schlagen?
Haug: Es gibt kein Gebet, wo wir für den Sieg beten. Es gibt ein sogenanntes BVB-Gebet, das erinnert aber ausdrücklich daran, dass eben auch die Gründer schon in dieser Kirche standen und gebetet haben, dass sie ihre Sorgen und Ängste vor Gott getragen haben, auch ihre Hoffnungen und Freuden. Und dann zeigt dieses Gebet auch immer auf, dass das Fußballspiel ein Zeichen des Friedens, der Gemeinschaft und des Dialogs zwischen den Menschen möge sein und dass man auch mit Respekt und Anerkennung den Verlierern begegnen möge.
Kassel: Dann wollen wir jetzt nicht darüber spekulieren, wem man mit diesem Respekt und Anerkennung als Verlierer dann irgendwann am Samstagabend begegnen muss, das werden wir ja erleben. Ich danke Ihnen für das Gespräch, danke schön, Herr Haug!
Haug: Ich habe zu danken!
Kassel: Karsten Haug war das, Gemeindereferent in der Dreifaltigkeitsgemeinde in Dortmund. Dort in der Dreifaltigkeitskirche findet heute Abend ein Fußball-Gottesdienst statt und das große Spiel, das findet natürlich am Samstag in Berlin statt, das Pokalfinale Borussia Dortmund gegen den FC Bayern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.