Gottes Botschaft aus heutiger Sicht

Rezensiert von Uwe Bork · 30.12.2007
Wer auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und einer Perspektive ist, der kommt am Christentum nicht vorbei, sagt Christian Nürnberger. In seinem Buch "Das Christentum" porträtiert er ausgewählte Personen des biblischen Geschehens, stellt sie in einen historischen Zusammenhang und leitet daraus heutige Glaubensgrundsätze ab.
Obwohl die großen Amtskirchen zumindest im westlichen Europa seit geraumer Zeit an Mitgliedern wie auch an Ansehen und Einfluss verlieren, dürfte doch kein Zweifel daran bestehen, dass sie diesen abendländischen Kulturraum innerhalb der letzten zwei Jahrtausende entscheidend mitgeprägt haben. Insofern dürfte die Vermutung tatsächlich nicht von der Hand zu weisen sein, dass es einiges gibt, was ein mündiger Bürger über das Christentum wissen sollte. Ganz unabhängig davon, ob er zu dessen Anhängern zählt oder nicht. Christian Nürnberger selbst blickt jedoch nicht nur in die Vergangenheit. Sein Blick wendet sich entschlossen in die Zukunft. Der Autor will seine Darstellung der Grundgedanken des Christentums bei weitem nicht nur als Geschichts- und Geschichtenbuch verstanden wissen:

"Die neuheidnisch-postchristliche Gesellschaft hat das Christentum ins Museum für ausgemusterte Ideen und Wahrheiten entsorgt. Das war voreilig. Wir sind mit dem Christentum noch lange nicht fertig, auch wenn wir vermeintlich oder tatsächlich nicht mehr glauben können."

Christian Nürnberger ist der Vertreter eines politischen und gesellschaftlich engagierten Christentums. Sein Buch kann und soll das offensichtlich auch nicht verhehlen. Der Band ist keine enzyklopädische Aufzählung vieler mehr oder minder wichtiger Daten und Ereignisse. Der studierte Theologe und routinierte Journalist Nürnberger porträtiert in ihm vielmehr mit manchmal durchaus spitzer Feder ausgewählte Hauptpersonen des biblischen Geschehens. Er stellt sie in einen historischen Zusammenhang und leitet aus der Darstellung der Ursprünge des Christentums Konsequenzen ab, die diese Religion und ihr Gott von denjenigen einfordern, die ihren Glauben ernst nehmen.

Der Autor zeigt in seinem Buch eindeutige Präferenzen:

"Man wünscht sich, dass diese Anfänge heute wieder mehr Aufmerksamkeit in der Kirche finden. Das harmlose Eiapopeia- und Wir-sind-alle-lieb-Christentum, das dort gepflegt wird, hat mit seinen Ursprüngen nichts mehr zu tun."

Wenn es nach Nürnberger ginge, müssten sich die Kirchen wieder mehr an dem Mann orientieren, auf dessen Botschaft sie sich schließlich berufen:

"Auch Jesus war nicht der harmlos einladende, politisch korrekte Friedenssäusler und Innerlichkeits-Apostel, als der er heute gern hingestellt wird. Wenn er das gewesen wäre, hätte es für seine Feinde keinen Grund gegeben, ihn ans Kreuz zu nageln."

Seinem Jesus legt Christian Nürnberger eine Forderung in den Mund, die in ihrer Kühnheit und Unbedingtheit viele seiner Leser überfordern dürfte. Sein Christentum ist die gelebte Utopie:

"Dass ihr euch an die Gesetze haltet, ist ja in Ordnung. Aber wenn ihr glaubt, das genüge, irrt ihr euch. Ich will mehr von euch, ich will etwas ganz anderes, ich will, dass ihr kein Gesetz mehr braucht. Ihr sollt aus freien Stücken so leben, dass Gesetze, Polizei, Richter, Staaten und Regierungen überflüssig werden. Das will ich, weil Gott es immer schon von euch gewollt hat."

Während Christian Nürnberger im ausgezeichneten ersten Teil seines Buches seinen Lesern kenntnisreich und manchmal sogar höchst unterhaltsam in der Tat vieles von dem vermittelt, "was man über das Christentum wirklich wissen muss", wechselt er im letzten Drittel die Rolle: Er wird zum Erweckungsprediger. Die Nüchternheit der ersten Kapitel über die Grundaussagen der Bibel scheint ihn plötzlich verlassen zu haben, wenn aus seiner Feder Sätze fließen wie diese:

"Wer Gott fürchtet, muss sich vor nichts mehr fürchten, ist stärker als alle Armeen dieser Welt zusammen und wird Tod und Teufel trotzen. Wer sich allein unter Gottes Willen stellt, dem hat kein irdischer Wille mehr irgendetwas zu befehlen, und mag sich dieser Wille noch so mächtig und toll gebärden. Er zerschellt am Glaubenden. Wer sein Herz an Gott hängt, braucht es nicht an materielle Güter zu hängen. Und dort, wo sich ein Gottesfürchtiger mit anderen Gottesfürchtigen zusammentut, um Gottes Willen auf Erden Geltung zu verschaffen, wird die Welt auf den Kopf gestellt, werden die Kranken gesund, die Blinden sehend, die Hungrigen satt, die Traurigen fröhlich, die Schwachen stark."

Der Journalist ist auf die Kanzel gestiegen; er predigt statt zu analysieren.

Sicher, ein solcher Rollentausch ist niemandem verwehrt. Der kritische Punkt ist nur, dass das, wovon Christian Nürnberger hier spricht, eine Glaubenserfahrung ist; eine wertvolle Glaubenserfahrung sicherlich, wie sie viele Menschen innerhalb wie außerhalb der Kirchen schon gemacht haben und wie sie das persönliche Leben verändern kann.

Über das Schwarz-Weiß einer Buchseite lässt sich eine solche spirituelle Begegnung indes nicht vermitteln. Und - man mag das bedauern oder nicht - zu dem, was man über das Christentum wissen muss und was sich jeder über diese Religion aneignen kann, gehört sie mit Sicherheit auch nicht.

Schade, aber Christian Nürnberger hat sein Buch überfordert, sein Buch und seine Leser.

Christian Nürnberger: Das Christentum
Was man wirklich wissen muss

Rowohlt-Berlin Verlag 2007